Schalkes ehemaliger Co-Trainer Sven Hübscher im Interview: "Boateng erwiderte: 'Das ist mir scheißegal'"

Von Daniel Nutz
Sven Hübscher war Co-Trainer unter Di Matteo.
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Wie sehr unterscheiden sich die Aufgabengebiete eines Co-Trainers in der U13 und der U19?

Hübscher: Die U19 ist viel näher am Profibereich. Es geht also in erster Linie darum, den Jungs den letzten Schliff zu geben. Norbert und ich haben als Team gearbeitet, er hat mich voll eingebunden und mir von Tag eins große Verantwortung übertragen. Eineinhalb Stunden vor dem Training haben wir uns meistens getroffen, um die Einheit im Detail durchzusprechen. Dabei hat er mir meine Aufgaben klargemacht. Gefühlt hat er mich jeden Tag überfordert, aber das hat mich letztlich in meiner Entwicklung weitergebracht. In der U13 ist es im Vergleich zur A-Jugend mehr Ausbildungsfußball, dort sollen den Jungs die Grundlagen mitgegeben werden.

Hat Sie in ihrer U19-Zeit ein Spieler besonders beeindruckt?

Hübscher: Benedikt Höwedes war Kapitän und absolute Führungspersönlichkeit. Schon in der U19 war sein Coaching auffallend. Während die meisten Spieler zurückhaltend waren, hat er immer den Mund aufgemacht. Damit hat er sich viel Stress erspart, weil er viele potenzielle Probleme frühzeitig verhinderte.

Welchen Einfluss hatte Elgert auf den Trainer Hübscher?

Hübscher: Ich habe stark von ihm profitiert und konnte mir viele Dinge für meinen Stil abschauen. Ich hatte zwar ein Ziel vor Augen, aber keine Ahnung, ob ich es jemals so weit bringen würde. Er war jemand, der sich immer neue Inspirationen gesucht hat. Zu dieser Zeit ohne Internet war das nicht so einfach wie heute. Diesbezüglich war er mit seinem Ordner voller Ideen seiner Zeit voraus. In Sachen Trainingsaufbau greife ich heute noch auf Elemente zurück, die er damals verwendete.

Hübscher: "Max kam in Dortmund kreidebleich zur Bank"

Die U23 war Ihr nächster Schritt. Wie sehr ist diese Altersklasse wirklich die Schnittstelle zwischen Profis und Jugendbereich?

Hübscher: Das sollte man individuell betrachten. Für viele Spieler kann die U23 extrem wichtig sein. Philipp Max beispielsweise kam damals über die U23. Es gibt Spieler, die mit 20 oder 21 noch einen größeren Entwicklungsschritt machen. Für sie ist die Spielpraxis elementar und durch nichts zu ersetzen. Max gehört heute zu den begehrtesten Linksverteidigern Deutschlands, damals kam er über zwei Spielzeiten bei der U23 zu den Profis.

Wie lief das genau ab?

Hübscher: Wir verhalfen ihm in der Rückrunde 2013/14 bei unserem Spiel in Dortmund zu seinem Bundesligadebüt, nachdem er zuvor über 50 Spiele in der Regionalliga absolviert hatte. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er kreidebleich zur Bank kam, weil er gleich vor 80.000 Zuschauern spielen würde. Für mich ist er das perfekte Beispiel, dass die U23 wichtig ist. Nicht jeder schafft den Sprung von der U19 zu den Profis. Für Jungs in diesem Alter ist Spielpraxis durch kein Training zu ersetzen.

Max war nicht der einzige heute namhafte Spieler bei Ihnen in der U23.

Hübscher: Da gab es einige, vor allem in der Zeit von Felix Magath. Der Profikader war damals riesig, also kamen regelmäßig Spieler zur zweiten Mannschaft runter. Zwischendurch hatten wir 38 Spieler im Training. Michael Boris (damaliger U23-Trainer; Anm. d. Red.) hat teilweise das Abschlusstraining mit 20 Mann geführt, die restlichen 18 Spieler trainierten gleichzeitig bei mir in der Fußballhalle.

Nach einem halben Jahr als Trainer der U16 wurden Sie im Januar 2013 schließlich Co-Trainer unter Jens Keller bei den Profis. Wie haben Sie davon erfahren?

Hübscher: Wir hatten mit der U16 das letzte Training vor der Winterpause und ich stand gerade in einem Restaurant in Gelsenkirchen, um für meine Jungs Pizza zu besorgen. Plötzlich klingelte mein Handy und ich sollte in die Geschäftsstelle kommen. Ich fuhr dann mit der Vorstellung hin, den U17-Trainerposten von Jens Keller übernehmen zu dürfen. Angekommen im Büro sagte mir Horst Heldt, dass ich ab Januar bei den Profis dabei sein werde. Das konnte ich im ersten Moment gar nicht fassen.

Gab es zuvor schon Kontakt zu den Profis?

Hübscher: Ja, im Rahmen meines Fußballlehrers habe ich bei ihnen hospitiert. Außerdem bin ich als U16-Trainer auf Huub Stevens zugegangen und habe ihm angeboten, mich während Champions-League-Reisen um die Spieler zu kümmern, die nicht im Kader standen. Zuvor hatten diese während der zwei Tage nämlich nur Athletiktraining und haben ein paar Runden Basketball gespielt. Stevens und Heldt hat meine Idee gefallen, sodass ich einen ersten Draht zu den Profis aufgebaut habe.

Sind Sie mit ihrem Lernwillen auch mal angeeckt?

