Einem unschönen Abgang aus Schalke folgte das Fußballwunder von Leicester: Christian Fuchs überrollt mit dem Underdog die Premier League. Der Verteidiger im Gespräch über die Fußballkultur in England, Top-Goalgetter Jamie Vardy und #NoFuchsGiven. Außerdem: Warum David Alaba im ÖFB-Team nicht heraus sticht.
SPOX: Herr Fuchs, wenn Ihnen jemand gesagt hätte, dass sie ein halbes Jahr nach ihrem Wechsel Stammspieler beim englischen Tabellenführer sein werden, was hätten Sie demjenigen gesagt?
Christian Fuchs: Zum Stammspieler hätte ich gesagt: Passt, perfekt! Das mit dem Tabellenführer hätte sich damals natürlich doof angehört. Ich muss aber sagen, dass es ob der Entwicklung, die wir genommen haben, verdient ist. Es steckt wahnsinnig viel Arbeit dahinter. Dass wir eine gute Rolle spielen, oder zumindest wenig mit dem Abstieg zu tu haben, habe ich mir aber schon nach ein paar Tagen Training gedacht.
SPOX: Also ist die aktuelle Situation keine Überraschung für Sie? Viele fragen sich, wie das geht, sieht man sich die Biographien der Spieler oder die teilweise unterirdischen Statistiken an.
Fuchs: Ich habe mit nur gedacht, dass wir nicht gegen den Abstieg spielen müssen. Das hat sich bewahrheitet. Dass es so gut läuft, hätte sich natürlich niemand erträumen können. Passt also. (lacht)
SPOX: Was ist das Erfolgsgeheimnis der Foxes?
Fuchs: Erst einmal hat niemand mit uns gerechnet. Viele haben uns unterschätzt. Wir spielen vielleicht keinen schönen Ballbesitzfußball, aber sind unheimlich effektiv. Unser Umschaltspiel ist schnell und kann jedem Team wehtun. Man merkt, dass die anderen Teams äußerst ungern gegen uns spielen.
SPOX: Sie sind jetzt ein halbes Jahr auf der Insel. Wie erleben Sie die englische Fußballkultur?
Fuchs: Allgemein geht's in den Stadien etwas ruhiger zu. Wobei in Leicester richtig Dampf dahinter ist, wenn das Stadion voll ist. Es geht soweit, dass meine Familie nach dem ersten Besuch gesagt hat, dass sie nicht miteinander reden konnten, weil es so laut war. Generell gibt es aber eine gewisse Distanz zwischen Spielern und Fans. Die Trainings sind nicht öffentlich, was ich persönlich gut finde. So kann man individuell und konzentriert in Ruhe arbeiten, in Deutschland ist das oft nicht möglich. Ich meine: Wie soll man da in Ruhe etwas einstudieren? Wenn immer Leute da sind, wenn man nie weiß, welche Leute da sind? Vielleicht sogar von anderen Vereinen. Das soll aber nicht heißen, dass die eine oder die andere Liga besser oder schlechter ist.
SPOX: Merkt man die monetären Vorteile, die die Premier League hat, auch im Umfeld eines kleineren Klubs wie Leicester?
Fuchs: Klar macht sich das bemerkbar. Wo finanzielle Kraft ist, kann man auch mehr bewegen. Das Team, das um die Mannschaft agiert, ist viel größer. Es gibt beispielsweise nicht nur einen Video-Analysten, sondern eine ganze Abteilung. Ein gravierender Unterschied ist aber, dass die Menschen hier unglaublich locker sind, es ist nicht alles stocksteif, man hat viel Spaß miteinander. Das ist wichtig, um sich wohlzufühlen und die letzten Prozente rauszukitzeln.
SPOX: Es hört sich so an, als hätten Sie Ihr Glück gefunden. Ist das nach dem unschönen Abgang aus Schalke Balsam auf die Seele?
Fuchs: Mit dem Thema Schalke habe ich abgeschlossen. Ich will weder zurückschauen noch nachtreten. Leicester ist das Beste, was mir passieren konnte - sportlich, aber auch aus menschlicher Sicht. Die Leute des Klubs nehmen sehr viel Rücksicht auf das Privatleben der Spieler, das genieße ich sehr.
SPOX: Wie meinen Sie das?
Fuchs: Wenn du auf dem Platz Gas gibst, bekommst du in privaten Dingen viel Unterstützung. Meine Familie lebt zum Beispiel in New York, da meine Frau dort eine Firma hat. Kürzlich konnte ich an einem freien Tag rüber fliegen, weil der Klub weiß, dass es für den Privatmenschen Fuchs wichtig ist, bei seiner Familie zu sein. Auch der Umgang innerhalb der Mannschaft ist sehr locker. Nach dem ersten Zu-Null-Sieg haben wir zusammen Pizza gemacht.
Seite 1: Fuchs über das Geheimnis der Foxes und Abstecher nach New York
Seite 2: Fuchs über Sitznachbar Vardy und Österreichs EM-Chancen
SPOX: Auch bei den Fans sind Sie schon absolut beliebt, Sie haben mit #NoFuchsGiven schon Ihren eigenen Hashtag, weil viele Anhänger Ihren Namen falsch aussprechen.
