Der Unsterbliche

Von Mustafa Görkem
Aykut Kocaman (r.) thront bei Fenerbahce über allem
© Getty

Aykut Kocaman kann am Samstag mit Fenerbahce im Heimspiel gegen Galatasaray (Sa., 18 Uhr im LIVE-TICKER) den Meistertitel in der Süper Lig verteidigen. Für den Trainer wäre es kein gewöhnlicher Titel, avancierte er doch in der größten Krise der Klub-Geschichte zum Trainer, Sportdirektor, Präsidenten und Vaterfigur in einer Person.
 

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Die Geschichte klingt wie eine Legende, die spätestens mit der möglichen Meisterschaft am Wochenende einen festen Platz im Gedächtnis der in dieser Saison leidgeprüften Fenerbahce-Fans einnehmen könnte.

Die Rede ist von einer Unterredung zwischen Aykut Kocaman und Aziz Yildirim, dem Fenerbahce-Präsidenten, der im Zuge des Manipulationsskandals festgenommen wurde und immer noch in U-Haft sitzt.

In der Woche vor dem 2:2 am 17. März gegen Galatasaray soll Kocaman dem Präsidenten bei einem Besuch in der Strafanstalt mitgeteilt haben, dass er sich nicht mehr in der Lage sehe, die Saison zu Ende zu führen und das Traineramt zur Verfügung stellen wolle.

Das Gespräch im Gefängnis

Daraufhin soll Yildirim folgenreiche Worte gesagt haben: "Siehst du, in welchem Zustand du bist und wo ich mich gerade befinde? Ich muss aus meiner Zelle heraus gegen alle in die Schlacht ziehen. Und du kommst zu mir und willst mir weismachen, dass du am Ende deiner Kräfte bist? Falls du die Mannschaft wirklich verlassen willst, habe ich nur eins zu sagen: Auf Wiedersehen!"

Diese Worte müssen bei Kocaman Eindruck hinterlassen haben, sodass der Verein am 13. März nicht den Rücktritt, sondern die Vertragsverlängerung des Trainers bekannt gab.

Klub-Vizeboss Ali Koc, der die Ausweitung der Zusammenarbeit verkündete, lobte die Arbeit des Trainers und unterstrich seine Bedeutung für den Verein: "Aykut Kocaman ist nicht nur ein guter Trainer, sondern auch ein wahrhafter Mann mit Prinzipien. In der schwersten Zeit des Vereins nach dem 3. Juli bewies Kocaman, welch starke Persönlichkeit er ist."

Manipulationsskandal sorgt für Verunsicherung

In der Tat hat Fenerbahce in den letzten Monaten eine schwierige Zeit durchlebt, die mit einem Paukenschlag am 3. Juli ihren Anfang fand. Erst die Verhaftung des Präsidenten, wichtiger Vorstandsmitglieder und zweier Spieler, dann der Ausschluss aus der Champions League - die Saison 2011/12 stand zu Beginn unter keinem guten Stern, als Fener sich den Vorwurf gefallen lassen musste, den Titel durch Manipulation geholt zu haben.

Wichtige Spieler wie Andre Santos (zu Arsenal), Mamadou Niang (Katar) und Diego Lugano (zu Paris St. Germain) verließen den Verein, während Verhandlungen mit Neuzugängen ins Stocken gerieten. Hinzu kam die Ungewissheit, ob Fener überhaupt in die Süper Lig-Saison starten darf, denn der türkische Fußballverband sah sich angesichts des von der UEFA ausgeübten Drucks gezwungen, drastische Strafen zu verhängen.

Lange Zeit galt ein Zwangsabstieg Feners als die einzig vertretbare Konsequenz, bis es schließlich hieß, dass man die Strafen erst nach der Spielzeit verkünden wolle. Dennoch suchten fast wöchentlich Fener neue Gerüchte heim, wonach entweder ein Zwangsabstieg oder ein erheblicher Punktverlust drohe.

Fener vom Vorwurf der Manipulation freigesprochen

Doch soweit kam es nicht, diese Gewissheit hatte Fener aber vor wenigen Tagen: Der Verein wurde vom Vorwurf der Manipulation freigesprochen, stattdessen wurden die Funktionäre Ilhan Eksioglu, Sekip Mosturoglu sowie Cemil Turhan auf Jahre gesperrt. Dennoch ist die Diskussion nicht beendet und wohl auch das endgültige Schicksal der Klubs noch längst nicht besiegelt, weil die UEFA möglicherweise noch eingreift.

