Manchester United - Jadon Sanchos Attacke auf Erik ten Hag: Die eigene Einstellung als größter Feind?

Von Richard Martin/Oliver Maywurm
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Manchester Uniteds Trainer Erik ten Hag hat alles versucht, um Jadon Sancho wieder in die Spur zu bringen. Doch der Ex-BVB-Star stellt die Autorität des 53-Jährigen in Frage.

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Als Erik ten Hag gefragt wurde, warum Jadon Sancho in Manchester Uniteds Kader für das Premier-League-Topspiel gegen Arsenal fehlte, hätte er auf viele verschiedene Arten antworten können. Er hätte sagen können, dass der Spieler sich nicht wohl fühle. Dass es nicht das richtige Spiel für Sancho sei. Oder ganz einfach, dass der Trainer eben die Entscheidungen trifft. Stattdessen war ten Hag brutal ehrlich.

"Er ist wegen seiner Leistungen im Training nicht dabei", sagte der Coach. "Bei Manchester United muss man jeden Tag ein gewisses Level erreichen. Wir haben mehrere Optionen in der Offensive, also wurde er für dieses Spiel nicht berufen."

Sancho, der sich das vergangene Jahr über von den Medien weitgehend fern hielt und auf Social Media für gewöhnlich nicht sehr aktiv ist, schoss umgehend zurück.

Nur rund eine Stunde nach ten Hags Pressekonferenz schrieb Sancho: "Bitte glaubt nicht alles, was ihr lest! Ich werde nicht zulassen, dass die Leute Dinge sagen, die völlig unwahr sind. Ich habe mich diese Woche im Training sehr gut präsentiert. Ich glaube, dass es andere Gründe für diese Situation gibt, auf die ich nicht näher eingehen werde, aber ich bin schon seit langem der Sündenbock. Das ist nicht fair."

Und plötzlich hatte ten Hag aus dem Nichts ein weiteres ernsthaftes Problem auf der Agenda. Eines, das er nach einer Verletzungsmisere, den immer noch frischen jüngsten Entwicklungen in der Affäre um Mason Greenwood und den schweren Anschuldigungen gegen Antony überhaupt nicht gebrauchen kann. Wie der Niederländer mit all dem umgeht, wird definieren, wie ihn die Spieler und Fans bei United künftig sehen ...

Erik ten Hag und Jadon Sancho: Niederländische Direktheit

Eine Lesart der Geschehnisse vom vergangenen Sonntag ist, dass ten Hag einfach nur niederländisch handelte. Menschen aus den Niederlanden haben schließlich den Ruf, im Umgang sehr direkt zu sein.

Wie Ben Coates, Autor von "Why the Dutch Are Different" (deutsch: "Warum die Niederländer anders sind"), es formuliert: "Ich denke, die Niederlande sind ein Ort, an dem ... niemand dir etwas vormachen wird. Wenn man in einem Geschäftsmeeting etwas sagt, das nicht wirklich schlau ist, werden die Leute das immer herausstreichen."

Direktheit ist in den Niederlanden derart verwurzelt, dass es das spezielle niederländische Wort "bespreekbaarheid" dafür gibt. Es lässt sich übersetzen mit "Besprechbarkeit" - es gibt nichts, über das man in der Öffentlichkeit nicht sprechen sollte.

Jadon Sancho.
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Im Vergleich zu Louis van Gaal ist Erik ten Hag schmallippig

Louis van Gaal, neben ten Hag der einzige andere niederländische Trainer in der Geschichte Uniteds, war während seiner turbulenten zwei Jahre im Old Trafford beispielsweise berüchtigt dafür, niemals ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ob er nun eine Aktion von Robert Huth als "Sex-Machoismus" beschrieb oder er einen Journalisten als "fetten Mann" bezeichnete.

Verglichen mit van Gaal ist ten Hag regelrecht schmallippig. Doch obwohl er sich häufig auf die Zunge beißt, kann er sich manchmal einfach nicht mehr zurückhalten.