Fuchs: Mittlerweile wissen sie, dass es "Fjuucks" ausgesprochen wird. (lacht) Die Leute lieben das und sind verrückt nach dem Hashtag und was ich damit mache. Ich bekomme wirklich viel Rückendeckung von den Fans und der Vereinsführung, aber auch, weil ich mich sehr wohl fühle und gute Leistungen bringe.
SPOX: Dabei durften Sie erst ab dem 8. Spieltag regelmäßig ran.
Fuchs: Der Trainer hatte es nach der Vorbereitung brutal schwer. Claudio Ranieri hatte ein Luxusproblem und hat sich dann für elf Spieler entschieden. Und: Wir waren ja erfolgreich und haben gut gespielt. Dass man an so einer Mannschaft festhält, versteht auch jeder. Ich habe aber viel Feedback bekommen und hatte viele Gespräche mit ihm. Er sagte, dass die Saison lang sei und ich meine Chance bekommen würde. Die habe ich dann auch genutzt und ich habe den Trainer überzeugt, mich drin zu lassen.
SPOX: Also zusammenfassend: Sie sind rundum glücklich?
Fuchs: Was soll ich groß negativ sagen? Natürlich, wenn man so einen Lauf hat, dann strebt man danach, auch wirklich jedes Spiel zu gewinnen. Und klar ist es schön, gegen Manchester United unentschieden zu spielen - gerade, weil Jamie Vardy sein Rekordtor geschossen hat -, aber wir waren schon traurig, die Partie nicht gewonnen zu haben, weil wir klar mehr Chancen hatten. Wir haben schon auch Punkte liegen lassen.
SPOX: Wie erleben Sie Vardy, was ist er für ein Typ? Er hat ja eine irre Laufbahn hinter sich.
Fuchs: Die Sachen aus seiner Jugend hängen ihm nach und prägen natürlich auch das Bild von ihm, aber Jamie ist ein netter und spaßiger Typ. Ich sitze in der Kabine am Trainingsgelände neben ihm und habe viel Kontakt mit ihm. Er hat keine Allüren, sondern weiß ganz genau, was er für die Mannschaft machen muss, damit wir erfolgreich sind. Er ist unser erster Verteidiger. Was Jamie vorne im Vollsprint an Kilometern frisst, ist phänomenal.
SPOX: Louis van Gaal hat gesagt, Leicester könne Meister werden. Christian Fuchs sagt dazu was?
Fuchs: (lacht) Ne! Wir wären letztes Jahr beinahe abgestiegen, wir wissen also, wo wir herkommen. Unser Ziel bleiben die 40 Punkte, da sind wir auf einem guten Weg. Danach können wir schauen, wie es weiter geht. Von der Meisterschaft reden will aber niemand. Und es wäre auch vermessen.
SPOX: Ein so großer Außenseiter sind Sie mit Österreich bei der EM nicht. Portugal, Island und Ungarn heißen die Gegner. Die Meinung des Kapitäns?
Fuchs: Es hätte uns härter treffen können. Aber wenn du zur EURO fährst, dann ist es im Endeffekt ziemlich egal, wer in der Gruppe ist. Ungarn hat die Norweger in den Playoffs geschlagen, Island hat Holland rausgekickt und über Cristiano Ronaldo brauchen wir eh nicht reden. Auf uns wartet eine schöne Aufgabe. Wir haben auch das Selbstvertrauen, um zu sagen, dass wir hinfahren, um jedes Spiel zu gewinnen. Das ist unser Anspruch.
SPOX: Sehen Sie sich als Favorit der Gruppe?
Fuchs: Nein, überhaupt nicht! Island und Ungarn haben auch eine Euphorie entfacht, die Mannschaften tragen kann und noch einmal extra Kraft verleiht. Favorit auf den Gruppensieg ist nach wie vor Portugal. Das ist eine Top-Mannschaft mit Weltklasse-Spielern.
SPOX: Dennoch erleben wir die beste ÖFB-Auswahl seit langem. Woher kommt die neue Stärke?
Fuchs: Das ging nicht von heute auf morgen. Trainer Marcel Koller hat erheblichen Anteil daran, weil er seit vier Jahren einen klaren Weg vorgibt. Natürlich hatten wir auch Rückschläge, zum Beispiel, als wir bei der WM-Qualifikation gegen Schweden den Kürzeren gezogen haben. Der Weg war nicht immer einfach - aber kontinuierlich. Wie bei Leicester war's auch bei der Nationalmannschaft eine Heidenarbeit. Wir haben uns mit der EM-Endrunde belohnt, mehr aber noch nicht.
SPOX: Was ist der Schlüssel, damit die EURO für das ÖFB-Team zur Erfolgsgeschichte wird? Der Coach? Die Stars wie David Alaba?
Fuchs: Bei uns gibt es keine Spieler, die großartig herausstechen. Klar, David Alaba hat wegen seines Klubs und der Erfolge einen gewissen Status, aber wir haben unsere Spiele in der Qualifikation auch gewonnen, als er verletzt war. Den Erfolg an Einzelnen aufzuhängen, ist falsch. Die Mannschaft funktioniert und ist der Star. So muss das auch bleiben.
Seite 1: Fuchs über das Geheimnis der Foxes und Abstecher nach New York
Seite 2: Fuchs über Sitznachbar Vardy und Österreichs EM-Chancen
Christian Fuchs im Steckbrief
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren



