Das tragische Leben des Nii Lamptey: Wenn Fußballer zu Waren werden

Von Dennis Melzer
Er wurde von Pelé als sein legitimer Nachfolger auserkoren. Doch die Raffgier eines Beraters zerstörte Lampteys Träume.
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Er wurde von Pelé als sein legitimer Nachfolger auserkoren. Doch die Raffgier eines Beraters zerstörte Lampteys Träume.

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Ghana, Anfang der 1990er Jahre. Ein Teenager liegt im Kofferraum eines Taxis, ängstlich, ohne zu wissen, was aus seinem Leben wird. Nur eines weiß der 15-Jährige: Er muss fliehen. Er muss weg aus Ghana, weg von dem Ort, wo einst seine Wiege stand. Nii Lamptey will Fußball-Profi werden, verfügt zudem über herausragendes Talent, genau das zu schaffen. Aber nicht in seiner Heimat, nicht dort, wo sein gewalttätiger Vater ihn misshandelt, ihm Zigaretten auf der Haut ausdrückt, wenn er wieder zu viel getrunken hat.

Aus Angst kehrt der Junge nicht mehr zurück ins Haus, zieht es vor, nächtelang unter parkenden Autos zu schlafen, bis er sich endlich dazu entschließt, seiner Familie den Rücken zu kehren. Von einem Bonus, den Lamptey 1989 nach der U16-Weltmeisterschaft vom ghanaischen Verband erhalten hatte, bezahlt er den Taxifahrer, der ihn illegal außer Landes bringen soll.

Eine Odyssee, die er viele Jahre später im Rahmen einer Dokumentation als "absolute Hölle" bezeichnen sollte. Im nigerianischen Lagos angekommen und aus seinem Kofferraum-Versteck befreit, trifft das Top-Talent auf Stephen Keshi, der zu diesem Zeitpunkt beim belgischen Spitzenklub RSC Anderlecht unter Vertrag steht. Er soll Nii dabei helfen, den Sprung nach Europa ebenfalls zu schaffen.

Im Interview mit 11Freunde aus dem Jahr 2012 erklärte Lamptey: "Er gab mich als seinen Sohn aus, besorgte mir einen Pass, und gemeinsam flogen wir nach Belgien. In dem Probetraining, das er für mich bei seinem Klub RSC Anderlecht organisiert hatte, spielte ich, als ginge es um mein Leben." Mit Erfolg: Anderlecht will den jungen Afrikaner tatsächlich verpflichten, die Erfüllung des Traums ist realer denn je.

Er wurde von Pelé als sein legitimer Nachfolger auserkoren. Doch die Raffgier eines Beraters zerstörte Lampteys Träume.
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Er wurde von Pelé als sein legitimer Nachfolger auserkoren. Doch die Raffgier eines Beraters zerstörte Lampteys Träume.

Nii Lamptey: Fünf Klubs in vier Jahren

Es geht alles recht schnell. Lamptey bringt alles mit, um den Sprung nach ganz oben zu schaffen, feiert im Alter von gerade einmal 16 Jahren sein Debüt für die Brüsseler. Bei der U17-WM 1991 wird er mit der ghanaischen Nationalmannschaft unter dem deutschen Trainer Otto Pfister zum ersten Mal in der Geschichte des Landes Weltmeister, zudem bester Spieler des Turniers - vor keinem geringeren als Alessandro del Piero. Brasilien-Legende Pele sieht in Lamptey, dem Top-Talent der Black Stars, seinen Nachfolger. Mit seiner rasanten Entwicklung steigen die Ansprüche an ihn, er wechselt zur PSV Eindhoven, wo er mit 19 prompt zum Top-Scorer seiner Mannschaft avanciert. Es sollte der Höhepunkt der Karriere des Wunderkindes sein, die im Anschluss ausschließlich bergab ging, was Lampteys Angaben zufolge einen bestimmten Grund hatte.

