Bayer 04 Leverkusen: Wie Xabi Alonso die "gesunde Mitte" der Werkself fand

Von Justin Kraft
Bayer Leverkusen hat die vergangenen fünf Ligaspiele gewonnen.
© getty

Bayer 04 Leverkusen ist derzeit das Team in der Bundesliga, das den attraktivsten Fußball spielt - und damit auch noch überaus erfolgreich ist. Der Grund dafür ist simpel: Xabi Alonso. Doch was hat der Spanier gemacht, um Leverkusen derart in die Spur zu bringen?

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In Leverkusen haben sie etwas wiederentdeckt, was sie längst verloren glaubten: Ein positives Grundgefühl, dass mittel- bis langfristig etwas Großes entstehen könnte. Seitdem Alonso auf der Trainerbank sitzt, ist man in der Liga vom vorletzten Tabellenplatz auf den sechsten geklettert. In der Europa League hat der Verein das Viertelfinale erreicht und nach dem 1:1 im Hinspiel am Donnerstag gegen Union Saint-Gilloise immerhin noch gute Karten auf das Halbfinale.

Sieben Pflichtspiele gewann Bayer 04 davor in Serie, seit zehn ist man nun ungeschlagen. Darunter der verdiente 2:1-Erfolg gegen die Bayern. Alonso scheint voll angekommen zu sein. In nur sechs Monaten hat der 41-Jährige auf mehreren Ebenen dafür gesorgt, dass Leverkusen wieder ernstgenommen wird - und sich selbst auch wieder ernstnehmen kann.

Doch was hat die einstige Mittelfeldlegende konkret verändert? Und warum könnte er der Trainer sein, der endlich für Konstanz sorgt?

Bayer 04 Leverkusen: Xabi Alonso findet die "gesunde Mitte"

"Wir haben uns viele Spiele angeschaut und von außen wurden wir den Eindruck nicht los, dass in den Spielen irgendwie alles passieren konnte", sagte Alonso jüngst in einem Interview mit der SZ, als er darauf angesprochen wurde, welchen Eindruck er von dem Team hatte, bevor er übernahm: "Weil eine gesunde Kontrolle der Spiele fehlte, eine gesunde Mitte. Manchmal trug die Mannschaft die Last des Spiels, ohne das Spiel richtig zu dominieren."

Und weiter: "Oder sie bekam in Umschaltsituationen Probleme, obwohl das Team gerade für Umschaltsituationen richtig gute Spieler hat. Fußball ist immer auch eine Frage von emotionalen Zuständen und diese Mannschaft musste wohl gerade nach der guten Vorsaison mit dem Zweifel umgehen: Oh, vielleicht bin ich doch gar nicht so hübsch, wie ich gezeichnet wurde."

Es ist bemerkenswert, mit welcher Präzision Alonso die Probleme Leverkusens einerseits benennt, sie andererseits aber auch in kurzer Zeit behoben zu haben scheint. Mittlerweile ist das Team in der Lage, die Last des Spiels zu tragen, weil es Dominanz aufbauen kann. Wie zuletzt beim 3:1-Sieg gegen Eintracht Frankfurt.

Bayer 04 Leverkusen: Xabi Alonso gibt dem Spiel mehr Klarheit

In allen Phasen des Spiels sind klare Prinzipien zu erkennen. Alonso lässt in der Regel mit vier Innenverteidigern aufbauen. Piero Hincapié spielt dabei einen nominellen Flügelverteidiger auf der linken Seite, ohne aber offensiv sonderlich aktiv zu sein. In Ballbesitz baut die Werkself so mit einer flachen Viererkette auf. Davor bewegen sich Robert Andrich und Exequiel Palacios in die Zwischenräume - allerdings immer so, dass sie nicht auf einer Linie stehen.

Durch bis zu sechs Spieler hat Leverkusen immer ausreichend Anspielstationen, um auch ein hohes Pressing des Gegners zu überspielen und nicht unter Druck zu geraten. Der Ball zirkuliert meist solange durch die Kette, bis sich die Möglichkeit ergibt, über einen der beiden Halbräume anzugreifen. Hier kommt vor allem Florian Wirtz ins Spiel, der eine sehr freie Rolle in der Offensive bekleidet. Der Nationalspieler bewegt sich viel zwischen Abwehr und Mittelfeld des Gegners, versucht vor allem, Verbindungen zu den Außenspielern herzustellen.

Für gegnerische Mannschaften ist dieses Positionsspiel nur schwer zu greifen. Einerseits aufgrund der hohen individuellen Qualität, andererseits haben die ballführenden Spieler selbst am Flügel fast immer mehr als eine Option, um sich von dort ins Zentrum zu befreien. Frankfurts Pressing lief damit fast immer ins Leere.

Bayer Leverkusen hat die vergangenen fünf Ligaspiele gewonnen.
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Bayer Leverkusen hat die vergangenen fünf Ligaspiele gewonnen.

Leverkusen: Warum Diagonalität für Xabi Alonso so wichtig ist

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Diagonalität. Das gesamte Team positioniert sich in Ballbesitz so, dass kaum Spieler auf einer vertikalen Linie stehen. Vertikale Pässe haben zwei entscheidende Nachteile: Der Passempfänger hat meist ein eingeschränktes Sichtfeld, weil er die Situation mit dem Rücken zum gegnerischen Tor lösen muss. Außerdem muss das gegnerische Team nur in eine Richtung verschieben.