Als Marcus Rashford vergangene Saison für das Spiel gegen Wolverhampton im Kader fehlte, erklärte ten Hag das zunächst mit einer internen Disziplinar-Maßnahme und brachte seinen Offensivspieler damit dazu, zuzugeben, dass er bei einer Teambesprechung zu spät gekommen war. Und als er für eine Auswechslung von Bruno Fernandes kritisiert wurde, sagte er zu einem Journalisten: "Sie schauen einer Kuh in den Hintern."

Hinsichtlich seiner Antwort zu der Frage nach Sancho ist es nun sehr gut möglich, dass ten Hag damit überhaupt nichts Negatives im Schilde führte. Auch wenn der frühere Dortmunder das gänzlich anders sah.

Erik ten Hag: Taktvoller Umgang mit Jadon Sancho

Sanchos wütende Replik auf ten Hags Aussagen zeichnete auf den ersten Blick das Bild eines unsensiblen, harschen Trainers, der die Einstellung von einem seiner Spieler in Frage stellt. In Wahrheit ging Uniteds Coach vergangene Saison aber sehr taktvoll mit Sancho um.

Als der Ex-Dortmunder nach gutem Saisonstart einen deutlichen Formabschwung zeigte, traf ten Hag eine große Entscheidung, nahm Sancho für drei Monate aus der Mannschaft und ordnete ein individuelles Trainingsprogramm für ihn an.

Teil davon war, dass er Sancho beim niederländischen Amateurklub OJC Rosmalen mit trainieren ließ, wo der Offensivstar fernab des Spotlights rund um das Old Trafford mit Coaches arbeiten konnte, denen ten Hag vertraut.

"Nach dem Ligastart hatte er ein paar gute Spiele, aber danach sank das Niveau. Manchmal weiß man nicht, warum das so ist oder woran das liegt", erklärte der Niederländer seinerzeit.

"Meistens ist das ein schleichender Prozess. Zunächst beobachtet man etwas, aber die Statistiken verschleiern das noch. Zu Saisonbeginn hatte er Tore und Assists, aber seine Schlüsselmomente und wichtigen Aktionen wurden immer seltener. Es ist eine Kombination aus physischen, aber auch mentalen Aspekten." Wie nun bekannt wurde, war ten Hags Schilderung allerdings nicht vorab mit dem Angreifer abgesprochen.

Als Sancho im Februar in die Mannschaft zurückkehrte, tat er das mit einem lauten Knall, erzielte beim 2:2 gegen Leeds ein schönes Tor. Ten Hag lobte seinen Spieler danach: "Ich bin sehr glücklich. Er ist auf dem Weg zurück. Wir wissen, dass er ein wunderbarer Fußballer ist", sagte er und führte aus: "Er kann definitiv großen Einfluss auf unser Team haben. Ich denke, das wird ihn stärken, ihn motivieren, noch mehr zu tun. Er ist ein brillanter Fußballer und dieses zweite Tor habe ich wirklich genossen - und für ihn hat es mich ganz besonders gefreut."

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Jadon Sancho? "Am Ende muss er es selbst machen"

Schaut man sich an, was ten Hag an jenem Abend noch so sagte, lässt sich dennoch feststellen, dass schon damals durchaus Potenzial für die jüngste Konfrontation zwischen ihm und Sancho vorhanden war. Denn zu dem Lob gesellte sich auch eine Warnung, dass nur der 23-jährige Engländer selbst seine Karriere wieder ins Rollen bringen kann.

"Ich denke, es liegt in seinen Händen. Wenn er will, kann er es schaffen. Ich werde hinter ihm stehen, ebenso wie das ganze Trainerteam, die Mannschaft und die Fans. Aber am Ende muss er es selbst machen", sagte der Coach. "Wenn er gut drauf ist, ist er ein außergewöhnlicher Fußballspieler, er ist brillant. Er kann den Unterschied machen und ich hoffe, er kann diese Form halten, dem Team helfen, viele Tore erzielen, viele Chancen kreieren und viele Assists liefern."