1994 wechselt der "kleine Pele" nach England, zu Aston Villa, kommt lediglich zehnmal zum Einsatz, um in der darauffolgenden Saison für Coventry City nur noch sechs Spiele zu absolvieren. Was ist passiert? Warum gelingt dem verheißungsvollsten Nachwuchsspieler der Welt nirgendwo der Durchbruch?

"Ich wurde nicht als Mensch behandelt, sondern als Ware", erklärte Lamptey im Gespräch mit 11Freunde. Und weiter: "Erst 1997, nachdem ich innerhalb von vier Jahren für fünf verschiedene Klubs gespielt hatte, begann ich mich zu fragen: Wie soll ich mich bloß durchsetzen, wenn ich vor jeder Saison woanders hingeschickt werde? Dann fand ich heraus, dass die Transferrechte an mir nicht bei einem Klub lagen, sondern bei einem Spielervermittler."

Eben jener Spielervermittler war bereits in Lampteys Zeit bei Anderlecht in dessen Leben getreten. "Ein paar Jahre zuvor hatte er mir Geld gegeben, es war nicht viel, aber ich brauchte es. Dafür musste ich ein Papier unterzeichnen, das er mir hinhielt." Mit tragischen Folgen. Lamptey, der eigenen Angaben zufolge nicht lesen konnte, hatte einen Vertrag unterschrieben, der dem dubiosen Vermittler quasi eine Generalvollmacht über die Transferrechte verlieh. "Er verkaufte mich immer weiter, ohne mir davon zu erzählen. Und jedes Mal verdiente der Teufel Geld."

Nii Lamptey: Zwei grausame Schicksalsschläge

Ex-Trainer Pfister, der etliche National- sowie Vereinsmannschaften in Afrika trainierte, weiß um die Problematik auf dem Kontinent. Der mittlerweile 79-Jährige sprach kurz vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland sogar diesbezüglich von "modernem Sklavenhandel". Zu diesem Zeitpunkt war Lampteys Karriere als Fußballer längst gescheitert. Zwischenzeitlich spielte der Mittelfeldmann auch in Deutschland. Von 1999 bis 2001 stand er bei der SpVgg Greuther Fürth unter Vertrag, erzielte sogar fünf Treffer für die Kleeblätter. An seine Zeit in Franken denkt er dennoch nicht gerne zurück. "Damals starb meine Tochter Lisa. Es war der zweite Schicksalsschlag, nachdem in Argentinien mein Sohn Diego an derselben Krankheit, einem Lungendefekt gestorben war."

Heute lebt der 48-Jährige in der ghanaischen Hauptstadt Accra, gründete dort eine Fußballschule. Ihm sei "wichtig, dass wir hier neben dem Training auch etwas für die Bildung der Kinder tun." Der Versuch, Nachwuchskickern das zu geben, was ihm nie zuteilwurde. Geborgenheit, eine schulische Laufbahn und die Vorbereitung auf ein etwaiges Leben fernab von zuhause. Aber vor allem das unbändige Bedürfnis, dass die Kinder niemals die Hölle durchmachen, mehr als Ware denn als Mensch zu gelten.

Lamptey im Jahr 2019.
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Lamptey im Jahr 2019.

Nii Lamptey: Verrohtes Fußball-Geschäft

Lampteys Geschichte liest sich wie eine Mischung aus Kriminalroman und Tragödie, durchzogen von großem Elend und schweren familiären Katastrophen. Sie zeigt dabei aber auch auf, dass der Profi-Fußball nicht immer Glanz und Glamour bedeutet, dass raffgierige Vermittler schon vor über 30 Jahren ein düsteres Handwerk mit jungen, unwissenden Fußballern betrieben, das eigene monetäre Wohl über das ihrer vermeintlichen Klienten stellten.

Lampteys Traum, der eines Tages in einem ghanaischen Taxi entstand, beflügelt von Hoffnungen und Wünschen, aufgrund falscher Versprechungen zum Albtraum mutierte, vielleicht nur ein trauriges Einzelschicksal. Vielleicht aber auch die Spitze des Eisbergs eines verrohten Geschäfts.