BVB: Vor zehn Jahren! Wechsel von Dortmunds Mario Götze zum FC Bayern München wird bekannt

Von Jochen Tittmar
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Heute vor zehn Jahren, am 23. April 2013, überraschte eine Nachricht ganz Fußball-Deutschland: Mario Götze wechselte vom BVB zum FC Bayern München. Ein chronologischer Rückblick.

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Mario Götze war damals der Shootingstar von Borussia Dortmund. Der BVB gewann 2011 die Meisterschaft und setzte ein Jahr später das Double oben drauf.

Götze trug mit 39 Torbeteiligungen in 67 Pflichtspielen maßgeblich dazu bei. In der Folgesaison 2012/2013 gelang den Westfalen der sensationelle Einzug ins Finale der Champions League. Auf dem Weg dorthin platzte die Nachricht hinein, dass Götze zum Rivalen nach München wechselt.

Wir rekapitulieren die Ereignisse, die lange Zeit noch nachhallten - und die Götze Jahre später bereuen sollte.

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27. März 2012

Mit fünf Punkten Vorsprung vor dem FC Bayern steht der amtierende Meister aus Dortmund an der Tabellenspitze. Leistungsträger Götze verlängert seinen Vertrag vorzeitig bis 2016. Schon damals sollen ihm Angebote europäischer Top-Klubs vorgelegen haben.

"Jeder weiß, wie wohl ich mich in Dortmund fühle", sagte Götze. Deshalb sei es ihm nicht schwer gefallen, den Kontrakt mit dem BVB schon jetzt zu verlängern. Die Mannschaft sei mit ihrer Entwicklung noch lange nicht fertig, sagte Götze: "Und ich möchte Teil dieser Entwicklung sein."

15. Dezember 2012

In einem Interview mit der Bild am Sonntag wurde der damals 20-Jährige gefragt, ob für ihn ein Wechsel zum FC Bayern vorstellbar sei. Götzes Antwort: "Ganz ehrlich: Ich sehe keinen Grund, mich mit einem Wechsel zu beschäftigen. Seit ich in der Jugend zum BVB gekommen bin, habe ich mich nie wirklich damit befasst. Ich habe hier alles, was ich brauche und möchte jetzt sogar ein Haus in Dortmund bauen, weil ich mich in der Stadt so wohl fühle."

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8. Januar 2013

Götze schließt einen Verbleib beim BVB bis zum Karriereende nicht aus: "Ich kann mir das vorstellen. Ich bin in Dortmund aufgewachsen, fühle mich in der Stadt sehr wohl, habe Freunde und Familie dort. Das alles spricht für Dortmund und den BVB", sagte er Nationalspieler in einem Interview mit der WAZ.

Ob es jedoch so komme, müsse die Zukunft zeigen, ergänzte er: "Erstmal läuft mein Vertrag bis 2016. Deshalb gibt es überhaupt keinen Grund, über etwas anderes nachzudenken." Zu diesem Zeitpunkt hatte Götze für die Borussia 70 Bundesligaspiele bestritten und dabei 18 Tore erzielt.

16. Januar 2013

Kurz vor Beginn der Rückrunde gibt der FC Bayern bekannt, dass Pep Guardiola die Nachfolge des 67-jährigen Jupp Heynckes antreten wird. Der Spanier erhält in München einen Dreijahresvertrag bis 2016.

Die Bayern führen zu diesem Zeitpunkt die Tabelle mit neun Zählern Vorsprung vor Bayer Leverkusen an. Dortmund ist Dritter und liegt zwölf Punkte hinter dem FCB.

Februar 2013

Wie Götzes Berater Volker Struth in seinem Ende 2021 erschienenen Buch "Meine Spielzüge. Aus der Kohlensiedlung zum erfolgreichsten Spielerberater Deutschlands" schreibt, bringt Matthias Sammer als damaliger Münchner Sport-Vorstand den Stein in Sachen Götze-Transfer ins Rollen.

"Matthias Sammer rief an und sein erster Satz klang, als wolle er nur mal mit mir Kaffee trinken. 'Volker, könntest du dir vorstellen, dass wir uns mal zusammensetzen?', sagte er. Und dann: 'Ich würde mich mal gerne über Mario mit dir unterhalten.'", schreibt Struth.

Mario Götzes Berater Volker Struth.
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März 2013

Dank Struths Buch lässt sich heute der weitere Verlauf der Geschehnisse belegen, von denen die Öffentlichkeit damals freilich nichts weiß. Der Name Guardiola "machte blind", schreibt der Berater. Götze will wechseln.

