Vom AC Milan zum FC Bayern München II: FCB-Neuzugang Lenny Borges im Porträt

Von Dennis Melzer
Soll beim FC Bayern München zunächst auf Leihbasis in der 2. Mannschaft spielen: Lenny Borges.
© imago images / MattxWilkinsonx

Die Zweitvertretung des FC Bayern München leiht Milan-Talent Lenny Borges aus. SPOX und Goal haben den Werdegang des 19-Jährigen genauer unter die Lupe genommen, mit Borges' Förderer Marinus Bester und FCB-Nachwuchsleiter Jochen Sauer über den Außenverteidiger gesprochen.

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Borges wurde in Salzwedel (Sachsen-Anhalt) geboren und erlernte das Fußballspielen beim Lüneburger SK Hansa, ehe er im Alter von zehn Jahren beim Hamburger SV anheuerte, bei dem er sämtliche Jugendmannschaften bis zur U19 durchlaufen sollte.

Beim Traditionsverein aus der Elbmetropole entwickelte sich der Defensivmann prächtig, im September 2017 wurde er von U17-Nationaltrainer Michael Prus erstmals in den DFB-Nachwuchs berufen. Ex-Bundesligaprofi Marinus Bester, der zwischen 2016 und 2019 die neugeschaffene Stelle des Talentbegleiters bei den Rothosen ausübte, arbeitete mit Borges zusammen, weiß genau um die Qualitäten seines ehemaligen Schützlings.

Marinus Bester hebt Borges' Tempo und Technik hervor

"In der U19 ist er besonders positiv aufgefallen, wenn er die schnellen Läufe nach vorne gemacht hat und ins Eins-gegen-Eins gegangen ist. Das hat er richtig gut gemacht", sagt der mittlerweile 51-Jährige im Gespräch mit SPOX und Goal. Zwar habe man sich als Trainer gewünscht, dass ein Spieler mit derart hoher Qualität sich regelmäßiger in besagte Situationen traue, aber dennoch habe man gerade "in diesem, vor allem technischen Bereich, den Unterschied zu den anderen Spielern gesehen."

Unterschiede, die auch den HSV-Verantwortlichen nicht entgingen. "Michael Mutzel (HSV-Sportdirektor, Anm.) und ich haben schon versucht, Lenny langfristig zu binden. Er braucht nur den Finger zu heben, um hier zu bleiben", erklärte Vorstand Jonas Boldt im Sommer 2019 beim Portal Rautenperle.de.

Boldts Avancen liefen jedoch ins Leere. Borges, der hin und wieder bei den Profis mittrainieren durfte, aber offenbar keine zufriedenstellende Aussicht auf stetige Partizipation erhielt, hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits für einen Wechsel entschieden.

AC Mailand zahlte rund eine Million Euro

Rund eine Million Euro ließ Milan sich die Dienste des Youngsters kosten, der zunächst für die A-Jugend verpflichtet wurde und behutsam an die Profis herangeführt werden sollte. Paolo Maldini höchstpersönlich soll den Rohdiamanten von einem Transfer überzeugt haben.

"Lenny hat sich verständlicherweise als junger Spieler gebauchpinselt gefühlt", sagt Bester mit Blick auf das Interesse der Rossoneri. "Beim HSV hat er nicht die Chance gesehen, zeitnah regelmäßig bei den Profis mittrainieren zu können. Mit der Schule war er bereits fertig, deshalb hat ihn in Hamburg nicht mehr viel gehalten. Wenn dann ein Verein wie die AC Mailand an dich herantritt und Interesse bekundet, bist du natürlich schnell geneigt, einem Wechsel zuzustimmen."

Bester glaubt, Milans Projekt, viel Geld für junge Talente aus ganz Europa in die Hand zu nehmen, sei ein guter Ansatz gewesen. Er gibt diesbezüglich jedoch zu bedenken: "Aufgrund von Covid-19 hat das Ganze aber vermutlich eine Delle bekommen."

Tatsächlich lief es für Borges in der Modestadt nicht rund, ganz im Gegenteil: Eine Verletzung setzte ihn fast zwei Monate außer Gefecht, ab Mitte März machte die weltumspannende Corona-Pandemie einen geregelten Spiel- und Trainingsbetrieb unmöglich. Lediglich sechsmal lief Borges innerhalb des letzten Jahres für Milans U19 auf.

