Der beste Spieler, der keine Tore schießt

Von Jan Menzner
Roberto Firmino wird mit dem LFC gegen seinen Ex-Klub Hoffenheim antreten
© getty

Am Mittwoch kämpft die TSG Hoffenheim an der Liverpooler Anfield Road um den Einzug in die Champions League (ab 20.45 Uhr im LIVETICKER). Eine 1:2-Niederlage aus dem Hinspiel gilt es auszugleichen. Einer, der mit allen Mitteln versuchen wird, dies zu verhindern, ist Roberto Firmino - der Ex-Kraichgauer, der seit 2015 das rote Trikot des FC Liverpool trägt.

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Doch Firmino ist in Liverpool nicht irgendwer. Nein, unter dem deutschen Coach Jürgen Klopp ist der Brasilianer ein, wenn nicht: der Schlüsselspieler der Reds-Offensive. Bei dem extrem hohen Pressing, das Kloppo bereits beim BVB exerzieren lies, kann der falsche Neuner alle seine Qualitäten perfekt einsetzen.

Da wäre zum einen ein ausgeprägtes Verständnis für die defensive Arbeit, geschult durch jahrelange Abwehrerfahrung. Bis zur A-Jugend, so erzählte Firmino es Ende Dezember der Daily Mail, spielte er nämlich immer in der Viererkette.

Die zweite große Stärke ist das schnelle Umschaltspiel. Häufig ist Firmino, sofern das Pressing zum Ballgewinn geführt hat, die erste Anspielstation. Der Brasilianer hat dann die Wahl: Sich blitzschnell drehen und selber den Weg zum Tor suchen oder seine überragende Übersicht nutzen und die schnellen Flügel wie Coutinho oder Mane bedienen. Er ist, wie Klopp von sport.de zitiert wird, "ein Torjäger, ein Kämpfer, ein Verteidiger."

"Wie bitte?" Firmino schießt zu wenig Tore?

Genau diese Variabilität will Klopp in seinem Spiel sehen. Als die Kollegen von Goal ihn unlängst darauf ansprachen, dass Firmino für einen Neuner wenig Torgefahr ausstrahle, erwiderte der Trainer beinahe empört: "Wie bitte? So wie er das Spiel zum Nutzen des ganzen Teams liest, ist er der beste Spieler, auch ohne Tore zu schießen. Überragend!"

Tatsache ist, dass Firmino für einen Stürmer eher unterdurchschnittliche Quoten in Sachen Abschlusshäufigkeit und auch -genauigkeit aufweist. Doch: Liverpool braucht, zumindest im Klopp'schen System, auch keinen herausragenden Scorer.

In der vergangenen Saison erzielten die Reds 78 Tore, ohne einen einzigen Spieler in den Top Ten der Torjägerliste zu platzieren. Das sind 23 mehr als Ibrahimovics United und 16 mehr als Lukakus Everton.

Die Unberechenbarkeit und die Stärke in der Breite macht die Liverpooler Abteilung Attacke so furchteinflößend. Bereits vergangene Saison holten vier Spieler eine zweistellige Torausbeute - jetzt hat Klopp mit Neuzugang Mohamed Salah sogar noch eine weitere Waffe zu Verfügung. Und Firmino hat einen weiteren Abnehmer für seine Vorlagen.

Firmino und Salah: Traum-Duo?

Nicht mal eine Stunde war die neue Premier-League-Saison alt, da hatte das Duo Firmino/Salah bewiesen, dass kein Gegner sie auf die leichte Schulter nehmen sollte: Mit einem 1:2-Rückstand ging es am 1. Spieltag gegen Watford in die Pause. Dann wird in der 55. Minute Salah im Strafraum vom gegnerischen Torhüter gelegt.

Doch er verzichtet darauf, den Elfer selbst zu schießen. Stattdessen geht Firmino zum Punkt - und verwandelt trocken ins linke untere Eck.

Drei Minuten später revanchiert sich der Brasilianer. Erst holt er im gegnerischen Strafraum einen langen, hohen Ball aus dem eigenen Mittelfeld wunderschön aus der Luft - nur um ihn dann umgehend wieder in dieselbe zurückzubefördern. Der Lupfer schlüpft zwischen Watfords Keeper und seinen Innenverteidigern durch und landet genau auf dem Fuß Salahs, der diesen nur noch hinhalten muss um sein Debüt-Tor zu erzielen.

Liverpool riskierte beim Firmino-Kauf viel - und gewann mehr

Das Spiel in Watford sagt zweierlei aus. Erstens, Firmino und Salah harmonieren prächtig. Übrigens auch neben dem Platz, wo Firmino anstandslos seine angestammte Rückennummer gegen die neue Nummer 9 wechselte, da Salah doch so gerne die 11 tragen wollte.

