"Paul, du kriegst meine Uhr"

Nach einem 3:1-Sieg gegen Juventus gewann Borussia Dortmund 1997 die Champions League
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SPOX: Aber dass nicht alles rosig war, ist doch korrekt, oder?

Henke: Ja, es gab Unruhe im Verein - wobei ich mir die ehrlich gesagt bis heute nicht so richtig erklären kann. Denn eigentlich lief alles gut: Wir waren Dritter, standen im Champions-League-Finale und gewannen in den beiden Jahren zuvor jeweils die deutsche Meisterschaft.

SPOX: Doch in der Bundesliga kassierte man als amtierender deutscher Meister neun Niederlagen, sechs davon in den Monaten vor dem Finale. Es war die schlechteste Rückrunde in der sechsjährigen Amtszeit von Ottmar Hitzfeld. Das reichte offenbar aus, damit der Vorstand ihn kritisch sieht.

Henke: Ich sage es mal so und das gilt auch heute noch: Der Trainer muss immer der stärkste Mann im Verein sein. Der Vorstand und der gesamte Klub müssen alles dafür tun, um den Trainer zu stärken. Wenn aber Spieler die Möglichkeit haben, sich hinter dem Rücken des Trainers zu welchen Themen auch immer bei Vorständen auszuweinen, dann ist das schlecht und schwächt den Trainer. Diese Dinge gab es damals in Dortmund. Womit das zusammenhing, weiß ich nicht. Vielleicht damit, dass andere Vereine damals große Anstrengungen unternommen, um Spieler des BVB zu bekommen.

SPOX: Waren diese Strömungen dem Trainerteam bewusst?

Henke: Natürlich. Wir haben nicht alles, aber einiges mitgekriegt. Man konnte merken, dass der gesamte Verein nicht mehr wie in den Jahren zuvor an einem Strang zog. Um wieder einigermaßen Ruhe hinein zu bekommen, ist für ein Trainerteam unter solchen Bedingungen Erfolg die einzige Hilfe. Die größte Chance dazu war für uns die Champions League. Es spricht auch für Ottmar, dass er diese Geschichte damals so gut gemanagt hat.

SPOX: Nach dem Gewinn des Henkelpotts erklärte Hitzfeld seinen Rücktritt als Trainer und wurde Sportdirektor. Wann wurde ihm klar, dass er als Coach nicht mehr weitermacht?

Henke: Ich kann keinen genauen Zeitpunkt nennen. Die Arbeit der letzten Jahre hatte ihn in jedem Fall viel Kraft gekostet, er wollte eine Erholungsphase einlegen. Wir hatten nach dem Finale noch ein Bundesligaspiel. An diesem Wochenende stand in Dortmund eine letzte mannschaftsinterne Feier an. Ottmar hat mich dort dann zur Seite genommen und mir mitgeteilt, dass er ziemlich leer sei und wir in dieser Konstellation keinen Erfolg mehr haben könnten.

SPOX: Als Sportdirektor hat es Hitzfeld nicht lange ausgehalten. War Ihnen das schon zuvor klar?

Henke: Man konnte ihm mit der Zeit anmerken, dass der Sportdirektor-Posten nicht gerade sein Traumberuf war. Ich war in der Folge ja Co-Trainer von Nevio Scala und tauschte mich noch regelmäßig mit ihm in seinem Büro aus. Er sah sich nach wie vor als Trainer und hatte gewissermaßen eine Park-Position inne, in der er sich zunächst sicherlich nicht unwohl gefühlt hat. Ihm war es wichtig, den Druck der täglichen Trainerarbeit nicht mehr zu spüren und in vorderster Front kämpfen zu müssen.

SPOX: Im Anschluss an Ihre Dortmunder Zeit bildeten Sie mit Hitzfeld auch beim FC Bayern ein sehr erfolgreiches Gespann. Hitzfeld und Henke in München - das hatte sich 1997 auch nicht jeder Dortmunder vorstellen können.

Henke: Wir hatten beim BVB das Maximum erreicht. Ottmar lag damals eine Anfrage von Real Madrid vor, aber er wollte zu dem Zeitpunkt nicht ins Ausland gehen. Dann kam in Deutschland nur der FC Bayern in Frage. Ottmar kam im Frühjahr zu mir und sagte, er habe ein Angebot aus München bekommen. Er wollte wissen, ob ich mir vorstellen könne, ihn zu begleiten. Das habe ich relativ schnell bejaht, da ich selbst auch merkte, dass mir eine neue Herausforderung gut tun würde.

SPOX: Stichwort Herausforderung: Das ist auch die aktuelle Saison für die Borussia. Der Verein hat sich mit drei Siegen in Folge zwar erholt, der Klassenerhalt bleibt aber das bestimmende Thema. Nun trifft man in einem anderen Wettbewerb auf einen hochklassigen Gegner. Wie wird das Team von Jürgen Klopp Ihrer Meinung nach damit umgehen?

Henke: Ich denke, dass es eine Befreiung für den BVB und die Spieler wird. Die Champions League ist die gewohnte Umgebung, der eigentliche Status. Es steht ein hoch interessantes Spiel gegen einen renommierten Gegner an. Ich bin davon überzeugt, dass sie voll konzentriert zu Werke gehen werden. Es ist auch für die Bundesliga nicht schlecht, da ein paar Tage später gleich das Derby gegen Schalke ansteht. Da dürfte man die Spannung halten können.

SPOX: Ist der BVB nach dieser schwachen Spielzeit gefordert, sich neu aufzustellen und auf die sportliche Talfahrt zu reagieren?

Henke: Man wird sicher nicht alles umkrempeln müssen, da man in ähnlicher personeller Konstellation große Erfolge gefeiert hat. Die Verantwortlichen werden sich die Geschehnisse in dieser Saison auf jeden Fall genau anschauen und kritisch bewerten. Sie haben eine Delle abbekommen, doch insgesamt gesehen ist die Personallage sowie das Zusammenwirken zwischen Trainer und Mannschaft so gut, dass man nicht grundsätzlich alles in Frage stellen muss.

SPOX: Fast 18 Jahre danach: Setzt sich der BVB auch dieses Mal gegen Juventus durch?

Henke: Sie sind in der Lage, in Turin ein Tor zu schießen. Wenn das gelingt, kommen sie auch weiter.

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