"Der König ist tot, es lebe der König"

Von Daniel Reimann
Zwei Legenden des Weltfußballs: Brasiliens Pele (l.) und Portugals Eusebio (r.)
© getty

Am Mittwoch trifft Brasilien im Testspiel auf Portugal (3 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE). Das Duell weckt Erinnerungen an die Weltmeisterschaft 1966. Diese wurde für Brasilien zur nationalen Tragödie: Die Selecao ging unter, Überfußballer Pele wurde gejagt und getreten. Bei Gegner Portugal feierte man hingegen dessen Ablösung durch den neuen König am Fußballhimmel.

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Eine Trage hatten sie nicht zur Hand. Und den albernen Verletzten-Caddy, der Spieler vom Spielfeld fährt, gab es noch nicht. Also schulterten die brasilianischen Betreuer ihren lädierten Schützling kurzerhand. Er selbst konnte nicht mehr auftreten, ließ sich vom Platz tragen.

Es geschah beim Stand von 2:0 für Portugal, als sich Abwehrspieler Joao Morais einmal mehr dazu entschloss, den Beinen von Pele seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Als der Brasilianer sich den Ball zum Schuss zurechtlegte, fuhr ihm Morais mit Anlauf und ohne Rücksicht in die Parade. Pele berappelte sich schnell, legt sich den Ball abermals vor - und schon setzte es die nächste brutale Attacke von Morais. Pele berappelte sich nicht mehr.

Das Paradoxe daran: Während Morais weiterspielen durfte, musste Pele lange behandelt werden. Da Auswechslungen noch nicht erlaubt waren, humpelte er zurück auf den Rasen. In brasilianischen Medien wurde Schiedsrichter George McCabe dafür verflucht, dass er Morais nicht vom Platz gestellt hatte: "Er ließ Portugal mit Mord davonkommen", empörten sich die Gazetten. Und Pele schwor nach Spielende, nie wieder eine Weltmeisterschaft zu spielen. Er hatte soeben eine Wiederholung von Morais' Blutgrätsche gesehen.

Hetzjagd auf Pele - Randale in Rio

Mit Abpfiff des Spiels war die WM 1966 für Brasilien beendet. Schon vor der Partie prophezeite Pele: "Nur Gott kann uns helfen weiterzukommen." Er selbst ging bereits angeschlagen ins Spiel, da er schon im Auftaktspiel gegen Bulgarien (2:0) zur wandelnden Zielscheibe wurde. Verletzt musste er für die zweite Partie gegen Ungarn pausieren - prompt kassierte die Selecao eine schmerzhafte 1:3-Pleite.

Im letzten Gruppenspiel musste also ein Sieg her. Doch Portugal hatte ein hässliches aber wirksames Erfolgsrezept: Pele stoppen. Mit allen Mitteln. Und so glich die Partie bisweilen einer Herzjagd. Pele kam kaum zur Geltung, verletzte sich schließlich und Portugal gewann.

Nach zwölf Jahren ohne WM-Niederlage setzte es 1966 zwei Pleiten und das Vorrunden-Aus für den Titelverteidiger. Nicht weniger als eine Katastrophe. In der Heimat waren Wut und Trauer grenzenlos, auf den Straßen von Rio de Janeiro wurde randaliert, das Haus von Nationalcoach Feola durch die Polizei abgeriegelt.

Und die Selecao-Stars? Sie durften mit ihrem Flieger auf dem Heimweg von Liverpool Richtung Brasilien in London zwischenlanden. Offiziell aus "technischen Gründen". Der tatsächliche Zweck: Man wollte sicherstellen, dass die WM-Versager zu Hause erst in tiefster Nacht ankommen, um einem empörten Empfang durch die eigenen Anhänger zu entgehen.

Unterdessen erklärte die internationale Presse Brasiliens Erfolgsära im Fußball für beendet.

"Oh mein Gott! Haben sie so etwas jemals gesehen?"

Auf der Gegenseite feierte ein anderer Star seinen endgültigen Triumph am Fußballhimmel. "Der König ist tot, es lebe der König", titelte eine portugiesische Zeitung. Gemeint war Eusebio, der sich anstelle von Zweifachweltmeister Pele 1966 endgültig in die Fußball-Geschichtsbücher eintrug.

Gegen Brasilien knipste der schwarze Panther doppelt, sein Volley-Tor zum 2:0 begeisterte die Massen. "Oh mein Gott! Haben sie jemals so etwas gesehen"?, schrie "BBC"-Kommentator David Coleman ins Mikrofon. Die Krönung folgt im Viertelfinale, als Eusebio beim Stand von 0:3 gegen Nordkorea in gut 30 Minuten einen Viererpack schnürte und Portugal damit den Halbfinaleinzug sicherte.

"Die Weltmeisterschaft 1966 war das Highlight meiner Karriere", schwärmt die portugiesische Legende rückblickend. Und obwohl das Halbfinale gegen England verloren ging (1:2), "war der portugiesische Fußball der große Gewinner".

Brasiliens Wiederauferstehung

Die gedemütigten Brasilianer hingegen brauchten vier Jahre, um die Schmach von 1966 vergessen zu machen. Bei der WM 1970 gewann die Selecao alle sechs Spiele, demütigte Italien im Finale mit 4:1 und zelebrierte die Rückkehr auf den Fußball-Thron als epochale Wiederauferstehung.

Ausgerechnet Pele hatte Brasilien im Endspiel mit seinem Tor zum 1:0 auf die Siegerstraße gebracht. Der Pele, der einst geschworen hatte, nie wieder an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen.

Und Eusebios Portugiesen? Waren erst gar nicht dabei. Der Drittplatzierte von 1966 war in der WM-Qualifikation ausgeschieden. In einer Gruppe mit Rumänien, Griechenland und der Schweiz. Als Tabellenletzter.

Brasilien - Portugal: Die Bilanz