Womöglich hätte jeder andere Trainer ob der unklaren Zukunft am Bosporus das Handtuch geworfen. Doch Kocaman biss sich durch, und mit ihm auch die Mannschaft. "Der Trainer gibt uns Mut. Seine Standhaftigkeit gibt der Mannschaft die Ruhe", lobt Torhüter Volkan Demirel.

Bei den Anhängern Fenerbahces ist Kocaman ohnehin eine Legende, inzwischen ist er auf dem Weg zur Unsterblichkeit, ob der Durchhaltekraft in der schwierigen Phase. Dass er eine große Spielerkarriere bei Fener hat, kommt natürlich vorteilhaft hinzu.

Bei den Anhängern eine Legende

Kocamans Profikarriere begann in Sakarya, wo sich der Stürmer schnell einen Namen machte. Schnell ging sein Stern auf. Nachdem er den 1988 den bislang einzigen Pokalsieg von Sakaryaspor erleben durfte, wechselte er zu Fenerbahce, wo er gleich in seiner ersten Saison Meister und Torschützenkönig wurde und den Spitznamen "Kral" (König) verpasst bekam.

Nach einer weiteren Meisterschaft und zwei Torjägerkanonen wurde 1996 sein Vertrag aufgelöst. Klub-Präsident Ali Sen nahm es Kocaman krumm, dass er während der Titel-Feierlichkeiten Feners offen zugab, dass er sich nicht freuen könne, "wenn meine Freunde aus Trabzon trauern."

Er ging zu Istanbulspor und beendete dort im Jahre 2000 mit insgesamt 200 Erstligatoren seine Spielerlaufbahn. Nur vier Spieler haben in der Liga mehr Tore erzielt. Es folgten einige Trainerstationen in der Provinz, aber auch in Ankara, wo er einen schlagfertigen Klub aufbaute. 2009 dann die Rückkehr zu Fenerbahce: Nicht als Trainer, sondern als Sportdirektor, doch die Zusammenarbeit mit dem damaligen Trainer Christoph Daum wollte nicht funktionieren. Daum warf Kocaman mangelnde Unterstützung vor.

Daum-Entlassung als Chance für Kocaman

Nachdem Fener am letzten Spieltag der Saison 2009/10 im Meisterschaftsendspurt dem Rivalen aus Bursa unterlag und auch das Pokalfinale verlor, trennte sich der Verein von Daum. Trotz namhafter ausländischer Kandidaten entschied sich Aziz Yildirim, Kocaman die Verantwortung zu übertragen.

Gleich in seiner ersten Saison als Daum-Nachfolger holte Kocaman mit Fener nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Trabzonspor den Titel. Er war nach Mustafa Denizli erst der zweite türkische Fenerbahce-Coach, dem dies gelang. Wer nun dachte, dass Kocaman eine neue Erfolgsära bei Fenerbahce eingeleitet habe, sah sich spätestens am 3. Juli 2011 getäuscht.

Der Manipulationsskandal hat den Klub auf den Kopf gestellt und drohte diesen gänzlich im Chaos zu versinken. Kocaman ließ diese Unruhe an die Mannschaft nicht heran. Kein einfaches Unterfangen - auch sportlich, denn das in den Vorjahren kränkelnde Galatasaray erstarkte unter Fatih Terim wieder und entwischte in der regulären Saison mit neun Punkten Vorsprung auf Fenerbahce.

Erst Titel, dann Knast

Dass Fenerbahce am Samstag mit einem Sieg nun doch den Titel holen kann, ist beeindruckend, aber auch ohne Titelverteidigung ist es jetzt schon eine Erfolgsgeschichte, die der Trainer schrieb. "Wir haben nicht manipuliert. Wenn etwas krumm lief, dann sollen sie uns in die 2. Liga schicken. Aber wir sind mit uns im Reinen", sagt Kocaman.

Sollte am Samstag in der Tat der Titel herausspringen, wird Kocaman samt Mannschaft das Metris-Staatsgefängnis besuchen, um Aziz Yildirim den Pokal zu widmen. Dorthin wo eigentlich die Erfolgsgeschichte am 17. März so richtig begann.

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