Gonzalo Higuaín im Interview: "Ich will aufhören, diese Scheiße zu fressen"

Haben Sie ein Beispiel?

Higuaín: Manchmal schießt man drei Tore und lässt das vierte liegen. Das bleibt dann im Kopf. Ich habe auch einige Endspiele verloren: Bei der Copa America und der Weltmeisterschaft zum Beispiel. Und ich hatte das Pech, derjenige zu sein, der ein wichtiges Tor (im WM-Finale 2014, Anm. d. Red.), eben nicht erzielt hat. Das waren harte Zeiten. Aber ein Jahr später wechselte ich für 90 Millionen Euro zu Juventus und war der teuerste Argentinier der Geschichte... Wichtig ist, dass man sich nicht von seinem Ziel ablenken lässt. Das ist die mentale Stärke, die ich vorhin erwähnt habe. Ein Stürmer lebt von den Toren, die er erzielt, und stirbt an den Chancen, die er nicht macht. Das ist es, was mit der Position einhergeht.

Hatten Sie bisher Zeit dazu, Ihre Karriere zu reflektieren?

Higuaín: Nein, ich konnte noch nicht innehalten und darüber nachdenken, was ich erreicht habe. Aber wenn ich aufgehört habe, werde ich mich hinsetzen und in Ruhe an meine Erfolge denken. Und ich werde das genießen. Ich bin super stolz auf das, was ich erreicht habe. Ich habe für die besten Klubs der Welt gespielt. Ich bin neun Jahre lang für die Nationalmannschaft aufgelaufen. Ich habe bei der Weltmeisterschaft und in der Champions League gespielt und alle Ziele erreicht, die ich mir vorgenommen hatte. Gewinnen und verlieren gehört dazu. Das Wichtigste ist der Weg, den man gegangen ist und den werden mir die Leute nie nehmen. Ich hatte eine wunderbare Karriere und empfinde es als Glück, mit vielen Superstars gespielt zu haben.

Als Argentinien nach vielen Jahren 2021 wieder die Copa América gewann, waren Sie nicht mehr dabei. Hat Sie die Zuschauerrolle gestört?

Higuaín: Das habe ich nicht so erlebt. Ich denke, es ist Schicksal. Wir hatten vorher das Glück, drei Endspiele zu bestreiten. Unser Pech war, dass wir sie verloren haben. Ich war glücklich, als ich die Mannschaft bei der Copa América gesehen habe. Nicht nur die Mannschaft, auch die Mediziner, die Zeugwarte, Messi, Di María, Otamendi, Agüero - das sind alles meine Freunde. Da bereue ich gar nichts. Ich hoffe nur, der Erfolg gibt der Mannschaft für die Weltmeisterschaft viel Zuversicht.

Higuaín: Fußball? "Eine Welt, in der ich nicht mehr dazugehöre"

Haben Sie schon Pläne für die Zeit nach dem Karriereende?

Higuaín: Im Moment denke ich nicht darüber nach. Aber die MLS und die USA haben mir geholfen zu lernen, dass ich alles genieße. Vorher konnte ich das nicht. Ich will viel Zeit mit meiner Tochter und meiner Freundin verbringen. Sie waren immer für mich da. Ansonsten will ich besser kochen lernen, vielleicht Gitarre spielen und mein Englisch verbessern.

Eine Zukunft im Fußball ist also nicht angedacht?

Higuaín: Zumindest kurzfristig habe ich nicht vor, im Fußball zu bleiben. Es ist eine Welt, die jeden Tag giftiger wird. Ich möchte ganz weit weg vom Sport sein. Es ist es einfach eine Welt geworden, in der ich nicht mehr so dazugehöre, wie ich anfangs gehofft hatte. Ich möchte meinen Geist nach dem Fußball öffnen und meine Familie und mein Leben genießen.

Was überwiegt, wenn Sie aktuell auf ihre Karriere blicken?

Higuaín: Ich hatte ein Leben, das definitiv nicht normal war. Leute haben über mich geredet, ohne mich zu kennen. Sie haben mich beleidigt und respektlos behandelt, ohne zu wissen, wer ich bin. Das tun sie, ohne dass man sich wehren kann. Es gibt da draußen Menschen, die denken, dass sie das Recht haben, dich zu beleidigen, weil du gutes Geld verdienst. Ich bin es leid, nicht reagieren zu können und diese Respektlosigkeiten ertragen zu müssen. Das fällt mir sehr schwer. Besonders wenn ich mit meiner Familie zusammen bin. Und das ist etwas, womit ich aufhören möchte: diese Scheiße zu fressen.

Gonzalo Higuaín: Statistiken für seine Vereine