WM

Sulley Muntari: Jung, talentiert, disziplinlos

Von Marcus Giebel
Bei ihrer ersten WM-Teilnahme kamen die Black Stars um Sulley Muntari (M.) 2006 ins Achtelfinale
© Imago

32 Teams nehmen an der Weltmeisterschaft in Südafrika teil. Jedes Teilnehmerland hat seine eigene Geschichte zu erzählen. SPOX greift aktuelle Entwicklungen auf, lässt Protagonisten zu Wort kommen oder beleuchtet historische Ereignisse. Heute: Ghana.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Im Januar war Sulley Muntari eine feste Größe bei Inter. Woche für Woche lief er in der Serie A auf, hatte seinen Anteil an den Erfolgen der Nerrazzuri. Zwischen den Spieltagen interessierte ihn jedoch ein ganz anderer Wettbewerb. In Angola spielte sein Heimatland Ghana beim Afrika-Cup um die Fußball-Krone des Kontinents.

Muntari wäre gern dabei gewesen. Doch Trainer Milovan Rajevac verzichtete auf den 25-Jährigen. Freiwillig. Mehr oder weniger. Die Nichtberücksichtigung durch den Serben war ein Denkzettel für das ballfertige, aber zugleich auch schlampige Genie.

Denn Muntari liegt seit nunmehr fünfeinhalb Jahren mit dem ghanaischen Verband im Clinch. Immer wieder hat er Trainer und Management an der Nase herumgeführt, sich vor allem bei großen Turnieren danebenbenommen.

Muntari verlässt Black Stars

Kurz vor Olympia 2004 wird er aus dem Kader geschmissen. Die offizielle Begründung: Verstoß gegen die internen Teamregeln. Muntari ist sauer, gibt seinen sofortigen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt. Mit 19 Jahren.

Er besinnt sich zwar eines Besseren und kehrt zurück. Doch die Eskapaden bleiben ein stetiger Begleiter. Während eines der nächsten Trainingslager wird der gläubige Muslim trotz Ausgehverbots nachts in seinem Auto angehalten.

Ein anderes Mal verlässt er das Quartier wortlos, weil seine Freundin mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist und er ihr beistehen will. Trainerstab und Teamkollegen informiert er nicht. Doch erst sein nächster Fauxpas sollte das Fass zum Überlaufen bringen.

Trio bleibt Testspiel fern

Gemeinsam mit Michael Essien und Asamoah Gyan bleibt er im vergangenen November einem Freundschaftsspiel gegen Angola fern. Ohne Angabe von Gründen. Daraufhin zieht Rajevac einen Schlussstrich und schmeißt das Trio raus. Der Traum, bei einer WM auf dem eigenen Kontinent die Farben seines Landes vertreten zu dürfen, scheint geplatzt.

Wenig später die Kehrtwende - zumindest bei Essien und Gyan. Sie entschuldigen sich öffentlich für ihren Fehler, werden begnadigt. Muntari jedoch macht weiterhin auf stur. Selbst einem geplanten Gespräch mit Rajevac, der eigens nach Mailand reist, bleibt er fern.

Spätestens nun ist der Linksfuß, dem eine italienische Zeitung schon vor Jahren die Klasse eines Edgar Davids zuschrieb, für den Coach nicht mehr tragbar. Eine Rückkehr scheint unmöglich.

Muntaris späte Reue

Dann aber passiert genau dies - das Unmögliche. Muntari tritt vor die Presse.

Wehmütig schaut er in die Kamera und spricht die Worte, die ein ganzes Land so sehr herbeigesehnt hat: "Ich muss mich bei allen Ghanaern, Trainer Rajevac und dem ghanaischen -Verband entschuldigen. Mein Engagement gilt zuallererst meinem Land und ich fühle mich Ghana verpflichtet, weil das Land mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin."

Mit einer ordentlichen Portion Patriotismus fügt er hinzu: "Ghana wird einen neuen Sulley Muntari erleben, hungriger als früher und immer bereit, die Flagge Ghanas zu verteidigen." Ob der Burgfriede die WM 2010 wirklich überlebt, steht noch in den Sternen.

