"Im Internet hat jeder dicke Eier"

Terrence Boyd (l.) traf kürzlich beim 4:2-Testspielsieg Leipzigs gegen Zlatan Ibrahimovic' PSG
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SPOX: Sie haben die Rapid-Fans angesprochen. Machen Sie die Kultur des Klubs aus?

Boyd: Rapid ist total oldschool. Die Fans würden es wohl am liebsten sehen, wenn man dort unentgeltlich spielen würde. Bei Rapid ist alles ein Stück weit dramatischer als bei anderen Klubs.

SPOX: Nennen Sie doch bitte mal ein Beispiel dafür?

Boyd: Wir haben in der Europa League mal gegen Leverkusen gespielt. Nach Schlusspfiff habe ich mit meinem Jugendfreund Karim Bellarabi das Trikot getauscht. Auf einmal hat mich das ganze Stadion ausgepfiffen.

SPOX: Wieso das denn?

Boyd: Der Anführer der Ultras kam zu mir und sagte: 'Du kannst dein Trikot doch nicht hergeben, du spielst doch schon für den besten Verein der Welt.' Das ist eine Episode, die klarmacht, wie man dort fühlt. Was positiv ist: Man ist sofort Teil der Rapid-Familie, für die gibt es dort nichts anderes. Ich bin mal ein kleines bisschen zu schnell gefahren und wurde geblitzt. Die Polizisten waren aber alle Rapid-Fans und ließen mich weiterfahren (lacht).

SPOX: In Leipzig sind Sie nun der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte, man erwartet von Ihnen im Grunde sofort Tore. Das war in dieser Dimension zuvor noch nicht so. Völlig egal oder doch eine besondere Drucksituation?

Boyd: Das gehe ich ganz gelassen an. Ich werde mich komplett verausgaben. Dann kommen entweder die Tore oder eben nicht. Ich handle vor dem Kasten instinktiv, ich mache das, was mir als erstes in den Sinn kommt. Ich mache mir deshalb keinen besonderen Druck, am Saisonende eine gewisse Trefferanzahl erreichen zu müssen.

SPOX: Der Fußball in Leipzig ist ein anderer als in Wien. Das dürfte eine große Umstellung bedeuten, oder?

Boyd: Leipzig bedeutet Vollgas, das habe ich gleich gemerkt. Wir versuchen, sofort zu pressen. Hier arbeiten alle mit. Da reicht es nicht, nur dann alles zu geben, wenn der Ball in deiner Nähe ist. Das Gegenpressing hier ist nochmal eine andere Stufe als damals in Dortmund. Wir denken schon in Ballbesitz an den Ballverlust. Ich glaube, dass dieser Stil zum Erfolg führen wird. Red Bull Salzburg spielt ja ähnlich wie wir und die haben letzte Saison in Österreich die komplette Liga auseinander gepflückt.

SPOX: Wie schwer fällt es Ihnen denn im Moment, die neuen und vor allem auch komplexen taktischen Vorgaben zu verinnerlichen?

Boyd: Es geht. Ich muss die Automatismen reinkriegen, da ich es zuletzt nicht mehr so gewohnt war, nach einem Ballverlust sofort wieder hinterher zu jagen. Nach und nach bekommt man das dann wieder in seinen Kopf rein. Das ist eigentlich wie eine Software, die man installieren muss.

SPOX: Ihr neuer Trainer Alexander Zorniger baut unter anderem auch auf ein 4-3-3-System. Ist das für Sie als klassischer Mittelstürmer etwas?

Boyd: Ich freue mich darauf, weil ich seitdem ich 18 oder 19 bin, immer nur Formationen mit einer Spitze gespielt habe. Ich nehme alles Neue gerne an. Man entwickelt sich durch eine neue Herangehensweise ja auch als Fußballer weiter. Mir werden künftig ganz andere Räume geöffnet sein, die Laufwege sind variabler und es werden neue Spielsituationen entstehen. Mit drei nominellen Spitzen könnte es für mich einfacher werden, da ich dann immer jemanden hätte, der sofort da und anspielbar ist - ohne im Duell mit drei Verteidigern warten zu müssen, bis die Mitspieler nachgerückt sind.

SPOX: Sie haben sich zuletzt auch in den Notizblock von USA-Trainer Jürgen Klinsmann gespielt. Doch obwohl Sie im vorläufigen Kader für die WM standen, wurden Sie nicht mit nach Brasilien genommen. Wie lief das genau ab?

Boyd: Jürgen Klinsmann hat mich im Trainingslager nach einer Woche zur Seite genommen und gesagt, dass er mich leider nach Hause schicken muss. Er wollte offenbar keinen zweiten Brecher mitnehmen. Das fiel mir dann echt schwer. Ich stand so kurz davor. Da sind schon ein paar Tränen geflossen. Das ist so, wie wenn man in eine bestimmte Diskothek möchte und der Türsteher sagt: Du kommst wegen der Schuhe nicht rein - obwohl du schon die krassesten Schuhe anhast, die du besitzt.

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