Bester über Borges' Milan-Wechsel: Nicht das eingetreten, was er sich versprochen hat

"Das, was er sich von seinem Wechsel nach Mailand versprochen hatte, ist nicht eingetreten - auch aufgrund seiner Verletzung und der Corona-Zwangspause", sagt Bester. "Dann ist man als junger Spieler natürlich unzufrieden."

So unzufrieden, dass Borges in sein Heimatland zurückkehrte, um seine noch junge Karriere wieder auf Touren zu bringen. "Es war damit zu rechnen, dass Lenny vorerst wieder nach Deutschland kommt", sagt Bester und ergänzt: "Dass er nun zu Bayern II geht, hat mich überrascht, aber ich freue mich ungemein für ihn. Das ist eine große Herausforderung."

FCB-Campusleiter Jochen Sauer: "Gute Außenverteidiger sind nur begrenzt auf dem Markt"

Doch wie kam es dazu, dass sich die Münchner überhaupt um das einstige Hamburg-Juwel bemühten? "Unsere Scouting-Abteilung kennt den Spieler insbesondere aus HSV-Zeiten", verrät Campus-Leiter Jochen Sauer im Gespräch mit SPOX und Goal. "Im Rahmen der aktuellen Personalplanungen rückte Lenny nun wieder für uns in den Blickpunkt. Auch, weil er nicht gespielt hat und sich dadurch eine Verpflichtungsgelegenheit ergab. Gute Außenverteidiger sind aktuell auch nur begrenzt auf dem Markt."

Vor allem Außenverteidiger, die zur Spielphilosophie des FC Bayern passen. "Er ist ein schneller und technisch versierter Spieler mit Stärken im Offensivspiel. Er schlägt gute Flanken", lobt Sauer. "Darüber hinaus ist er sehr ehrgeizig und mit einer Top-Mentalität ausgestattet." Bester zufolge sei genau dies neben den fußballerischen Qualitäten ein wichtiger Aspekt, um sich in München zu etablieren.

Lenny Borges: "Er benötigt ein bisschen das Bayern-Gen"

"Der Verein hat große Ansprüche, vermittelt eine gewisse Siegermentalität", sagt er. Borges habe "ein gutes Elternhaus" und sei "wohlerzogen". Allerdings: "Er ist niemand, der den Raum betritt und den Leuten sagt, wo es lang geht. Diesbezüglich benötigt er noch ein bisschen das Bayern-Gen. Aber gefühlt wird den Bayern-Spielern das berüchtigte Mia san Mia mit der Spritze verabreicht, das wird ihm guttun."

Neben den positiven Eigenschaften, die sowohl Bester als auch Sauer im offensiven Bereich ausgemacht haben, sehen die beiden noch Verbesserungspotenzial im Spiel nach hinten. "Er muss den Schritt in den Männerbereich vollziehen. Im Defensivverhalten und im athletischen Bereich hat er noch Potenzial", sagt Sauer.

Er führt aus: "Wir wissen um sein fußballerisches Entwicklungspotential; er muss sich aber auch an den Herrenfußball und speziell das hohe athletische Niveau in der 3. Liga gewöhnen." Aus Besters Sicht sei es zunächst einmal wichtig, dass Borges "körperliche Stabilität gewinnt und verletzungsfrei bleibt. In der Rückwärtsbewegung hat er sicherlich Luft nach oben." Zudem müsse Borges sich im Herrenfußball eine gewisse Zweikampfstärke aneignen.

Sollte er dies bewerkstelligen, könne der Transfer für beide Seiten nur positive Auswirkungen haben. "Sicherlich wird es für Lenny eine Umstellung sein, aber beim FCB kann er letztlich nur dazu lernen - wenn er sich darauf einlässt und versucht, das Geforderte umzusetzen. Dann wird er viel Freude an Bayern haben und der Verein wird im Umkehrschluss viel Freude an Lenny haben", glaubt Bester.

Bester: "... und plötzlich hast du den nächsten Davies oder Lahm"

Er scherzt abschließend: "Umso häufiger man seine Aktionen positiv gestaltet, desto besser ist das fürs Selbstbewusstsein. Irgendwann geht dies in Fleisch und Blut über - und plötzlich hast du den nächsten Alphonso Davies oder Philipp Lahm."

Sollten sich die Münchner in Borges tatsächlich einen neuen Davies oder Lahm gesichert haben, dürften sich die Verantwortlichen sicherlich noch einmal Gedanken über ein langfristiges Engagement des Nordlichts machen. Zunächst bestätigt Sauer jedoch: "Stand heute haben wir ihn nur für diese eine Saison ausgeliehen."

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