Sieben Monate später wissen wir, dass sein vielversprechendes Comeback für Sancho kein Sprungbrett in eine glänzende kurzfristige Zukunft war. Er war nicht oft genug auf einem guten Niveau. Zwar traf er zwei Wochen nach seiner Rückkehr sehenswert gegen Leicester, fiel im April gegen Tottenham dann auch mit einem feinen Treffer auf. Aber zu häufig mangelte es ihm an seiner gewohnten Spritzigkeit, an seiner Kreativität früherer Tage.

Zu häufig entschied er sich für den Sicherheitspass und verlangsamte einen Konter statt ein Risiko einzugehen und die Defensive damit aus den Angeln zu heben. In den finalen drei Monaten der letzten Saison stand Sancho zehnmal in der Liga in der Startelf, kam dabei nur auf zwei Tore und zwei Vorlagen. Und nachdem er auf der USA-Reise in der Vorbereitung einige gute Momente als falsche Neun hatte, fehlte er bei Uniteds ersten drei Premier-League-Partien der neuen Spielzeit jeweils in der Startelf. Stets kam er dabei von der Bank, trat aber nur selten nachhaltig in Erscheinung.

Jadon Sancho: Grenzen austesten beim BVB

Es könnte sein, dass Sancho mit einem persönlichen Problem zu kämpfen hat, von dem die Öffentlichkeit gar nichts weiß. Dele Allis herzzerreißendes Interview mit Gary Neville im Sommer sollte alle daran erinnert haben, dass auch Fußballer nur Menschen sind und private Schwierigkeiten haben können, die sich auf ihr Leben als Profi auswirken.

Ob man damit an die Öffentlichkeit geht oder nicht, liegt einzig und allein in den Händen der Spieler - und es sollte klar sein, dass private Dinge privat bleiben müssen, wenn der Spieler das so möchte.

Alles, was United tun kann, ist, den Spieler zu unterstützen und zu ermutigen, sein altes Ich wiederzufinden. Der Verein und auch ten Hag haben im Fall Sanchos vieles unternommen, um dessen Karriere wieder in die Spur zu bringen.

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Jadon Sanchos Einstellung als größter Feind

Vermutungen legen derweil nahe, dass Sanchos Einstellung sein größter Feind sein könnte. Zu BVB-Zeiten, als er zu einem der aufregendsten Offensivtalente der Welt avancierte, hatte er mehrere Auseinandersetzungen mit Dortmunds damaligem Trainer Lucien Favre.

2019 wurde Sancho etwa für ein Spiel gegen Gladbach nicht berücksichtigt, nachdem er von der Nationalmannschaft zu spät zum Verein zurückgekehrt war. Der damalige Dortmunder Sportdirektor Michael Zorc erklärte: "Jadon ist ein guter Junge, aber er ist noch sehr jung und schnell groß geworden. Er testet vielleicht ein bisschen seine Grenzen aus und daher haben wir entschieden, ihn heute nicht zu berücksichtigen."

Auch 2020 testete Sancho seine Grenzen aus, als er während des Corona-Lockdowns gegen die Regularien verstieß, um einen Haarschnitt zu bekommen und dafür von der DFL bestraft wurde.

"Er muss in manchen Dingen einfach disziplinierter sein, aber das weiß er auch selbst", sagte Dortmunds Mittelfeldspieler Emre Can seinerzeit über Sancho. "Er muss einfach cleverer sein und an solchen Sachen wachsen. In Zukunft kann er sich nicht mehr leisten, derlei Fehler zu machen. Man muss Jadon den richtigen Weg aufzeigen. Er ist ein Top-Junge, auch abseits des Platzes. Er macht das ja nicht mit Absicht, um einen Skandal zu erzeugen."

Auch mit der Pünktlichkeit soll Sancho bei United und auch bei der englischen Nationalmannschaft immer wieder so seine Probleme haben. Er und Phil Foden wurden mal für ein U19-Länderspiel gegen Lettland aus dem Team gestrichen, weil sie zu spät zu einer Mannschaftsbesprechung kamen. Und laut der Daily Mail soll England-Trainer Gareth Southgate von Sanchos Schmollen unbeeindruckt gewesen sein, nachdem er ihn im EM-Auftaktspiel 2021 gegen Kroatien nicht in den Kader aufgenommen hatte. Ohnehin hat der United-Star in den vergangenen zwei Jahren lediglich einmal für die Three Lions gespielt.