Vor allem die Abwehr kann weiterhin so positioniert bleiben, wie sie ist. Ein Diagonalpass hingegen erzeugt sowohl Raumgewinn als auch eine Verlagerung des Spiels. Der Passempfänger kann mit einer offenen Stellung agieren, die ihm ein gutes Blickfeld ermöglicht. Und die Defensivreihe muss je nach Passwinkel verschieben. Das kann zu Lücken führen. Vor allem dann, wenn unklar ist, wer den Passempfänger attackieren soll.

Leverkusen achtet beinahe penibel darauf, möglichst viele solcher Diagonalbälle zu spielen und die dadurch entstehenden Räume mit den schnellen Offensivspielern zu nutzen - vor allem die rechte Seite mit Jeremie Frimpong und Moussa Diaby ragt dabei heraus. Ersterer, nominell rechter Flügelverteidiger, agiert durch die gute Defensivabsicherung extrem hoch.

Bayer 04 spielt einen erfrischenden Fußball. Alonso zeigt der recht eintönig agierenden Bundesliga, dass Ballbesitzfußball auch in Deutschland funktionieren kann. Seine Ansätze sind weder hochkomplex, noch einzigartig. Aber die Art und Weise, wie Leverkusen sie derzeit umsetzt, lässt den Rückschluss zu, dass der ehemalige Champions-League-Sieger einen sehr guten Draht zu seinem Team gefunden hat.

Xabi Alonso macht Bayer Leverkusen gegen den Ball stabiler

Seine Spieler profitieren nicht nur in der Offensive von den Ideen. Die gute Staffelung und die klaren Prinzipien im Mittelfeld führen dazu, dass Leverkusen gegen den Ball stabiler ist. Bei Ballverlusten sind viele Spieler in Ballnähe, um direkt ins Gegenpressing zu gehen. Gelingt das nicht, hat man mit Andrich und den vier Innenverteidigern eine robuste Absicherung, die es oft schafft, Umschaltsituationen des Gegners zu verlangsamen. Dadurch kann Leverkusen seine restlichen Spieler wieder hinter den Ball bringen.

In den letzten Jahren hat Leverkusen verschiedene Arten von Fußball gespielt. Extrem offensiv, extrem defensiv, manchmal wirkte das Team aber auch einfach nur kopflos. Die "gesunde Mitte", die Alonso zuvor vermisst hatte, scheint sich nun mit seinen Ideen zu bilden.

Trotzdem weiß auch er, wie weit der Weg noch ist. In den vergangenen Jahren hat Leverkusen schon häufig erfolgreichen Fußball über einen kurzen Zeitraum gezeigt, um am Ende eben doch wieder einen Einbruch zu erleben. "Wir sind in einem guten Moment", erklärte der Ex-Profi des FC Bayern deshalb nach dem Sieg über Frankfurt: "Wir müssen ruhig und mit den Füßen auf dem Boden bleiben."

Vor diesen Herausforderungen steht Xabi Alonso jetzt

Wie einst als Spieler ist Alonso der Taktgeber des Teams. Mit Ruhe, aber auch mit vielen guten Ideen - und dem Bewusstsein dafür, dass man längst nicht am Ende der Entwicklung ist. Gegen Frankfurt verpasste das Team eine frühe Entscheidung, wodurch die Eintracht nochmal zurückkam. Kurz schien Leverkusen fragiler zu sein als in den Vorwochen. Doch das Spiel wurde gewonnen. Unter der Woche in der Europa League tat man sich wiederum schwer gegen starke Gäste aus Belgien. Der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.

Ob die Werkself unter Alonso wirklich so hübsch ist, wie sie aktuell gezeichnet wird, wird sich noch zeigen. Bisher hatte der Trainer die Möglichkeit, auf einen Kern an Spielern zurückgreifen zu können, die in guter Form sind und sich auch nicht mit Verletzungen herumschlagen mussten.

Spannend wird es, wenn er Schlüsselspieler ersetzen muss. Dann wird sich zeigen, ob der taktische Plan, der derzeit herausragend funktioniert, auch mit Kompromissen funktioniert. Das gilt ebenso für die Zukunft. Im vergangenen Sommer gelang es Leverkusen, wichtige Spieler zu halten. Auf absehbare Zeit wird man aber Leistungsträger gehen lassen müssen.

Den zu frühen Jubel hat man sich im Umfeld von Leverkusen deshalb abgewöhnt. Aber das positive Grundgefühl, das vor allem Alonso zurückgebracht hat, wird wohl noch etwas anhalten.

Bundesliga: Die aktuelle Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München2777:294858
2.Borussia Dortmund2759:362356
3.Union Berlin2742:301251
4.RB Leipzig2750:331748
5.Freiburg2739:36347
6.Bayer Leverkusen2751:411043
7.Eintracht Frankfurt2748:40841
8.Mainz 052745:38741
9.Wolfsburg2746:361039
10.Borussia M'gladbach2742:44-235
11.Werder Bremen2742:52-1032
12.Köln2736:45-931
13.Augsburg2735:50-1529
14.Hoffenheim2737:46-928
15.Bochum2730:60-3026
16.Stuttgart2732:47-1523
17.Hertha BSC2731:50-1922
18.Schalke 042721:50-2921
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