FC Bayern mit Dreierkette gegen Paderborn: Ein gescheitertes Not-Experiment

Von Dennis Melzer
Lucas Hernandez und der FC Bayern siegten gegen Paderborn nur mit viel Mühe.
© getty

Hansi Flick experimentierte gegen Paderborn, stellte auf eine Dreierkette um - und musste mit ansehen, dass seine Behelfsformation sich schwertat.

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Mehr als ein gleichermaßen vielsagendes wie schelmisches Grinsen hatte Manuel Neuer nicht übrig, als er die Frage gestellt bekam, ob denn die Möglichkeit bestünde, dass der FC Bayern am kommenden Dienstag gegen den FC Chelsea erneut mit einer Dreierkette auflaufen wird. Ohne verbal auf die Thematik einzugehen, hatte der Kapitän dennoch klar vermittelt: "Nein, das ist definitiv keine Option."

Lässt man das, was sich zuvor auf dem Rasen der Allianz Arena abgespielt hatte, noch einmal Revue passieren, ist die Reaktion Neuers durchaus nachvollziehbar.

Weil mit Jerome Boateng und Benjamin Pavard zwei Stammkräfte der vergangenen Wochen gelbgesperrt fehlten und Niklas Süle sich nach seinem Kreuzbandriss derzeit langsam wieder mittels lockerem Lauftraining herantastet, stellte sich der Abwehrverbund eigentlich von selbst auf. Alphonso Davies links, daneben Lucas Hernandez und David Alaba, rechts Alvaro Odriozola, der erstmals seit seinem Wechsel im Winter von Real Madrid in der Startelf stehen würde. So zumindest die Theorie, die sich unter der Woche auch medial manifestierte.

Hansi Flick überrascht mit taktischer Umstellung

In der Praxis überraschte Trainer Hansi Flick wohl nicht nur die anwesenden Pressevertreter, indem er mitnichten auf die erwartete Viererkette aus den oben genannten Akteuren setzte, sondern Joshua Kimmich aus dem Mittelfeld in die Innenverteidigung beorderte und neben Hernandez und Alaba in einer Dreierkette platzierte, während Davies und Odriozola die Außen beackern sollten. "Paderborn verteidigt im 4-4-2-System. Mit einer Dreierkette gegen zwei Stürmer anzugreifen, ist dann etwas einfacher", begründete Kimmich den Schachzug seines Übungsleiters im Anschluss an die Partie in der Mixed-Zone und schob nach: "Eine Top-Mannschaft muss viele verschiedene Systeme beherrschen und auf den Gegner reagieren können. Wir haben einige gesperrte Spieler gehabt, zudem weiterhin einige Verletzte. Deshalb haben wir mal etwas anderes ausprobiert."

Er selbst habe ohnehin den Anspruch, "auf verschiedenen Positionen zu spielen". Der Nationalspieler, der unter Flick vornehmlich und recht erfolgreich im zentralen Mittelfeld eingesetzt wird, musste mit Blick auf den Spielverlauf allerdings konstatieren. "Wir hatten sehr viel Raum, besonders über die Außenbahnen. Aber wir haben nicht die perfekte Lösung gefunden." Tatsächlich ließen sich die Gäste aus Ostwestfalen von Flicks unkonventionellem Schachzug nicht übertölpeln und stellten sich recht schnell auf die Situation ein. Die Folge: Gerade über Davies und Odriozola, die - so zumindest der Plan - über die Flügel für mehr offensive Durchschlagskraft sorgen sollten, kam nur wenig Zählbares.

Vor allem der Spanier, der sich auf der rechten Seite sichtlich bemühte, versuchte, seine Startelf-Chance zu nutzen, unheimlich viel lief und etliche Bälle forderte, fiel nach einer brauchbaren Anfangsphase ab. Immer wieder suchte er sein Heil in Flanken (acht bis zu seiner Auswechslung in der 63. Minute), fand bis auf wenige Ausnahmen zumeist aber nur den Kopf oder das Bein eines Gegners. In defensiven Zweikämpfen zog er zudem nur allzu häufig den Kürzeren, was sich zahlentechnisch in einer Bilanz von 28,6 Prozent gewonnener Duelle widerspiegelte.

Manuel Neuer: "Das war mehr oder weniger aus der Not geboren"

Während den Bayern vorne also die nötige Kreativität fehlte, nur drei Abschlüsse auf des Gegners Tor heraussprangen, setzte der Tabellenletzte ein ums andere Mal die viel zitierten Nadelstiche, indem er lange Bälle hinter die hochstehende Linie spielte, die dann von den schnellen Angreifern erlaufen werden sollten.

Eine Marschroute, die kurz vor der Pause unter gütiger Mithilfe von Neuer zum zwischenzeitlichen Ausgleich führte. "Die Kette ist stehengeblieben und ich hatte Respekt davor, durchzuziehen. Er kommt vorher an den Ball, wenn ich dann durchziehe, hätte ich wahrscheinlich eine Rote Karte bekommen", schilderte der Keeper die Szene, aus der SCP-Stürmer Dennis Srbeny als Nutznießer hervorging.

Hinsichtlich des aus Bayern-Sicht schleppenden Spielverlaufs erklärte Neuer: "Warum das so passiert ist, wissen wir ja. Deshalb müssen wir über die Formation oder Taktik nicht so viel reden. Das war mehr oder weniger aus der Not geboren."

Anders als Kimmich, der die Systemänderung neben der personellen Situation mit der Paderborner Angriffsweise legitimierte, lieferte der Schlussmann einen anderen Ansatz: die Erfahrungen aus der Begegnung am vergangenen Sonntag mit dem 1. FC Köln. "Wir mussten etwas ändern, auch taktisch", sagte Neuer. Er ergänzte: "Wir haben gesehen, dass Köln in der zweiten Halbzeit zu viele Torchancen hatte. Wir haben dort mit zwei Linksfüßern (Hernandez und Alaba) in der Innenverteidigung gespielt. Das hat nicht so gut funktioniert."

Dreierkette gegen Chelsea eine Option? Hansi Flick gibt vielsagenden Hinweis

Ein Resümee, das man eins zu eins auf das Experiment am Freitagabend anwenden konnte. "Das war einfach der personellen Situation geschuldet", spielte auch Flick selbst nachher auf der Pressekonferenz auf die Gelbsperren Boatengs und Pavards an, ließ bezugnehmend auf das Königsklassen-Duell in London aber durchblicken, dass mit der Rückkehr der beiden wieder traditionell aufgestellt wird: "Es hat keine Auswirkungen, dass wir überlegen, in der Form gegen Chelsea zu spielen. Wir haben zuvor im 4-3-3 sehr gut gespielt. Heute hat man gesehen, dass gerade über die Flügel das eine oder andere nicht so gut funktioniert hat. Als wir Serge Gnabry und Kingsley Coman dann auf den Außenbahnen hatten, war dann mehr Schwung und Gefahr da."

Die Kombination aus Schwung und Gefahr, die am Ende dazu führte, dass die Münchner mit einem blauen Auge davonkamen und sich nach dem 3:2 am Wochenende genüsslich zurücklehnen und das Schaffen der Konkurrenz aus der Ferne beobachten können. Dann wird auch das gescheiterte Not-Experiment vielleicht schnell in Vergessenheit geraten. Ein Experiment, das ohnehin nicht zukunftsträchtig ist. Weder am Dienstag gegen Chelsea noch in den entscheidenden Wochen danach.

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