Große Stars - keine Disziplin

Ein erster Schritt in eine bessere Zukunft ist es in jedem Fall. Denn auch in den 90er Jahren verfügten die Black Stars über hervorragende Einzelkönner wie Anthony Yeboah oder Abedi Pele, kamen aufgrund fehlender Disziplin aber nie in die Nähe der Weltspitze.

In diese wollen die Westafrikaner - angetrieben von 24 Millionen Landsleuten - in diesem Sommer vorstoßen. Deshalb sagt Rajevac: "Für die WM brauchen wir Spieler wie John Mensah, John Paintsil, Michael Essien und Sulley Muntari."

Essien und Appiah als Sorgenkinder

Genau da liegt aber auch das Problem. Der 56-jährige Coach, ein ehemaliger Verteidiger alter Prägung, setzt auf eine massierte Defensive mit ebenso robusten wie ballgewandten zentralen Mittelfeldspielern. Die wichtigsten Spieler sind Essien, Muntari und Stephen Appiah.

Doch Essien, der Star des FC Chelsea, plagt sich seit Wochen mit Verletzungen herum. Fraglich, ob und in welchem Zustand er bei der WM antreten könnte. Appiah war ein Jahr vereinslos, bevor er im November beim FC Bologna unterschrieb. Bei allem Respekt: alles andere als ein Weltverein.

Und Muntari? Der macht derzeit in Mailand eine schwere Phase durch. Mit den Tifosi hat er es sich längst verscherzt und auch im Verein viel Kredit verspielt. Erst geht er nach seiner Auswechslung im Spiel gegen den CFC Genua grußlos an dem für den gesperrten Jose Mourinho auf der Trainerbank sitzenden Giuseppe Baresi vorbei in die Kabine.

Eine Woche später folgt ein viel schlimmerer Aussetzer. Zehn Minuten vor Ende der Partie gegen Catania Calcio eingewechselt, kassiert Muntari nur Sekunden später wegen eines Fouls die Gelbe Karte. Einige weitere Sekunden danach ist das Spiel für ihn schon beendet. Den fälligen Freistoß hat er abgeblockt - mit der Hand. Resultat: Gelb-Rot und Elfmeter.

Muntaris besondere Aufgabe

Der Muntari vom März 2010 ist eben nicht mehr der vom Januar 2010. Oder von den Jahren davor. Waren früher Manchester United, der AC Milan oder Juventus Turin interessiert, gilt derzeit einzig Tottenham Hotspur als potenzieller Abnehmer. Deren Trainer Harry Redknapp kennt Muntari noch aus der gemeinsamen Zeit bei Portsmouth.

Doch bevor es zu der Rückkehr auf die Insel kommen sollte, hat er in Mailand noch einen Job zu erledigen. Für Ghana. Denn der Verband hat die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, Inter-Stürmer Mario Balotelli für sich zu gewinnen.

Keine Frage, dass der wie Muntari immer wieder aneckende Jungstar eine Verstärkung für die Black Stars wäre. Ebenso wird in Ghana weiterhin an der Einbürgerung des in Deutschland ausgebooteten Kevin-Prince Boateng gearbeitet.

Afrika Cup als Mutmacher

Aber auch wenn die Beiden im Sommer nicht für Rot-Gelb-Grün auflaufen sollten, der Vorrundengegner des DFB wird zu beachten sein. Im Januar erreichte das Team das Africa-Cup-Finale, musste sich erst durch ein spätes Tor den Ägyptern beugen.

Dabei fehlten neben Muntari auch Essien, Appiah, Paintsil und Mensah. Dafür spielten sich andere Akteure in den Blickpunkt. Andre Ayew, Samuel Inkoom, Kwadwo Asamoah oder Isaac Vorsah von Hoffenheim sind die aufstrebenden Schwarzen Sterne.

Rajevac jedenfalls befindet sich in der heißen Findungsphase: "Was ich im Moment mache, ist die richtige Mischung suchen. Ich möchte einen Kader bestehend aus vielen Youngstern aufbauen und ihn mit erfahrenen Spielern mischen."

Muntari wird es vernommen haben. Und sich in den kommenden Wochen mächtig ins Zeug legen. Vielleicht.

Der Spielplan der WM 2010