Zweitens, das Team und der Coach vertrauen auf ihren Stürmer in brenzligen Situationen - zum Beispiel bei einem Elfmeter, während man in Rückstand liegt. Der 25-Jährige ist seit seinem Wechsel auf die Insel zur Saison 15/16 zu einem Führungsspieler gereift.

Dass er innerhalb so kurzer Zeit eine so wichtige Rolle bei dem Premier-League-Klub einnehmen würde, war bei seinem Wechsel vor zwei Jahren nicht unbedingt absehbar. 41 Millionen blätterten die Reds damals für den in England weitestgehend unbekannten Youngster hin. Damals der zweitteuerste Einkauf in der langen Historie Liverpools.

Identifikation und harte Arbeit: Der Marathon Man

Der Spiegel schrieb anlässlich Firminos Wechsel: "Ist er wirklich die kolportierten 41 Millionen Euro wert? Natürlich nicht." Der Spiegel irrte sich. Wenn man heutige Transfersummen als Vergleich heranzieht, ist Firmino sogar eher ein Schnäppchen: 24 Tore und 23 Vorlagen in 93 Spielen, ein Vertrag bis zum Ende der Saison 19/20 und jede Menge Einsatz - das kostet eben Geld.

Besonders der letzte Punkt ist einer, der zudem nur schwer in Statistiken erfassbar ist. Die englischen Medien betitelten Firmino in der vergangenen Saison als "Marathon Man", da er häufig die meisten Kilometer aller Akteure auf dem Platz abriss, doch es ist nicht nur Laufbereitschaft, die Firminos Einsatz für den Verein ausmacht.

Der Daily Mail sagte Firmino: "Ich wusste, dass ich würde kämpfen und hart arbeiten müssen, um mir meinen Traum zu erfüllen. Und jetzt bin ich hier." Firmino identifiziert sich mit Liverpool. Er teilt die Werte, die die Anhängerschaft der Reds beinahe gebetsmühlenartig rezitiert: Aufopferungswille, für den Nebenmann einstehen, harte Arbeit und Beständigkeit.

Firmino-Paradies Liverpool

Dass Firmino in Liverpool sein fußballerisches Paradies gefunden hat, liegt aber nicht nur am passenden Umfeld, sondern am dritten Puzzlestück, das drei Monate nach dem Brasilianer an der Anfield Road präsentiert wurde: Arbeitercoach Jürgen Klopp.

Firmino sagt über Klopp, er fordere immer: "Hört nicht auf. Hört niemals auf. Macht immer weiter." Er habe "die Arbeitermentalität aus Deutschland mitgebracht" und wenn man tue, was der Coach verlangt, "wird er dich niemals hängen lassen."

Klopp seinerseits sagt, Firmino sei bei seinem Wecshel "einer der besten Spieler in der Bundesliga" gewesen. Zudem sei er aufmerksam und höre gut zu, weil er immer weiter dazu lernen möchte. Kurz gesagt: Die beiden passen perfekt zusammen.

Klare Linie statt Hoffenheimer Chaos

Vergessen sind die Querelen aus Kraichgauer Zeit, als der damalige Coach Holger Stanislawski den Brasilianer trotz herausragender Leistungen suspendierte, weil dieser das Training schwänzte.

Zwischen Firminos Ankunft 2011 und seinem Abschied 2015 verschliss die TSG sechs Trainer (Pezzaiuoli, Stanislawski, Babbel, Kramer, Kurz, Gisdol), kam nie über den achten Platz hinaus und musste 2013 sogar in die Relegation.

Kein Wunder, dass Firmino "keine Sekunde gezögert" sondern "einfach ja gesagt" hat, als Liverpool bei ihm anklopfte. Rückblickend kommt der Wechsel nach England einer Befreiung gleich, die es Firmino ermöglichte, endlich sein volles Potenzial auszuschöpfen.

Hoffenheim vs. Liverpool: Nur einer kann gewinnen

Doch auch die TSG hat seitdem eine 180-Grad-Wende vollzogen. Vom chaotischen Abstiegskandidaten hat man sich zu einem der besseren Klubs der Bundesliga gemausert und nun soll der nächste Schritt kommen: Die Champions League!

Entscheidend für das Erreichen dieses Ziels wird sein, wie gut die Hoffenheimer es schaffen, den kreativen Kopf der Liverpooler Offensive aus dem Spiel zu nehmen. Er ist der Antagonist, den man selbst aufgebaut hat.

Die Liverpool Echo zitierte Firmino Anfang des Monats: "Ich möchte mich jetzt auf die Mannschaft konzentrieren. Ich will mit Liverpool Titel gewinnen und in die Geschichte dieses Klubs eingehen." Der Weg in die Annalen, er führt über Hoffenheim. Mittwochabend. 20.45 Uhr.

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