Struth informiert BVB-Sportdirektor Michael Zorc, der "völlig unvorbereitet" ans Telefon ging. "Michael, ich muss dir etwas sagen. Mario hat sich dafür entschieden, im Sommer nach München zu wechseln. Wir werden die Ausstiegsklausel ziehen", sagt Struth.

Es folgt Stille, dann sagt Zorc, er rufe in fünf Minuten zurück. Als er dies tut, geschieht laut Struth Folgendes: "Er warf mir alle Beleidigungen an den Kopf, die die deutsche Sprache hervorgebracht hat, eine nach der anderen, minutenlang. Ich sagte nur einen Satz: 'Ich kann deinen Zorn verstehen, aber ich kann es nicht ändern.'"

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Tags darauf klingelt Struths Handy erneut, wieder ist Zorc mit "gespielt sachlicher" Stimme dran. "Hier herrscht Schockstarre. Wir müssen uns treffen, alle zusammen", sagt Zorc. Kurz darauf kommt es in einem Dortmunder Restaurant zur Elefantenrunde.

"Ich ertappte mich dabei zu hoffen, dass Klopp den Jungen zum Bleiben überreden würde", schreibt Struth. Doch Götze machte unmissverständlich klar: "Ich möchte das einmal erleben, für Guardiola zu spielen. Das bedeutet nicht, dass mich irgendetwas in Dortmund stört. Ich weiß bloß, das ist eine Chance, die nie mehr wiederkommt und die ich nutzen will."

Schließlich wurde das Treffen emotional, als die "Dortmunder Delegation merkte, dass all ihr Bezirzen und Buhlen ins Leere lief", so Struth. Beim BVB glaubt man, es ist der Berater, der Götze instruierte, was er zu sagen hat. "Hab schon verstanden, Mario, ich bin halt kein Guardiola", sagt Klopp.

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23. April 2013

Um kurz nach Mitternacht meldet die Bild, dass Götze am 1. Juli zum FC Bayern gehen wird. Die Sportmedien überschlagen sich. Laut der Boulevardzeitung hat der Dortmunder den Vertrag bereits unterschrieben. Der Wechsel komme dank einer Ausstiegsklausel in der Höhe von 37 Millionen Euro zustande.

Am selben Abend spielt der FC Bayern im Halbfinale der Champions League zu Hause gegen den FC Barcelona (der FCB siegt mit 4:0), der BVB ist am nächsten Tag gegen Real Madrid dran. Auch diese Konstellation sorgt für große Brisanz.

Lange halten sich die Spekulationen um Götze jedoch nicht, denn bereits am selben Tag bestätigt die Borussia den Transfer. "Wir sind natürlich über alle Maßen enttäuscht, betonen aber, dass sich sowohl Mario als auch sein Berater absolut vertragskonform verhalten haben", sagt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.

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Götze und Berater Struth hätten dem Verein mitgeteilt, dass Götze von seiner Ausstiegsklausel Gebrauch machen möchte. Vom FC Bayern hingegen habe sich "bis zum heutigen Tag in dieser Angelegenheit kein Offizieller bei Borussia Dortmund gemeldet".

Das bestätigt auch Watzkes damaliger Gegenüber Karl-Heinz Rummenigge im Oktober 2019. Er hatte "Verständnis, dass sie völlig sauer waren", so Rummenigge in einem Beitrag in Watzkes Biografie. "Wir hatten sie damals schließlich gar nicht kontaktiert, weil das auch der Wunsch von Marios Berater war. Alles sollte schön unter der Decke bleiben. Der ganze Transfer hatte eigentlich bis zum Ende der Saison geheim bleiben sollen."

Neben dem BVB gibt auch der deutsche Rekordmeister am 23. April ein Statement heraus: "Der FC Bayern ist bereit, die zwischen Borussia Dortmund und Mario Götze vereinbarte Ausstiegsklausel zu erfüllen." Durch die 37 Millionen Euro Ablöse wird Götze der teuerste Spieler, der je von einem Bundesligaverein zu einem anderen gewechselt ist.

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Klar ist dennoch: Die Verkündung des Transfers auf diese Art und Weise ist alles andere als geplant gewesen. Bis heute ist nicht geklärt, wie die Bild vorab davon Wind bekam. In der Pressemitteilung des FCB heißt es, die Münchner wollten den Wechsel aus Rücksicht auf das bevorstehende CL-Spiel der Dortmunder "erst nach dieser Begegnung gegenüber dem BVB anzeigen".

