Projekt Klinsmann auf der Kippe

Von Florian Bogner
Jürgen Klinsmann steht nach drei Niederlagen in vier Rückrundenspielen unter Erfolgsdruck
© Getty

Kurz vor einem der wichtigsten Spiele seiner Amtszeit ist Jürgen Klinsmanns Position beim FC Bayern geschwächt. Aus dem progressiv denkenden Reformer ist ein defensiver Trainer geworden, der nur noch auf Umstände reagiert, statt selbst Maßstäbe zu setzen. Ein gefährlicher Zustand.

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Noch ist sich das vereinsobere Tag-Team Uli Hoeneß/Karl-Heinz Rummenigge einig, öffentlich Ruhe und Besonnenheit walten zu lassen, statt den Trainer unter Druck zu setzen.

Doch am Mittwoch steht das Champions-League-Achtelfinale bei Sporting Lissabon an (20.30 Uhr im LIVE-TICKER und im Internet TV) und dem 44-Jährigen scheinen einige Dinge aus dem Ruder zu laufen, die bei einem Aus in der Königsklasse nicht mehr aufzuhalten zu sein könnten.

Seit Wochen hat der FC Bayern auf dem Platz dasselbe Problem: Das Offensivspiel steckt gegen kompakte und destruktiv spielende Gegner im ersten Gang fest, die Spieler können bei Ballverlust jedoch nicht schnell genug auf Defensive umschalten und kassieren so simple Gegentore.

Ein Umstand, der Philipp Lahm und Miroslav Klose schon länger ein Dorn im Auge ist, nur ändert sich trotz vehementer Vorträge der beiden Nationalspieler nichts. Lahm hatte bereits vor Wochen erkannt, dass man so viele Gegentore - 30 sind es in der Bundesliga mittlerweile - nur bekommt, "wenn man defensiv taktisch nicht gut geordnet ist". Ein Fingerzeig an den Trainer.

Klose fordert: "Jeder muss sich mehr einbringen"

Klose war am Samstag nach dem 1:2 gegen Köln vor allem die Einstellung der Kollegen negativ aufgefallen ("Fakt ist, dass der eine dem anderen helfen muss, und das passiert nicht") und präzisierte im "Kicker"-Interview am Montag die von ihm erkannten Mängel.

"Verlieren wir einen Zweikampf, sind wir sofort in Unterzahl. Wenn wir uns zu wenig bewegen, dann tun wir uns schwer. Jeder muss sich mehr einbringen", forderte der Stürmer.

Klinsmann bemängelte am Sonntag ebenfalls die laxe Einstellung seiner Spieler. "Wir haben nach dem 0:1 immer noch gemeint, wir spielen die locker her. Das geht nicht", sagte er im "DSF". "Mich stört, dass wir nicht mit dem richtigen Fight und der richtigen Aggressivität gespielt haben."

Klinsmann demontiert Hierarchien

Momentan setzt die Mannschaft die Forderungen des Trainer allerdings nur ungenügend um. Zu fragil ist das Mannschaftskonstrukt der Bayern derzeit, der Trainer wirkt angezählt. Hinter vorgehaltener Hand wird von den Spielern moniert, Klinsmann lasse zu wenig Taktik trainieren, setze in den Übungseinheiten statt auf das Einstudieren von Spielzügen zu sehr auf Fitnessübungen.

Wer soll die Forderungen des Trainers auf dem Platz umsetzen? Klare Hierarchien sind nicht mehr erkennbar. Auch hieran hat der Trainer eine Teilschuld. Mark van Bommel hat als Kapitän offenbar kein Standing in der Mannschaft.

Nicht anders ist eine Szene aus dem Köln-Spiel zu erklären, in der der Holländer Bastian Schweinsteiger dazu aufforderte, einen Gegenspieler bei einer kurz gespielten Ecke zu decken, was dieser mit einer abwinkenden Handbewegung einfach ignorierte.

