"Es geht ums nackte Überleben"

Von Interview: Thomas Gaber / Stefan Rommel
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© Imago

München - Seit Bayer Leverkusen im Jahr 2002 hat keine deutsche Mannschaft mehr das Finale der Champions League erreicht. Bayern Münchens Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge glaubt im Interview mit SPOX.com an eine fortdauernde Durtstrecke der Bundesliga-Vereine auf europäischer Bühne.

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Außerdem spricht Rummenigge über die Missstände im deutschen Fußball und Lösungen für mehr Attraktivität der Bundesliga. 

SPOX: Herr Rummenigge, die Bundesliga-Verteter bekleckern sich in der Champions League bislang nicht mit Ruhm.

Karl-Heinz Rummenigge: Wir haben ein großes Problem. Wir haben nicht nur erst drei Punkte aus sechs Champions-League-Spielen geholt, sondern auch nur drei Punkte in der UEFA-Fünfjahreswertung. Wir müssen uns in der Bundesliga der Diskussion stellen, ob uns eine toll funktionierende Bundesliga reicht oder ob wir auch international erfolgreich sein wollen. Wenn die Bundesliga im internationalen Wettbewerb eine gute Rolle spielen soll, muss ein Umdenken in der Liga stattfinden. Am Ende des Tages geht es im Fußball nur um eines: ums Geld. Wir konnten Toni und Ribery den UEFA-Cup nur schmackhaft machen, weil wir einen gewissen Preis bezahlt haben.

SPOX: Wie sehen Sie die Bundesliga im internationalen Vergleich?

Rummenigge: Im internationalen Vergleich schneidet die Bundesliga mangelhaft ab. Der Rückstand zu den europäischen Topteams ist zu groß. Wenn der VfB Stuttgart gegen Barcelona verliert, hat das nichts mit dem Trainer, der Taktik oder dem Mannschaftsgeist zu tun, sondern mit der individuellen Qualität auf dem Platz. Wenn die Bundesliga nicht bereit ist, mehr zu investieren, wird in den nächsten zehn Jahren keine deutsche Mannschaft mehr das Champions-League-Finale erreichen.

SPOX: Was fehlt der Bundesliga im Vergleich zu den anderen europäischen Topligen?

Rummenigge: Wir haben zu wenige attraktive Mannschaften mit zu wenigen Superstars. Bayern München gegen Schalke 04 wurde in 142 Ländern live übertragen, weil beide Teams die attraktivsten Spieler der Liga haben. Spanien, Italien und England haben aber insgesamt viel mehr zu bieten. Insbesondere die Engländer sind uns meilenweit voraus. Sie haben eine sehr attraktive Liga mit vielen Superstars, die nicht nur bei den großen Vereinen spielen. Zudem ist ihre Auslandsvermarktung so professionell gestaltet wie nirgendwo anders auf der Welt.

SPOX: Was kann man sich von den Engländern abschauen?

Rummenigge: Sie sind sehr präsent. Sehr viele englische Vereine unterhalten Vermarktungsbüros in Asien oder den USA. Man braucht lokale Präsenz, um die Dinge marketingtechnisch voranzutreiben. Wir müssen unsere Liga ebenfalls in die Welt tragen. Das kann Bayern München nicht alleine.

SPOX: Die DFL versucht, die Bundesliga im osteuropäischen Raum populärer zu machen. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Rummenigge: Borussia Dortmund hat zuletzt ein Spiel in Warschau absolviert. Das ist ein guter Ansatz, reicht aber bei weitem nicht aus. Die Bundesliga wird eine eigene Auslandsvermarktungsgesellschaft gründen. Das haben uns die Engländer vor langer Zeit vorgemacht. Wir müssen jetzt nachholen, was wir leider jahrelang verpasst haben.

SPOX: Wird es unter diesen Umständen für den FC Bayern in absehbarer Zeit überhaupt möglich sein, Spieler wie Ronaldinho vom FC Barcelona zu verpflichten?

Rummenigge: Spieler, die bei Milan, Barcelona oder Real Madrid unter Vertrag stehen und dort ihre Leistung bringen, werden mit allen Mitteln gehalten. Bei Angeboten wird schnell das Gehalt erhöht. Bei den zehn Topklubs in Europa ist keine Bereitschaft vorhanden, Topspieler an die Konkurrenz abzugeben. Qualität wird als Erfolgsgarantie gesehen. Große Investitionen zahlen sich aus. Der FC Bayern hat im Merchandising etwa 50 Prozent mehr umgesetzt als zum gleichen Zeitpunkt des letzten Jahres, obwohl wir ein Rekordjahr hatten. Man kann einen Ribery nicht refinanzieren, aber die Verpflichtung solcher Spieler hat immer auch einen positiven Nebeneffekt.

SPOX: Sehen Sie ein Ende der Gehaltsspirale?

Rummenigge: Ich kann ein Ende der Fahnenstange noch nicht erkennen. Solange sich Oligarchen aus Amerika oder Russland im Fußball engagieren, werden sie versuchen ihre Mannschaften aufzurüsten. Sie werden am sportlichen Erfolg gemessen. Roman Abramowitsch hat in den letzten Jahren fast eine Milliarde Euro in den FC Chelsea investiert und hat dennoch nicht die Champions League gewonnen. Weil der ganz große Erfolg ausgeblieben ist, wird Abramowitsch etwas vorsichtiger in der Transferpolitik.

SPOX: Sollte die Bundesliga ihre Türen für Investoren öffnen?

Rummenigge: Das ist eine Frage, die sich die DFL stellen muss. Der große Run auf die englische Liga kam durch den lukrativen TV-Vertrag und die Investoren. Dadurch ist im positiven Sinne Bewegung in den englischen Fußball gekommen. Natürlich ist das auch mit gewissen Risiken verbunden, aber im Moment funktioniert es sehr gut. Ich war immer Traditionalist in diesen Fragen, aber wenn man päpstlicher ist als der Papst, verpasst man entscheidende Tendenzen.

SPOX: Würden Sie es demnach begrüßen, wenn Investoren in der Bundesliga einsteigen würden?

Rummenigge: Nur soviel: die Bundesliga ist ein tolles Produkt. National werden wir nie in Gefahr geraten. Aber es geht in diesem Geschäft ums nackte Überleben. Wenn wir die Dinge weiterhin so konservativ angehen, bekommen wir im internationalen Vergleich möglicherweise Überlebensprobleme.

SPOX: Wie beurteilen Sie den „6+5"-Vorschlag von FIFA-Boss Sepp Blatter bezüglich der Ausländerregelung?

Rummenigge: Ich bin geteilter Meinung. Für die Bundesliga wäre es vielleicht ein Vorteil. Doch der Plan hat politisch überhaupt keine Chance. UEFA-Präsident Michel Platini hat mir von einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso erzählt, in dem Barroso meinte: 'Don't touch it, it has no chance to be realized.'

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