FC Bayern München: Die flexibelste Offensive Europas? Besonderer Bundesliga-Rekord winkt

Von Justin Kraft
nagelsmann-musiala-1200
© imago images

Der FC Bayern München hat in dieser Saison bereits 80 Tore erzielt. Einen klaren Zielspieler gibt es aber nicht. Auch weil Julian Nagelsmann alte Abhängigkeiten auflösen konnte. Damit jagt der Rekordmeister einen Rekord in der Bundesliga, den er noch nicht selbst besitzt.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Julian Nagelsmann hat seine Leichtigkeit wiedergefunden. Während er vor einigen Wochen noch sichtlich mitgenommen und wortkarg auf die Fragen der Medienvertreterinnen und -vertreter reagierte, ist er nun wieder in Plauderlaune. Er wirkt gelassener und entspannter denn je.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Erstmals in seiner noch jungen Laufbahn beim FC Bayern München hat man das Gefühl, dass der Trainer und seine Spielidee angekommen sind. Und das nicht nur über ein paar Spiele hinweg. Im Moment stellt der Rekordmeister die flexibelste und gefährlichste Offensive Europas. SPOX und GOAL erklären, wie Nagelsmann das trotz des Weggangs von Robert Lewandowski gelang.

Wäre da nicht diese Ergebniskrise im Frühherbst gewesen, würde das Fazit wohl noch überschwänglicher ausfallen. Vielleicht war es aber ganz gut, dass die Bayern bereits früh in der Saison einige Dämpfer bekamen. Nagelsmann bekam daraufhin die Möglichkeit, einige Details anzupassen. Neben der offensichtlichen Hereinnahme von Eric Maxim Choupo-Moting betraf das auch die Grundstruktur im Aufbauspiel.

FC Bayern München: So brachte Julian Nagelsmann die Offensive auf Kurs

Dort kehrte der Trainer zurück zu einer Formation, die schon zu Beginn seiner Zeit in München gut funktionierte, dann aber wegen der vermeintlichen Konteranfälligkeit scharf kritisiert wurde. Im Spielaufbau nutzen die Bayern meist eine 2-3-Staffelung. Dabei rückt mindestens ein Außenverteidiger etwas ein und unterstützt so die beiden zentralen Spieler im Mittelfeld.

Die restlichen fünf Spieler sind offensiv dafür zuständig, Räume aufzureißen und die gegnerischen Ketten durch gegenläufige Bewegungen auseinander zu ziehen.

Zwei Elemente sind hier besonders entscheidend: Einerseits Choupo-Moting als Wandspieler, der seinen Mitspielern Zeit gibt nachzurücken und Bälle technisch sauber verarbeiten und klatschen lassen kann. Andererseits das starke Gegenpressing, wenn der Ball im Zentrum verloren wird. Die Struktur erlaubt es den Bayern, viele Spieler in den relevanten Spielfeldzonen zu haben.

Gerade die dynamischen Fünf im Angriffsdrittel wissen derzeit aber zu überzeugen. Dass diese Struktur in der letzten Saison nicht immer wie gewünscht funktionierte, lag auch daran, dass Lewandowski im Sturmzentrum sehr dominant war und sich recht schnell unzufrieden zeigte. Zu viele Spieler in seiner Nähe, zu wenig Raum, zu viele Aktionen für andere Angreifer, die ihm das Bühnenlicht nehmen könnten - so in etwa lässt sich seine Kritik übersetzen, die er einst auf einer Pressekonferenz der polnischen Nationalmannschaft äußerte.

Jetzt aber konnte Nagelsmann zurückkehren zu diesem System. Und die Belohnung zeigt sich sofort in Zahlen. Im Basketball gibt es das sogenannte Double-Double. Damit ist die Leistung eines Spielers gemeint, mindestens zehn Einträge in zwei Statistik-Kategorien zu sammeln - beispielsweise zehn Punkte und zehn Rebounds oder Assists. Überträgt man das sinngemäß auf den Fußball, sind die Bayern derzeit auf einem beeindruckenden Weg.