Van Bommel widerspricht dem Coach

Die Diskussion um van Bommels Zukunft, die die Vereinsführung gerne nur auf ein weiteres Jahr bei den Bayern festlegen würde, tut hier offenbar ihr Übriges. Klinsmann wirbt um Glaubwürdigkeit, in dem er sagt, dass er van Bommel gerne halten würde und dass er fest daran glaube, seinen Kapitän an Bord halten zu können.

Van Bommel bürstete diesen Wunsch des Trainers in der vergangenen Woche jedoch schroff ab. Er wisse nicht, woher Klinsmann das habe, sagte der Holländer - vielleicht habe den Trainer in den letzten Wochen ja plötzlich die "Euphorie gepackt".

Lucio mit Rotation in seiner Ehre gekränkt

Keineswegs euphorisch nahm Abwehrchef und Vize-Kapitän Lucio derweil seine Degradierung zum Bankdrücker gegen Köln auf. Dass Klinsmann seinen wichtigsten Defensivspieler vor dem Spiel in Lissabon schonen wollte, ist sein gutes Recht.

Allerdings vergaß er offensichtlich, das dem Brasilianer auch frühzeitig mitzuteilen. Er und Ersatzmann Daniel van Buyten erfuhren von den Überlegungen des Trainers jedenfalls erst am Spieltag. Lucios Laune war dies so abträglich, dass er nach dem Spiel sichtlich beleidigt durch die Mixed-Zone stapfte und lediglich bekannte, er habe keine Pause gebraucht und fühle sich deshalb in erster Linie in seinem Stolz gekränkt.

Kurzum: Wenn die Mannschaft nicht mehr hinter den Entscheidungen des Trainers steht, hat dieser ein massives Problem. Zu Personalien hört man von den Spielern immer wieder ein lapidares: "Da müssen sie den Trainer fragen."

Suche nach dem roten Faden

Der "Kicker" überliefert am Montag zudem die bezeichnende Anekdote, dass Miroslav Klose vor der Auswärtspleite in Berlin kurzerhand fragte, ob die Stürmer "vorne draufgehen" sollen. Klinsmann soll dies in der Kabine euphorisch bejaht haben, nach dem Motto: Macht ihr mal. Minuten vor Spielbeginn ein Pressing anzuordnen, stieß bestimmt nicht auf Gegenliebe bei einigen Spielern.

Ein weiteres kleines Indiz für die Hilflosigkeit des Trainers. Klinsmann hat es nach acht Monaten Amtszeit jedenfalls immer noch nicht geschafft, der Mannschaft seine Handschrift zu verpassen. Rummenigge monierte nach dem Köln-Spiel erstmals, dass man im Spiel der Bayern "keinen roten Faden gefunden" habe. Das ist durchaus exemplarisch zu sehen.

Rummenigge war es auch, der die Position des Trainers in der letzten Woche indirekt selbst schwächte.

"Jetzt müssen wir uns sputen"

Auf der Vereinshomepage entsagte er erst dem von Klinsmann protegierten Landon Donovan eine Zukunft an der Säbener Straße ("Wir werden ihn nicht verpflichten"), um dann auch noch die Einberufung des seit vier Monaten verletzten Lukas Podolski in den Kader mit der Präambel "Es wäre unser aller Wunsch beim FC Bayern..." zu fordern.

Das Ende vom Lied: Gegen Köln spielte Podolski von Beginn an, Donovan wurde erst später eingewechselt.

Für die Glaubwürdigkeit des Trainers kein gutes Zeichen. Klinsmann selbst wirkte am Sonntag im Interview mit dem "DSF" angeschlagen.

"Ich weiß, ich werde an den Ergebnissen gemessen", parlierte er. Und: "Ich glaube nach wie vor, dass wir auf einem guten Weg sind, aber jetzt müssen wir uns sputen."

In Lissabon wäre ein guter Zeitpunkt, den Bock noch mal umzustoßen. Denn erst wenn die Ergebnisse wieder da sind, kann beim FC Bayern weiter am Projekt Klinsmann gebastelt werden.

Die voraussichtliche Bayern-Aufstellung:

Rensing - Oddo, Lucio, Demichelis, Lahm - Schweinsteiger, van Bommel, Ze Roberto, Ribery - Toni (Podolski), Klose.

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