Nachdem der Transfer bekannt wird, rutscht der Aktienkurs der Borussia um rund vier Prozent ins Minus. "Gemeinsam mit Trainer Jürgen Klopp bittet Sportdirektor Michael Zorc alle Fans des BVB, Mario Götze in den letzten Spielen der Saison, vor allem aber im wichtigen UEFA Champions League-Halbfinale gegen Real Madrid, genauso bedingungslos zu unterstützen wie jeden anderen Dortmunder Profi", ist zudem in der offiziellen Verkündung der Westfalen zu lesen.

Doch damit nicht genug: Am Nachmittag des 23. April, wenige Stunden nach der Vollzugsmeldung, hält der BVB die Pressekonferenz vor dem Duell mit Real Madrid ab. Dort wendet sich Klopp ganz zum Ende mit einem Appell an die BVB-Fans: "Lasst uns morgen einen ganz speziellen, einen besonderen, einen BVB-Abend machen und gegen Real Madrid gewinnen."

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Ob das gelingt oder Götze nicht ein wahrer Spießrutenlauf bevorsteht, ist zu diesem Zeitpunkt fraglich. Auf seinen Facebook-Beiträgen sind dutzende Beleidigungen zu lesen, zudem kursieren Bilder von brennenden BVB-Trikots mit der Rückennummer 10 im Internet.

Im Mai 2019 blickt Götze in einem Beitrag für The Players Tribune auf die Umstände rund um die Bekanntgabe des Wechsels zurück: "Ich hatte entschieden zu gehen, aber ich verstand die Konsequenzen nicht. Einige Wochen später stand die Polizei vor meinem Elternhaus, um uns zu schützen."

Und weiter: "Ich konnte damit umgehen. Aber mein jüngerer Bruder war 14 und wurde in der Schule gestellt. Die Leute sagten Dinge zu meiner Mutter. Meine Familie wurde im Internet bedroht. Das zu durchleben war unglaublich, besonders, weil das unser Zuhause war. Ich musste im Sommer wegziehen, aber meine Familie musste in Dortmund bleiben, dort leben. Das war die schwerste Zeit in unserem Leben."

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24. April 2013

Klopps Ansprache auf der PK zeigt Wirkung. Dortmund schlägt Real sensationell mit 4:1 durch vier Tore von Robert Lewandowski. Götze spielt von Beginn an, wird kaum ausgepfiffen, bereitet das 1:0 vor und liefert eine überzeugende Vorstellung ab.

Allerdings: Die Partie ist Götzes (vorerst) letztes Spiel in Schwarz-Gelb. Muskelverletzungen bremsen ihn den Rest der Saison aus. Dadurch verpasst er auch das CL-Finale gegen seinen zukünftigen Arbeitgeber aus München, das der BVB mit 1:2 verliert.

1. Juli 2013

Am ersten Arbeitstag von Götze erscheint ein Interview mit ihm auf Bayerns Vereinshomepage. Darin bezeichnet er den Wechsel zum FCB als absolut richtige Entscheidung. "Ich wollte das so - aus Überzeugung. Ich will beim FC Bayern den nächsten Schritt in meiner Karriere machen", sagte Götze. Er sei jetzt "beim besten Verein der Welt".

Seinen Medizincheck absolviert Götze übrigens unter strengster Geheimhaltung, wie Kniespezialist Dr. Ulrich Boenisch Jahre später verrät. Die Untersuchung fand in Augsburg statt. "Als er bei uns untersucht wurde, herrschte höchste Alarmstufe. Wir haben Mützen verteilt, Hintereingänge benutzt, Diskretion pur. Zwei Stunden haben wir hier dafür alles blockiert", sagte Boenisch der Augsburger Allgemeinen.

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21. Juli 2016

Nach drei Jahren in München, in denen er dreimal Deutscher Meister sowie zweimal Pokalsieger wird und im DFB-Trikot Deutschland zum WM-Titel schießt, kehrt Götze zu Dortmund zurück. "Als ich 2013 vom BVB zum FC Bayern gewechselt bin", sagt Götze, "war das eine bewusste Entscheidung, hinter der ich mich heute nicht verstecken will."

Dennoch sieht er sie rückblickend als Fehler an. "Drei Jahre später und mit inzwischen 24 Jahren blicke ich mit anderen Augen auf meinen damaligen Entschluss. Ich kann gut verstehen, dass viele Fans meine Entscheidung nicht nachvollziehen konnten. Ich würde sie so heute auch nicht mehr treffen!"

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