Borussia Dortmund patzt in Bochum: BVB-Saison entscheidet sich in Augsburg

Von Patrick Brandenburg
VfL Bochum, Borussia Dortmund
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Nur ein Punkt bei Außenseiter Bochum - Dortmunds Auswärtsschwäche bleibt ein Rätsel und könnte zum wichtigsten Faktor im Kampf um die Meisterschaft werden.

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Auch lange nach Spielschluss wollte sich Sebastian Kehl nicht beruhigen. In der Mixed Zone im Bauch des früheren Bochumer Ruhrstadions setze Dortmunds sonst so besonnener Sportdirektor zu einer regelrechten Schimpftirade an. "Frech, fahrlässig, feige und falsch", gehörte zu den vielen wenig schmeichelhaften Attributen, die er für Sascha Stegmann fand. Kehls Meinung nach hatte der Schiedsrichter durch drei Fehlentscheidungen aktiv ins Titelrennen eingegriffen.

Kehls Empörung war durchaus nachvollziehbar, alle angeführte Szenen diskutabel: das Vergehen vorm Gegentor, das nicht überprüfte Foul im Strafraum, ein nicht gegebener Handelfmeter in der Schlussminute. Dennoch vernebelte sie die Tatsache, dass der BVB beim Abstiegskandidaten VfL Bochum in erster Linie an eigenen Unzulänglichkeiten gescheitert war. Dass Borussia Dortmund vier Spieltage vor Saisonende nach einem mageren 1:1 wieder der Verlust der Tabellenführung droht, hat sich das Team selbst zuzuschreiben: aufgrund fehlender Struktur in der hektischen zweiten Halbzeit sowie enormer Defizite bei der Effizienz.

BVB: Auswärtsschwäche bleibt ein Rätsel

Es ist die unerklärliche Schwäche bei Auswärtsspielen, die Dortmund noch vom Weg zur neunten Meisterschaft abbringen könnte. Schon in der Hinrunde hatte der BVB eine viel zu hohe Hypothek von fünf Auswärtspleiten angehäuft. Aktuell wartet der Titelaspirant seit vier Bundesliga-Partien in Folge auf einen Dreier in der Fremde. Satte zehn Gegentore hat der BVB dabei kassiert.

Beim 2:2 im Derby auf Schalke warf der BVB den Sieg leichtfertig weggeworfen, beim 2:4 bei den Bayern gab es die obligatorische Klatsche, die sogar schlimmer hätte ausfallen können. Dann implodierte Dortmund aus dem Nichts in Stuttgart: Trotz Unterzahl gelangen dem um die Existenz kämpfenden VfB drei Treffer. Dass es nun bei den zuletzt alles andere als heimstarken Bochumern nur noch ein Gegentor war, taugt kaum als Hoffnungsschimmer.

Wettbewerbsübergreifend haben die Westfalen sogar seit sechs Partien nicht auswärts gewonnen und dabei 14 Tore gefressen - die mutlosen Auftritte in der Champions League beim FC Chelsea und gegen RB Leipzig im DFB-Pokal passen ins Bild: Dortmund in der Fremde bleibt ein Rätsel.

VfL Bochum, Borussia Dortmund
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BVB: Brandt schwächelt seit Verletzung

Dabei haben sie in Bochum gar nicht mal so schlecht gespielt. Den frühen Rückstand durch das Traumtor von VfL-Kapitän Anthony Losilla hatte das Team von Trainer Edin Terzic gut verdaut und durch den Abstauber des erneut starken Karim Adeymi schnell die passende Antwort gefunden. Doch dann kämpfte der BVB mit Chancenwucher, den eigenen Nerven und hatte noch das Pech, dass Bochums Keeper Manuel Riemann einen super Abend erwischte.

Dank seiner Aufholjagd zu Beginn des Jahres spielt Dortmund um die Meisterschaft mit - und tut es trotz Punktverlusts im kleinen Derby auch weiterhin. Aber offenbar ist die Mannschaft noch nicht so weit, dass sie mit dem Selbstvertrauen eines Titelkandidaten die vermeintlich kleinen Gegner einfach mal wegdrückt, sich souverän über maue Schiedsrichter-Leistungen hinwegsetzt oder unabhängig ist von drei vergebenen Großchancen. Auch das gehört für einen Meister dazu.