FC Bayern München: Thomas Müller führt besondere Statistik in der Bundesliga an

Jahrelang war Thomas Müller der "Mr. Double-Double" der Bundesliga. Seit 1988 werden in der höchsten deutschen Spielklasse Torvorlagen erfasst. Müller ist seitdem der Spieler mit den meisten Double-Doubles. In sechs Spielzeiten gelangen ihm mindestens zehn Tore und zehn Assists. Zuletzt in der Saison 2020/2021, als er auf elf Treffer und 21 Torvorlagen kam.

Das unterstreicht nicht nur die Qualität des 33-Jährigen, es ist einer von vielen Belegen für die Abhängigkeit des FC Bayern von seinem Raumdeuter. Dass Müller zwischen 2015 und 2021 keine Double-Doubles in der Bundesliga gelangen, ist womöglich auch ein Zeugnis der kleinen sportlichen Krise, die der Klub unter Carlo Ancelotti und insbesondere Niko Kovac durchlief.

Spielte Müller schlecht oder gar nicht, ging es den Bayern schlecht. Doch der würdige Nachfolger des "Mr. Double-Double" scheint nun gefunden zu sein. Nach 14 Einsätzen kommt Jamal Musiala bereits auf neun Tore und sieben Assists in der Bundesliga. Das Double-Double ist in greifbarer Nähe. Müller fehlte in dieser Saison häufig verletzt. Es ist die erste Spielzeit seit langem, in der die Offensivgaranten Lewandowski und Müller keine tragende Rolle mehr spielen. Und die Bayern meistern sie bisher souverän.

FC Bayern München: Die letzten Double-Doubles in der Bundesliga

SaisonSpielerEinsätzeToreAssists
2020/21Thomas Müller321121
2019/20Serge Gnabry311211
2018/19Robert Lewandowski332210
2016/17Arjen Robben261311
2014/15Thomas Müller321314
2013/14Thomas Müller311311
2013/14Franck Ribéry221012
2012/13Thomas Müller281313
2012/13Franck Ribéry271015
2011/12Franck Ribéry321221
2010/11Thomas Müller341213
2010/11Arjen Robben141210
2009/10Thomas Müller341311

FC Bayern München: Jamal Musiala könnte Thomas Müller als "Mr. Double-Double" ablösen

Eine neue Abhängigkeit also? Von einem 19-Jährigen? Nur bedingt. Denn Nagelsmanns größtes Verdienst ist es, dass es keinen klaren Zielspieler mehr gibt. Selbst Choupo-Moting, der jüngst als Lewandowski-Ersatz gefeiert wurde, spielt ganz anders als der Pole. Er ist mannschaftsdienlicher, gliedert sich in das taktische Grundgerüst ein und hilft dabei, dass viele Spieler gefährlich sein können. Bayern ist dadurch dynamischer und schwerer zu greifen.

Auch für Serge Gnabry (8/4), Sadio Mané (6/3), Eric Maxim Choupo-Moting (6/2) und Leroy Sané (5/3) ist ein Double-Double noch in Reichweite. Und auch Thomas Müller ist mit zwei Toren und drei Vorlagen aus acht Einsätzen noch alles zuzutrauen, wenn er in der Rückrunde richtig in Form kommt.

Erst zweimal gelang es seit 1988 einem Klub in der Bundesliga, drei Spieler in dieser Kategorie zu stellen. Das magische Dreieck des VfB Stuttgart bestehend aus Fredi Bobic, Giovanne Élber und Krassimir Balakov erreichte diese Marke in der Saison 1996/97 zuerst. Der BVB legte 2012/13 mit Marco Reus, Mario Götze und Jakub Blaszczykowski nach.

Bei den Bayern erreichten diesen Wert nie mehr als zwei Spieler. Mit der neuen Flexibilität in der Offensive scheint in dieser Saison aber ein Angriff auf den Rekord möglich zu sein. Wobei Nagelsmann zunehmend die Rotation für sich entdeckt hat und das den einen oder anderen Spieler Scorerpunkte kosten könnte. Für den Erfolg des Teams ist das ohnehin zweitrangig. Die Zahlen unterstreichen aber, wie breit der Serienmeister offensiv aufgestellt ist.

