Ein klo-reicher Abend

Von Für SPOX im Santiago Bernabeu: Jochen Tittmar
Borussia Dortmund steht erstmals seit 1997 wieder im Finale der Königsklasse
© getty

Borussia Dortmund musste in Madrid durch ein Stahlbad gehen und hat durch das Meistern dieser Aufgabe den vorläufigen Gipfel seiner Entwicklung erklommen. Nur Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hielt dem Druck nicht stand.

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Erst als alle Madrider Spieler durch die slalomartig aufgebaute Interviewzone des Santiago Bernabeu gehuscht waren, zeigte sich der erste Dortmunder der wartenden Pressemeute. Nach und nach gingen sie alle Richtung Bus, sichtlich abgekämpft, aber beseelt vom Glück und gerne bereit, ein paar Minuten über die frischen Erlebnisse zu plaudern. Nur Hans-Joachim Watzke schien eine Abkürzung gekannt zu haben.

Das war insofern schade, wäre es doch hoch interessant gewesen, den BVB-Geschäftsführer zu den letzten Minuten der dramatischen Partie zu befragen, die Dortmund trotz einer 0:2-Niederlage, der ersten in der diesjährigen Champions-League-Saison, ins Finale nach Wembley brachte.

Ein Bild für die Götter

Was muss das ein Bild für die Götter gewesen sein, wie Berufspessimist Watzke den Schlussakt des Spiels schlotternd auf einer geschlossenen Toilette im Bauch des Bernabeu saß, die Hände über die Ohren gepresst und darauf hoffend, dass die Geräuschkulisse nicht ein drittes Mal orkanartig ansteigen würde.

Als Watzke seine Selbsttherapie abbrach, war nur noch die letzte Minute des Matches zu spielen. Der BVB brachte auch diese über die Zeit und zog damit erstmals seit 16 Jahren wieder in das Endspiel der Königsklasse ein.

Etwas Historisches würde passieren, hatte Trainer Jürgen Klopp am Vortag bereits erkannt. Doch das der BVB, der sich selbst als nicht normaler Halbfinalist betitelte, nach einer lange Zeit souverän geführten Partie kurz vor der Ziellinie doch noch einmal so ins Trudeln geraten sollte, war für Watzkes Nerven und Herz einfach zu viel.

Drittes Last-Minute-Finish

Diese Dramatik, dieser Balanceakt zwischen Versagen und Triumphieren, passt gut zur schwarzgelben CL-Spielzeit. In Manchester, in Madrid und zuhause gegen Malaga gab es bereits drei Last-Minute-Finishs, bei denen das Pendel nur beim wichtigsten Duell in Richtung Dortmund ausschlug.

Nun überstand das Team auch das Stahlbad Madrid, in das es am Anfang und Ende der Partie jeweils tief hineinrutschte. Die Mannschaft stellte sich zwar im Vorfeld darauf ein, dass die wütende Angriffswelle, die die Königlichen vom Anpfiff weg in Richtung BVB-Defensive schickte, kommen würde. Dennoch war sie in der ersten Viertelstunde nicht auf der Höhe, vielleicht zu sehr beeindruckt vom festen Madrider Glauben an die "Remontada", die zunächst nicht mehr für möglich gehaltene Aufholjagd.

Bärenstarker Weidenfeller

Dortmund ließ sich dabei viel zu tief in die eigene Hälfte drücken, war besonders über die linke Abwehrseite anfällig, unsortiert und nicht in der Lage, bei Ballbesitz eine Ruhe ins Spiel zu bekommen. Es gingen einige Bälle leichtfertig verloren und so musste man sich beim wieder einmal unter Flutlicht sensationell aufgelegten Torhüter Roman Weidenfeller bedanken, nicht direkt versenkt worden zu sein.

Es zeigte sich dann jedoch der Lerneffekt, den die Borussen in dieser CL-Kampagne vollzogen. Anders als noch im Vorjahr ließ sich das Team nicht naiv auf die vom Gegner ausgelöste Hektik ein. Dortmund schaffte es nach gut 15 Minuten aus sich heraus, die schlechte Ordnung zu justieren, mit der Viererkette weiter nach vorne zu schieben und den Spielvortrag bei Ballbesitz breiter und vor allem passgenauer anzulegen.

