Seit knapp zehn Monaten ist Thomas Tuchel als Trainer beim FC Bayern München im Amt. In dieser Zeit leistete sich das Team acht Niederlagen, die natürlich medial für viel Aufmerksamkeit sorgten. "Warum hat die Mannschaft verloren?": Auf diese Frage lieferte Tuchel verschiedene interessante Antworten, zeigte sich mal milde, mal ratlos, mal kämpferisch. Hier sind die acht Tuchel-Pleiten beim FCB - und wie Coach und Team damit jeweils umgingen.
Pokal-Aus als Warnschuss für den Saison-Endspurt
1:2 gegen den SC Freiburg (Viertelfinale DFB-Pokal), 4. April 2023
Zehn Tage nach seinem Amtsantritt beim FC Bayern hatte Thomas Tuchel schon ein spektakuläres 4:2 im Klassiker gegen den BVB hinter sich - doch das zweite Pflichtspiel unter seiner Regie brachte das Aus im DFB-Pokal. So wie er nicht viel für den Sieg gegen Dortmund konnte, so wenig war auch die Niederlage gegen Freiburg seine Schuld. Die Bayern waren optisch überlegen, kassierten aber einen Distanztreffer und in der 95. Minute nach einem Handspiel von Jamal Musiala das entscheidende Gegentor durch einen Elfmeter.
Tuchel blieb hinterher bei seiner Analyse oberflächlich, bemängelte, dass "der allerletzte Hunger, die allerletzte Gier, das Ding zu erzwingen" bei seinem Team gefehlt habe. "Das wird uns jetzt eine Weile beschäftigen, das zu verdauen", orakelte er - und hatte damit Recht. Der Triple-Traum war in München jedenfalls ausgeträumt. "Wir müssen unsere Lehren daraus ziehen und uns weiterentwickeln", forderte Tuchel.
Die Lehren und die Weiterentwicklung folgten allerdings nicht schnell. Zwar gab es am Wochenende nach der Niederlage eine 1:0-Revanche in Freiburg in der Liga, danach aber folgten vier Pflichtspiele ohne Sieg, die die Experten schon die Erfolgsbilanz Tuchels mit der seines entlassenen Vorgängers Julian Nagelsmann vergleichen ließ.
"Schockverliebt" nach der klaren Niederlage
0:3 bei Manchester City (Viertelfinal-Hinspiel Champions League), 11. April 2023
Das Top-Duell in der Champions League brachte den Bayern das Quasi-Aus im Hinspiel. Beim 0:3 hatten sie zwar mehr Ballbesitz, aber weniger Abschlüsse und mit Sicherheit nicht die besseren Chancen. Ein Distanzschuss von Rodri brachte die Citizens auf die Siegerstraße, nach der Pause legten Bernardo Silva nach einem Fehler von Dayot Upamecano und Erling Haaland noch zwei Tore nach. Es hätte in der Schlussphase sogar noch übler für den FCB ausgehen können.
Was nach dem Spiel folgte, war überraschend: Tuchel bekannte, dass es "richtig Spaß gemacht" habe, dass er sich "schockverliebt" in seine Mannschaft habe. "Ich bin bis zur 70. Minute hochzufrieden", erklärte er, fand die zweite Hälfte bis zu den Gegentoren "extrem stark". Dass seine Analyse nicht ganz zum Spielgeschehen passte, dass Fußball ein Ergebnissport ist - all das interessierte Tuchel an diesem Abend in Manchester nicht. Statt Peitsche gab es ganz viel Zuckerbrot vom Bayern-Trainer.
Mit seiner Analyse überraschte Tuchel die Medien und die Experten. "Es waren schon ein paar fragwürdige Aktionen dabei", sagte Kommunikations-Experte Michael Cramer. Der gewünschte Effekt des Vor-die-Mannschaft-Stellens blieb aber aus. In der Liga folgte ein 1:1 gegen Hoffenheim und im Rückspiel gegen ManCity zeigte sich, dass die Luft nach dem Hinspiel schon raus war. City erzielte durch Haaland nach einer knappen Stunde die Führung und kümmerte der 1:1-Ausgleich durch ein Elfmetertor von Joshua Kimmich wenig. Von den Anfang April noch möglichen drei Titeln war nur noch die Meisterschaft übrig.
Tuchel nach Pleite beim Ex-Klub ratlos: "Ich weiß nicht, wieso"
1:3 bei Mainz 05 (Bundesliga), 22. April 2023
Als Zweiter in der Liga fuhren die Münchner zu Tuchels Ex-Klub nach Mainz - und kassierten dort den nächsten Rückschlag. Dabei hatte sich das in der ersten Halbzeit noch gar nicht abgezeichnet. Sadio Mané brachte den FCB in Führung, der weitere gute Gelegenheiten besaß. Nach dem Seitenwechsel wurden die Bayern von euphorisierten Mainzern aber auf einmal überpowert und kassierten drei Gegentore (65., 73., 79.).