Hübscher: Das nicht, aber ich erinnere mich an ein Gespräch mit Schulte und dem damaligen Chefscout zu meiner U13-Zeit. Dabei wurde ich gefragt, wie ich mir meine Zukunft vorstelle. Meine Antwort lautete, dass ich Fußballlehrer werden und hauptberuflich im Fußball arbeiten will. Als ich meinen Fußballlehrer Jahre später abgeschlossen hatte, rief mich der Chefscout von damals, zu dem ich bestimmt zwei Jahre keinen Kontakt hatte, an. Er gratulierte mir und entschuldigte sich gleichzeitig. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wofür. Dann verriet er mir, dass er nach dem Gespräch damals zu Schulte sagte, er habe noch nie so einen Bekloppten, der als U13-Co-Trainer vom Fußballlehrer spricht, gesehen.

Welche Aufgaben übernimmt man als Co-Trainer in der Bundesliga genau?

Hübscher: Ein Co-Trainer macht die gleichen Dinge wie ein Cheftrainer. Trainingsplanung, -vorbereitung, -nachbereitung, Videoanalyse und vieles mehr. Ansprachen vor der Mannschaft hält in der Regel der Chefcoach, auch die Öffentlichkeitsarbeit wird bekanntermaßen von ihm übernommen. Es kommt durchaus öfter vor, dass Co-Trainer die Trainingseinheit planen, während der Cheftrainer Pressetermine wahrnehmen muss. Anschließend schaut er über den Plan und segnet ihn ab oder nimmt gegebenenfalls Änderungen vor. Generell ist man bei allen Entscheidungsprozessen beteiligt, die Entscheidungsgewalt liegt aber logischerweise immer beim Hauptverantwortlichen.

Hübscher (l.) gemeinsam mit Jens Keller (r.) und Markus Zeltmeisl.
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Hübscher (l.) gemeinsam mit Jens Keller (r.) und Markus Zeltmeisl.

Hübscher: "Ließen Kolasinac nach dem Training 40 Flanken schlagen"

Wie läuft es am Spieltag?

Hübscher: Am Spieltag waren neben dem Aufwärmen die Standardsituationen eine meiner Aufgaben. Dabei geht es darum, alles nochmal durchzusprechen und eine klare Zuteilung festzulegen. Auch bei Auswechslungen musste man diesbezüglich immer wachsam sein. Ersetzt ein 1,70 Meter großer Spieler einen 1,95-Meter-Mann, kann der vermutlich nicht dessen Aufgabe bei Standards übernehmen.

Wie bereitet man sich auf besonders kopfballstarke Gegenspieler vor?

Hübscher: Wir hatten das Problem damals mit Naldo, als der noch bei Wolfsburg spielte. Man fragt sich dann, ob oder wie man die Raumdeckung auflöst, um ihn in Manndeckung nehmen zu können. Das alles ist auch unter der Woche Thema im Training. Hierbei kommt es immer auch auf die Meinung der Spieler an. Mit welcher Variante fühlen sie sich am wohlsten? Kommt aus der Mannschaft ein Lösungsvorschlag? Das wird vor jedem Spiel neu diskutiert.

Kann es vorkommen, dass ein Spieler wegen seiner Kopfballschwäche nicht eingewechselt wird?

Hübscher: Auf jeden Fall. Wenn du merkst, dass der Gegner gerade aufrüstet und beispielsweise zwei weitere Kanten einwechselt, reagiert man gegebenenfalls darauf und wechselt ebenfalls einen physisch stärkeren Spieler ein. Der Gegner setzt ja offensichtlich mehr auf Standards oder lange Bälle, da muss körperlich dagegengehalten werden.

Wie können sich Außenstehende den Tagesablauf eines Co-Trainers in der ersten Liga vorstellen?

Hübscher: Wenn um zehn Uhr Training angesetzt war, kam ich meistens um 7.30 Uhr zur Anlage. Zunächst stand das Frühstück auf dem Programm. Anschließend zog sich der Trainerstab zur Vorbesprechung zurück. Dabei gibt auch der Physiotherapeut seine Einschätzung ab, welche Spieler trainieren können oder wer lieber Einzeltraining oder gar eine Pause machen sollte. Danach werden die Trainingsinhalte besprochen.

Wie ist es nach dem Training?

Hübscher: Da übernehme ich als Co-Trainer einzelne Spieler, um positionsspezifisch mit ihnen zu arbeiten. Sead Kolasinac beispielsweise spielte früher zentral. Nach seiner Umschulung zum Linksverteidiger ließen wir ihn nach dem Training oftmals 30 oder 40 Flanken schlagen, um die Qualität zu verbessern. Auch nach der Einheit stehen noch einige Besprechungen und Analysen an, ehe man dann gegen fünf oder sechs Uhr langsam an Feierabend denken kann.

Inwiefern soll ein Co-Trainer einen anderen Blick auf das Geschehen haben?

Hübscher: Das variiert von Cheftrainer zu Cheftrainer. Bei Jens Keller war es so, dass er sich auf unsere Mannschaft konzentrierte während eines Spiels, ich hingegen sollte auf den Gegner achten. Welche Formation spielen sie? Gibt es Überraschungen bei den Positionen? Wo hat der Gegner Probleme? Wo haben sie zu große Abstände, die wir nutzen können? Beide Mannschaften als einzelne Person im Blick zu haben, ist meiner Meinung nach unmöglich. Letztlich gibst du als Assistent dem Trainer Input. Was er damit macht, entscheidet natürlich nur er selbst. Ich mache mir während des Spiels beispielsweise sehr viele Notizen zu seinen als auch meinen Eindrücken, die dem Cheftrainer bei seiner Halbzeitansprache als Hilfestellungen dienen.

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