"Schickt uns in die 2. Liga!"

Von Fatih Demireli
Anwalt Haluk Burcuoglu (l.) geht für Fenerbahce in Berufung
© Anadolu

Fenerbahces Ausschluss aus der Champions League sorgte für einen Erdrutsch im türkischen Fußball. Der türkische Fußballverband opferte Fenerbahce, um selbst nicht hart bestraft zu werden. Fenerbahce erklärt nun dem Verband und der UEFA den Krieg und provoziert inzwischen sogar einen Zwangsabstieg. Alle Fragen sind aber noch längst nicht beantwortet.

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"Es ist kein Feiertag, warum hat mich mein Schwager geküsst?", besagt ein türkisches Sprichwort. Die Türken verwenden es, wenn etwas Unvorhersehbares passiert.

Es gab unerwarteten Besuch in Istanbul. Pierre Corno, seines Zeichens wichtiges Mitglied im Disziplinarausschuss der UEFA, wurde am Montag in der Türkei vorstellig, um sich im Namen des Europaverbands über den letzten Stand des Manipulationsskandals zu informieren. Hieß es.

Nicht nur ein Informationsgespräch

Seltsam war es aber allemal: Corno besuchte nicht etwa den türkischen Verband in deren Zentrale, wie man es erwartet hätte, sondern den Staatsanwalt Mehmet Berk, der die Ermittlungen im Manipulationsskandal aufnahm und seitdem führt. Der Besuch dauerte nur zwei Stunden und Corno flog auch wieder Richtung UEFA-Zentrale in der Schweiz ab.

Die türkischen Medien waren sich sicher: "Das kann nichts Gutes bedeuten", titelten die Zeitungen. Nur der türkische Verbandspräsident Mehmet Ali Aydinlar blieb gelassen: "Es war nur ein Informationsgespräch, mehr nicht." Weit gefehlt. Dass er kurze Zeit später beim türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül erwartet wurde, wirkte nicht unbedingt wie ein Zufall.

"Die UEFA legt Wert auf die Champions League"

Dass der Besuch Cornos mehr war, als nur ein Informationsaustausch unter Partnern, verriet die UEFA am Mittwochabend: "Die UEFA-Notfallkommission hat entschieden, Fenerbahce durch Trabzonspor zu ersetzen, wenn morgen die Auslosung für die Gruppenphase der UEFA Champions League stattfindet." Grund sei die "Verwicklung im Manipulationsskandal" Fenerbahces.

Die Entscheidung, Fenerbahce nicht in der Champions League starten zu lassen, sei die Entscheidung des türkischen Verbands. Aydinlar klang aber eine Stunde vorher noch anders: "Die UEFA legt großen Wert auf die Champions League und ist deswegen an uns herangetreten." UEFA und Verband spielten sich die Bälle zu, gewesen sein wollte es keiner.

Die Drohung der UEFA

Ob nun UEFA oder TFF: Der Ausschluss Fenerbahces hatte Erdrutsch-Wirkung. Erst am 15. August hatte der türkische Verband noch entschieden, erstmal keine Sanktionen gegen die betroffenen Klubs auszusprechen. Der Verband habe nicht die vollständige Akteneinsicht, man sei nicht in der Lage die Verteidigung der Klubs zu hören, bevor man nicht alle Beweise habe.

Nur wenige Tage später, nachdem die UEFA tätig wurde, musste der Verband doch handeln. "Die UEFA teilte uns mit, dass im Falle eines Ausschlusses von Fenerbahce ihrerseits eine Strafe von acht Jahren gedroht hätte. Der ganze türkische Fußball wäre in Gefahr und dieses Risiko wollten wir nicht gehen", so Verbandsboss Aydinlar.

Fenerbahce erklärt der UEFA den Krieg

Der Verband zog den eigenen Kopf aus der Schlinge, opferte aber - entgegen der eigenen Vorgehensweise - Fenerbahce. Die Diskrepanz der Verbandsentscheidungen, zunächst keine Sanktionen auszusprechen, dann aber den Klub aus der Champions League zu disqualifizieren, sorgte bei Fenerbahce für Wut.

Der Rekordmeister erklärte dem Verband, aber vor allem der UEFA regelrecht den Krieg: "Sollte die UEFA Beweise haben, wieso trifft sie dann nicht selbst diese Entscheidung?", hieß es in einer von vielen Pressemitteilungen des Klubs. "Versucht die UEFA, im Falle einer horrenden Schadensersatzforderung unsererseits, die juristische und finanzielle Verantwortung auf den türkischen Verband abzuwälzen? Wo ist hier die Gerechtigkeit?"