Das vierte Pflichtspiel in Folge ohne Sieg ließ Thomas Tuchel völlig ratlos zurück. "Dann geht es dahin. Ich weiß nicht, wieso", sagte er zur zweiten Halbzeit. "Es gab keine Drangphase, kein Aufbäumen", konstatierte er und vermutete, dass sein Team im Saison-Endspurt völlig überspielt sei. "Wir wirken ausgelaugt, wie eine Mannschaft, die schon 70, 80 Spiele in den Knochen hat."
Die folgenden Liga-Aufgaben gegen die beiden späteren Absteiger Hertha BSC und Schalke sowie in Bremen brachten den Münchnern immerhin keine weiteren Punktverluste in der Liga. Die Kraftreserven konnten die Münchner wieder etwas aufladen, da sie sich voll und ganz auf die Meisterschaft konzentrieren konnten.
"Ich habe keine Erklärung": Fast fataler Liga-Aussetzer
1:3 gegen RB Leipzig (Bundesliga), 20. Mai 2023
Wie bei der Niederlage in Mainz lief es auch gegen RB ab: Bayern-Führung durch Serge Gnabry in der ersten Hälfte, dann aber antwortet der Gegner nach dem Seitenwechsel mit drei Treffern, davon zwei vom Elfmeterpunkt. Je länger das Duell dauerte, desto schlechter wurden die Münchner. Durch die verdiente Pleite am vorletzten Bundesliga-Spieltag hatten die Bayern im Vergleich zum BVB nun die deutlich schlechteren Karten.
Nach dem Spiel gab es erneut den Ratlos-Tuchel. "Wir haben aufgehört nach 30 Minuten, zweite Halbzeit waren wir nicht mehr da. Ich habe dafür keine Erklärung", sagte er zum Auftritt seines Teams. "Wir haben dieses Spiel komplett durch unser Verhalten verloren", meinte der FCB-Coach, der dann in Stichworten seine Kritikpunkte herausfeuerte: "fehlerhaft", "schlampig", "zu wenig Biss", "Spielgeschwindigkeit nicht hoch".
Dass die Bayern am folgenden Spieltag doch noch Meister wurden, hatte allerdings hauptsächlich damit zu tun, dass der Konkurrent aus Dortmund sein Duell mit Mainz vor eigenem Publikum nicht gewann. Die Münchner taten sich gegen die Kölner, für die es um gar nichts mehr ging, lange sehr schwer. Erst das späte Tor von Jamal Musiala sicherte den 2:1-Auswärtssieg, der schließlich für die Schale reichte.
"Konsterniert und enttäuscht": Leipzig bremst die Kane-Euphorie
0:3 gegen RB Leipzig (Supercup), 12. August 2023
Es hätte das perfekte Bayern-Wochenende werden können: Einen Tag, nachdem Harry Kane nach seinem Transfer für 100 Millionen Euro in der Stadt gelandet war, stand der Supercup im eigenen Stadion gegen den Pokalsieger aus Leipzig an. Doch nicht der Engländer war der Star des Abends, sondern RB-Offensivmann Dani Olmo, der dreifach traf. Kane durfte erst auf den Platz, als es aus Bayern-Sicht schon zu spät war.
Und schon wieder war Tuchel ratlos, als es um Ansatzpunkte nach der Niederlage ging: "Ich weiß es im Moment nicht und habe keine Lösung. Ich bin konsterniert und extrem enttäuscht. Ich habe keinen Ansatzpunkt", gestand er. "Es ist eine komplette Fortsetzung vom 33. Spieltag und den Spieltagen davor", fügte er hinzu. Statt eines Neustarts in der Sommerpause gab es bei den Bayern die altbekannten Probleme - und die jetzt schon bekannten Ratlos-Analysen des Trainers.
"Hundert Erklärungen - oder keine": Schon wieder das Pokal-Aus
1:2 beim 1. FC Saarbrücken (2. Runde DFB-Pokal), 1. November 2023
13 Pflichtspiele in Folge hatte der FC Bayern nach der Supercup-Pleite nicht verloren - und Nummer 14 war eigentlich eine Formsache. In der zweiten Pokalrunde ging es zum Drittligisten nach Saarbrücken, der spielerisch natürlich unterlegen war, den 0:1-Rückstand durch Thomas Müller aber noch vor der Pause ausglich. 18:4 Torschüsse für den FCB brachten aber nicht den zweiten Münchner Treffer des Abends. Stattdessen konterte sich Saarbrücken in der 96. Minute zum 2:1 und bejubelte eine Pokal-Sensation.