Auch der internationale Vergleich zeigt, wie schwer es ist, drei Spieler in dieser Kategorie zu stellen. In den letzten fünf Spielzeiten gelang das in Europas Top-5-Ligen keinem Klub - trotz mehr Spielen im Ausland. Pep Guardiolas Manchester City war mehrfach nah dran, schaffte es aber nicht.

Jamal Musiala ist auf dem Weg, Thomas Müller beim FC Bayern München abzulösen.
© imago images
Jamal Musiala ist auf dem Weg, Thomas Müller beim FC Bayern München abzulösen.

FC Bayern München: Lieber Triple-Triple als Double-Double

Auch für den FC Bayern ist der Weg in dieser Saison noch weit. Musiala wird das Double-Double wahrscheinlich erreichen. Hält Gnabry seine Form, könnte er nach 2020 (12/11) zum zweiten Mal diese Marke knacken. Leroy Sané gelang das Double-Double bereits für Manchester City, bei den Bayern kam er in der vergangenen Saison auf 14 Tore und 15 Assists in allen Wettbewerben.

Legt Mané bei den Assists zu, ist er ebenfalls ein Kandidat. Bezieht man übrigens alle Wettbewerbe mit ein, liegt der Rekord der letzten zehn Jahre bei Manchester City (2018/19) mit sechs Spielern, die ein Double-Double erreichten. Bei den Bayern erreichten in der Saison 2013/14 mal fünf Spieler diesen Wert.

In dieser Saison sind mit Musiala (12/10) und Gnabry (10/10) bereits zwei Spieler über der Grenze. Auch hier sind Sané (10/6), Mané (11/4), Choupo-Moting (11/3), Müller (3/6) und sogar Goretzka (6/4) noch im Spiel. Zuzutrauen ist es den Münchnern allemal, dass sie in beiden Kategorien einen historischen Wert erreichen. Die neue Dynamik in der Offensive ist bemerkenswert. Und gerade gegen Ende der Hinrunde schienen die Bayern immer druckvoller und besser zu werden. Unter Nagelsmann kommen sie bisher auf 52 Siege. 30-mal gelangen ihnen dabei mindestens vier eigene Tore. Der Schnitt in 71 Pflichtspielen liegt bei 3,1 Toren.

Als Hansi Flick ging (3 Tore pro Spiel), fürchteten viele in München einen starken Rückgang an Toren. Bayern trifft unter Nagelsmann noch einen Tick häufiger. Als Lewandowski ging, fürchteten viele in München eine regelrechte Torflaute. Und die Bayern? Die haben nochmal angezogen und auf einen Toreschnitt von 3,3 pro Spiel erhöht. Das Verrückte an der Geschichte ist, dass gefühlt noch immer Luft nach oben ist.

Kein Wunder also, dass Nagelsmann so locker drauf ist. Auf die Frage, was er sich für das kommende Jahr erhoffe, reagierte der Trainer dann aber doch wieder etwas wortkarg, allerdings mit einem Lächeln: "Wir müssen so weiterspielen wie jetzt." Dann wäre für den FC Bayern jeder Titel möglich. Mit dieser Offensive scheinen die großen Ziele tatsächlich in Reichweite zu sein. Vielleicht sogar der Double-Double-Rekord in der Bundesliga. Wobei ihnen das dritte Triple der Klubgeschichte wohl lieber wäre - quasi das Triple-Triple.

FC Bayern München: Die Double-Double-Kandidaten in allen Wettbewerben 2022/23

SpielerEinsätzeToreAssists
Jamal Musiala221210
Serge Gnabry231010
Leroy Sané19106
Eric Maxim Choupo-Moting16113
Sadio Mané23114
Thomas Müller1536
Leon Goretzka1864
Artikel und Videos zum Thema