"Der Anfangsdruck hat die Jungs schon beeindruckt. Sie sind jung, waren zum ersten Mal in der Situation. Defensiv haben wir ein tolles Spiel gemacht, offensiv hatten wir unsere Momente" sagte Klopp.

Last-Minute-Tore lassen BVB zittern

Dortmund ließ sich an diesem Abend nicht aus der Bahn werfen, obwohl das Spiel jene problematischen Begebenheiten zu bieten hatte, mit denen in der Vergangenheit oft zu emotional umgegangen wurde und die eigene Linie litt. Da waren die zahlreichen Schläge, die Robert Lewandowski beim Kampf um den Ball aushalten musste, selten bis gar nicht abgepfiffen wurden und gegen Ende der ersten Halbzeit auch zu einem Strafstoß hätten führen müssen.

Da waren auch wieder genügend Großchancen, um das immer leiser werdende Stadion endgültig zum Schweigen zu bringen und den Matchball zu setzen - hier sei an Ilkay Gündogans Kunststück aus der 62. Minute gedacht, der freistehend aus wenigen Metern scheiterte

Und dann war da natürlich noch diese aufreibende Schlussphase, in der Real doch noch zwei Treffer gelangen, sich die gewaltige Geräuschkulisse des Bernabeu ein letztes Mal erhob und der Finaleinzug am seidenen Faden hing. Es ist dann als weiteren Schritt in der irrwitzigen Entwicklung dieser Mannschaft zu werten, auch die letzte spanische Welle überstanden und vor allem in der fünfminütigen Nachspielzeit kühlen Kopf bewiesen zu haben.

"Sind blitzsauber geblieben bis zum Schluss"

"Wir mussten in vielen Situationen cool bleiben. Ramos konnte mit Lewandowski machen, was er wollte. Wir sind blitzsauber geblieben bis zum Schluss. Das macht uns zum verdienten Gewinner", äußerte ein sichtlich angefasster Klopp auf der Pressekonferenz im Anschluss.

Das gebuchte Ticket nach London stellt für den Verein nun den vorläufigen Höhepunkt der Kloppschen Ägide dar. Der BVB steht acht Jahre nach der Fast-Insolvenz am Gipfel seiner neuzeitlichen Geschichte, der Kampf ums Siegerfoto am Gipfelkreuz wird in Wembley ausgetragen.

"Es ist ein riesiger Schritt für den Verein. Das ist ein Meilenstein", ließ sich der ansonsten doch sehr nüchterne Manager Michael Zorc entlocken. Ein Meilenstein, der auch finanziell einen solchen darstellen wird: 6,5 Millionen Euro ist der UEFA das Finalticket wert, dazu kommen Erfolgsprämien der Sponsoren. Die Gesamteinnahmen passieren die 60-Millionen-Marke.

"Wir wollen keine Touristen sein"

Und so standen nach diesem Kraftakt die Dortmunder Kicker vollkommen entkräftet in der Mixed Zone und erledigten den letzten Teil ihrer Arbeit. Mats Hummels legte seinen Kopf auf Marcel Schmelzers Schulter ab, Marco Reus bekam kaum noch ein hörbares Wort heraus.

Klopp war der einzige, der schon etwas zum 25. Mai sagen wollte: "Es wird einer der größten Momente in unserem Leben. Wir wollen keine Touristen sein. Jeder in Wembley wird sehen, dass wir nicht damit zufrieden sind, ein Finalist zu sein. Wir wollen der Gewinner sein."

Doch an die Kohle und die Perspektiven in London wird Watzke sicherlich keinen Gedanken verschwendet haben, als er seinen Ehrenplatz neben dem spanischen König Juan Carlos gegen das stille Örtchen eintauschte.

Real Madrid - Borussia Dortmund: Daten und Fakten