"Mir fällt keine schlaue Erklärung ein", gestand Tuchel sofort, um sich dann philosophisch zu geben: "Da gibt es hundert Erklärungen - oder keine." Er würdigte das Bemühen seiner Mannschaft, die aber vergeblich gegen den Außenseiter anrannte. "Alle haben Recht, die sagen: Wir müssen trotzdem gewinnen", gestand er ein. "Es ist nicht so, dass wir keine Möglichkeiten hatten zu gewinnen oder überheblich waren oder es auf die leichte Schulter genommen haben oder nicht alles gegeben haben", befand Tuchel, kam damit auf dem Weg zu einer Erklärung der Niederlage aber auch nicht weiter.
Die Reaktion der Mannschaft stimmte aber in diesem Fall: Mit 4:0 gewannen die Bayern am folgenden Wochenende bei Borussia Dortmund und ließen den BVB aus dem Titelrennen ausscheiden. Es folgten insgesamt vier Siege nach der Saarbrücken-Pleite und ein 0:0 im unbedeutenden CL-Gruppenspiel gegen Kopenhagen.
Taktik und Statistik: Tuchel mit Erklärungsansätzen
1:5 bei Eintracht Frankfurt (Bundesliga), 9. Dezember 2023
Nach 36 Minuten lagen die Bayern beim Siebten in Frankfurt schon mit 0:3 hinten. Es war überhaupt nicht der Nachmittag des FCB, der gegen die Hessen nicht zurechtkam. Nach einer Stunde war das Spiel beim Stand von 5:1 schon zugunsten der SGE gelaufen, der Rest war ein bitteres Auslaufen für die Gäste.
Bei der Analyse nach dem Spiel überraschte Tuchel mit der Aussage, dass er sein Team möglicherweise mit der kurzfristig verkündeten Information, Frankfurt könnte mit einer Dreierkette spielen, verwirrt habe. "Das hat bei mir dann aber zur Frage geführt, ob uns dadurch Emotionalität verloren gegangen ist und ob eine andere Ansprache besser gewesen wäre", sagte er hinterher. Was von seiner Reaktion nach der Pleite ebenfalls hängen geblieben ist, sind die "22 kritischen Ballverluste", an denen sich Tuchel lange abarbeitete. Die Taktik und die Statistik - statt Ratlosigkeit hatte Tuchel in Frankfurt Erklärungsansätze, warum das Spiel für seinen FC Bayern ganz schlecht gelaufen war. "Bei Niederlagen vermisse ich Gelassenheit und Souveränität", sagte Kommunikations-Experte Cramer.
Bis zur Winterpause lief es dann für die Bayern mit drei Siegen deutlich besser. Auch der Start ins Fußball-Jahr 2024 glückte, sodass die Frankfurt-Pleite als einmaliger heftiger Ausrutscher verbucht werden konnte. Auch wenn Leverkusen in der Liga noch vorwegmarschierte.
"Ich muss Lösungen finden": Bayern lässt Werder die Negativserie beenden
0:1 gegen Werder Bremen (Bundesliga), 21. Januar 2024
Seit 2008 hatte Werder Bremen nicht mehr in München gewonnen - aber diese Negativserie endete am Sonntag. Die Bayern taten sich lange sehr schwer, zu Möglichkeiten zu kommen, während die Hanseaten gut dagegenhielten und sich ihrerseits auch Chancen erspielten. Das Tor des Spiels erzielte mit Mitchell Weiser ausgerechnet ein Ex-Bayern-Spieler, der sich erst gegen Alphonso Davies durchsetzte und dann aus spitzem Winkel hoch ins FCB-Tor traf. Erst in den letzten 20 Minuten gaben die Bayern Gas und verzeichneten viele Abschlüsse, einige gute Möglichkeiten, aber nicht mehr den Ausgleichstreffer.
Trainer Thomas Tuchel sprach von einer "verdienten Niederlage, weil 20 Minuten einfach zu wenig sind". Er zählte all das bei einem Rundumschlag auf, was ihm nicht gefallen hatte: "statisch", "schlecht bewegt", "extrem viele Ballverluste", "wahnsinnig viele Konter zugelassen", "schlampig", "zu gierig" - der Coach kritisierte deutlich und nahm sein Team nicht in Schutz. "Wir müssen Lösungen, ich muss Lösungen finden", nahm er ein altbekanntes Thema bei seiner Analyse wieder auf.
Nur drei Tage später wartet am Mittwoch das Bundesliga-Nachholspiel gegen Union Berlin auf den FCB. Danach folgt ein Auswärtsspiel bei den erstarkten Augsburgern und ein Heimauftritt gegen Gladbach, bevor es zum absoluten Knaller nach Leverkusen geht. Alles, was davor war, zählt dann wahrscheinlich für die Münchner nur noch wenig: Bei Bayer gilt für sie "Verlieren verboten".