Jadon Sancho als Sündenbock bei Manchester United?

Es ist verständlich, dass Sancho sich verteidigen wollte, nachdem ten Hag seine Trainingsleistungen kritisiert hatte. Mit dem Ton seiner Reaktion hat aber weder sich selbst noch seinem Coach einen Gefallen getan. Dass Sancho sich darüber beklagt, zum "Sündenbock" für die Schwierigkeiten des Teams gemacht zu werden, soll bei ten Hag gar nicht gut angekommen sein.

Zumal es dafür zumindest öffentlich zuletzt gar keine Indizien gab. Ein Spieler, der diese Saison noch nicht der Startelf stand, kann nicht für Uniteds Probleme verantwortlich gemacht werden. In den Medien bekamen dahingehend vielmehr Bruno Fernandes, Casemiro oder Marcus Rashford ihr Fett weg. Sancho wurde bis letzten Sonntag hingegen kaum erwähnt.

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Hat Jadon Sancho noch eine Zukunft bei Manchester United?

Ten Hag ist bekannt dafür, keine Rücksicht auf Spieler zu nehmen, die auf dem Platz schlichtweg ihre Leistung nicht bringen. David De Gea und Harry Maguire können ein Lied davon singen.

Dem spanischen Keeper entging ein neuer Vertrag, währen dem englischen Verteidiger das Kapitänsamt entzogen wurde. Auch im Fall von Cristiano Ronaldo zeigte ten Hag bekanntlich keine Gnade, nachdem der Portugiese die Autorität des Trainers in Frage gestellt hatte. "Ich habe keinen Respekt vor ihm, weil er mich nicht respektiert", hatte CR7 in seinem berühmten Interview mit Piers Morgan über ten Hag gesagt.

Sancho indes hat sich nun neben ausbleibender sportlicher Leistung auch noch auf persönlicher Ebene mit dem Trainer angelegt. Um seine Autorität zu wahren, hat ten Hag gar keine andere Wahl, als hart durchzugreifen.

"Wenn eine ähnliche Situation wie nun zwischen Sancho und ten Hag in Zeiten von Sir Alex Ferguson entstanden wäre, hätte er den Spieler für ein paar Wochen auf die Bank oder die Tribüne gesetzt", sagte der frühere United-Stürmer Louis Saha bei Paddy Power. "Niemand hätte eine solche Entscheidung angezweifelt, denn es gibt genügend Konkurrenz und andere gute Spieler für einen Platz in der Stammelf. Er (Ferguson, d. Red.) war der Mann in der Verantwortung und niemand hätte ihn öffentlich in Frage stellen können. Insbesondere im Wissen darüber, wie er reagieren würde. Niemand hätte sich mit Sir Alex angelegt."

Trotz Uniteds komplizierten Saisonstarts ist ten Hag der vielversprechendste Trainer der Red Devils seit Ferguson. Unter Sir Alex verließen sogar Spieler wie Roy Keane oder David Beckham den Verein, nachdem sie dessen Autorität untergraben hatten. Beide waren weitaus bedeutendere Spieler für United als Sancho - und doch mussten beide gehen.

Sollte sich Sancho nicht bei ten Hag entschuldigen und ihn nicht davon überzeugen können, dass er bereit ist, um seinen Platz zu kämpfen, wird ihm das gleiche Schicksal blühen.

Premier League: Die Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Manchester City411:2912
2.Tottenham Hotspur411:4710
3.Liverpool49:3610
4.West Ham United49:4510
5.Arsenal48:4410
6.Brighton & Hove Albion412:669
7.Crystal Palace45:417
8.Brentford48:536
9.Nottingham Forest46:606
10.Aston Villa48:9-16
11.Manchester United45:7-26
12.Chelsea45:504
13.Fulham44:10-64
14.Newcastle United47:703
15.Wolverhampton Wanderers44:8-43
16.AFC Bournemouth44:8-42
17.Sheffield United44:7-31
18.Everton42:8-61
19.Luton Town32:9-70
20.Burnley33:11-80
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