"Ist Fenerbahce ein Sündenbock?"

Fenerbahce warf der UEFA vor, ein Exempel statuieren zu wollen: "Die UEFA ist nicht in der Lage, die Wett- und Manipulationsproblematik in Europa unter Kontrolle zu bekommen. Versucht die UEFA mit dem Ausschluss des wichtigsten Europapokal-Teilnehmers der Türkei zu beweisen, dass sie gegen Manipulationen vorgeht? Ist Fenerbahce ein Sündenbock?"

Doch auch der Verband bekam seinen Anteil ab: Vizepräsident Nihat Özdemir, der in Abwesenheit des in Haft sitzenden Präsidenten Aziz Yildirim den Vorsitz des Klubs übernommen hat, ließ sich in einer TV-Sendung mit Verbandsboss Aydinlar live zuschalten: "Die Vorgehensweise des Verbands ist nicht konsequent. Erst wurden wir für die Champions League gemeldet, dann ausgeschlossen."

Doch damit beließ er es nicht: "Wenn der Verband nicht in der Lage ist, uns gegen die UEFA zu verteidigen und annimmt, dass wir manipuliert haben, soll er uns in die 2. Liga schicken. Dann werden wir dort Meister und steigen wieder auf!"

Fenerbahce legt Berufung ein

Im Umfeld des Klubs wurden schnell Rufe laut, Fenerbahce solle sich aus der Süper Lig selbst zurückziehen, doch hierfür fehlt dem Vorstand die Befugnis und er müsste vorher eine Mitgliederversammlung einberufen. Inzwischen geht der Klub aber gegen den Champions-League-Ausschluss vor.

Fenerbahce legte Berufung ein und fordert eine schnelle Entscheidung: "Jetzt sind wir hier beim Verband, aber wir werden durch alle Instanzen gehen, um uns zu verteidigen. Die Entscheidung hat mit Gerechtigkeit nichts zutun. Alle werden Fenerbahce noch kennenlernen", so Klub-Anwalt Haluk Burcuoglu. Die Drohung sollte auch so verstanden werden.

Fenerbahce im Süper-Lig-Spielplan

Die Entscheidung, Fenerbahce nicht am Europapokal teilnehmen zu lassen, brachte den Verband in eine Zwickmühle. Nachdem die UEFA unverhohlen in der Pressemitteilung die Manipulation bestätigte, kann der Verband kaum noch davon sprechen, nicht genug Beweise zu haben, um selbst zu handeln. Anders hätte man Fenerbahce auch nicht von der Champions League abmelden können.

Bei der Spielplanverkündung am Donnerstag war aus Protest kein Fenerbahce-Vertreter zugegen, der Klub ist aber Bestandteil des Spielplans 2011/12. "Drei bis vier Monate wird es noch dauern", so Verbandspräsident Aydinlar, bis die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt und alle Beweise offenlegt.

Sollten sich der Verdacht bestätigen, müssten einige Klubs womöglich im laufenden Betrieb noch zwangsmäßig absteigen. Doch daran mag noch keiner denken, zumal die meisten Süper-Lig-Klubs gegen einen Zwangsabstieg von Fenerbahce und Co. sind. Die Angst, die Liga könne an Wert verlieren und damit die Klubs auch Geld, ist zu groß. Über den Wertverfall, den die Liga seit Juli schon erlitten hat, spricht allerdings niemand.

Tränen bei Trabzonspor

Bei Trabzonspor, das für Fenerbahce in die Champions League nachgerückt ist, feiert man schon insgeheim die Meisterschaft. "Wir lagen uns in den Armen und haben geweint", sagte Präsident Sadri Sener, nachdem mitgeteilt wurde, erstmals in der Königsklasse antreten zu dürfen.

Pikant ist allerdings, dass auch gegen Trabzonspor und Besiktas wegen Manipulation ermittelt wird. Sener selbst hat ein Ausreiseverbot, bis die Ermittlungen abgeschlossen werden.

"Gilt bei Trabzonspor, das für uns in der Champions League spielt, nicht die Null-Toleranz-Gedanke der UEFA?", wollte Fenerbahces Vizeboss Özdemir von Verbandsboss Aydinlar wissen. Am Donnerstag trat Özdemir nach einem Gefängnisbesuch bei Fener-Präsident Aziz Yildirim zurück. Da ist er wieder, der Schwager, der zum Küssen vorbeigeschaut hat...

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