Gerade in der Schaltzentrale ist der BVB zu unbeständig. Julian Brandt war einer der Helden der Aufholjagd zu Jahresbeginn, er hat Marco Reus wohl dauerhaft aus der Startelf verdrängt. Doch seit seiner Verletzung kommt er nicht richtig in Tritt. Genau wie der Kapitän (und etliche andere BVB-Kollegen) muss sich der feine Techniker immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, in engen Spielen nicht genügend dagegen zu halten. Die Borussia 2023 ist immer noch "Work in Progress", ein Team im Umbruch und streng genommen nur verfrühter Titelkandidat von Bayerns Gnaden.

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BVB: Bellingham wird eigenem Anspruch nicht gerecht

Dortmunds schwieriger Tanz ums Selbstbewusstsein spiegelt sich derzeit wohl am besten in Jude Bellingham wider. Unter der Woche kritisiert er öffentlich den Hang zur Arroganz im Team, nur um es dann selbst als Majestätsbeleidigung zu empfinden, wenn er auf schwerem Geläuf in Bochum keine Freistöße für verlorene, harte Zweikämpfe bekommt.

Dabei hilft das Energiebündel keinem, wenn es im Mittelkreis sitzt und lamentiert, anstatt direkt die wilde Balljagd aufzunehmen wie noch vor Wochen. Ein nachvollziehbares Verhalten angesichts seiner steilen Entwicklung zum europaweit begehrten Shooting-Star - aber auch für Überflieger Bellingham bleibt viel zu tun.

"Das müssen wir jetzt erst mal verdauen", sagte Sportdirektor Kehl nach dem Rückschlag in Bochum. Zeit dafür hat der BVB mit einem Heimspieldoppler. Mit zwei Siegen in der Wohlfühlatmosphäre des früheren Westfalenstadions gegen Wolfsburg und Gladbach kann sich Dortmund für den spannenden Showdown im Liga-Finale positionieren. Am vorletzten Spieltag wartet die wohl größte Prüfung für Schwarz-Gelb: die Partie beim FC Augsburg - ohnehin kein Lieblingsgegner der Dortmunder - während Konkurrent FC Bayern gegen RB Leipzig ran muss.

BVB: Angstgegner Augsburg - bloß kein Déjà-vu!

Schon beim knappen 4:3-Sieg im Hinspiel hatte der BVB gehörig Mühe mit dem Team von Trainer Enrico Maaßen, der zwei Jahre lang die zweite Mannschaft der Dortmunder trainierte. Kaum eine Mannschaft hat es in der Vergangenheit so gut verstanden, die Borussen-Tugenden der Klopp-Ära so gut gegen ihre Erfinder zu wenden: den spielerisch überlegenen Gegner aufs eigene Niveau runterziehen, ihn ins Klein-Klein verwickeln und in viele vom Spiel ablenkende Nickligkeiten.

Der Fighting-Spirit einer um den Klassenerhalt kämpfenden Mannschaft vor aufgeheizter Kulisse - diese Mischung hat Dortmund schon 2018/19 in Augsburg die Meisterschaft gekostet. Damals nahm mit einer 2:1-Pleite beim FCA das Unheil seinen Lauf: Der BVB verspielte doch noch seinen satten Neun-Punkte-Vorsprung und musste sich erneut dem Branchenriesen Bayern beugen. Alle BVB-Fans dürfen gespannt sein, ob ihre Helden diesmal meisterschaftswürdig dagegen halten.

Noch ist nichts verloren für die ambitionierten Westfalen. Auch München in der aktuellen Form ist noch ein Ausrutscher zuzutrauen. Vermutlich war Kehls Wutrede nach dem Bochum-Spiel daher auch eher ein kalkulierter Ausbruch. Ein Ventil für sich, und Schutz für seine Spieler, die möglichst schnell und effektiv auf die Rolle des wütenden Jägers eingeschworen werden müssen. Dass die Dortmunder am Ende mit maximal 73 Punkten der schlechteste Meister seit 2010 wären - damals Bayern mit 70 Zählern - kann ihnen herzlich egal sein.

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