Falko Götz im Karriere-Interview: "Es gab kein Zurück mehr"

Von Ulli Ludwig
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Nach zweijähriger Fußball-Abstinenz als Trainer sagten Sie 2011 mal den bemerkenswerten Satz: "Eh ich gar nix mache, gehe ich nach Vietnam" - und wurden dort Nationaltrainer. Elf Monate später war schon wieder Schluss. War die Zeit nur ein Zeitvertreib?

Götz: Ich habe den Job da absolut ernst genommen. Es hat mir großen Spaß gemacht, weit weg von Deutschland andere Mentalitäten und Lebensweisen kennenzulernen. Ich hatte in dieser Zeit einfach das Gefühl, mal was anderes machen zu müssen. Schlussendlich war die Flucht damals auch ein Meilenstein: Wäre ich nicht in die BRD gekommen, hätte ich so einen Job in Vietnam nie machen können.

Zuvor waren Sie eine ähnlich kurze Zeit in Kiel. Später in Aue, Saarbrücken und Frankfurt ging es nie so richtig lange. Hat es für Sie als Trainer einfach nicht mehr funktioniert?

Götz: Es ist in meinem Leben eben nicht immer alles nach oben gegangen. Zumindest ging es nie ganz nach unten. Sie erwähnten Aue: Ich habe selten bei einem so herzlichen Verein wie im Erzgebirge gearbeitet. In Aue sind Malocher zuhause. Den Menschen dort tut es doppelt weh, wenn man Leute gut bezahlt und sie keine Leistung bringen. Deswegen erwarten sie, dass du dich voll reinhaust. Im Stadtzentrum von Aue läuft kein Mensch mit Bayern- oder Dortmund-Trikot rum. Die haben alle das Aue-Trikot an. Das ist eine sehr stolze Gegend, wo sehr stolze Menschen leben. Man darf eine Trainer-Karriere nicht an der Qualität der Vereine oder materiellen Dingen messen. Für mich war einfach die Zeit In den Vereinen wichtig.

Angefangen hat Ihre Trainer-Karriere bekanntlich sehr erfolgreich bei Hertha BSC. Sie waren Trainer der Amateure, Nachwuchskoordinator und saßen 2002 und später von 2004 bis 2007 sogar als Cheftrainer bei den Profis auf der Bank. Wie haben Sie den Klub kennengelernt?

Götz: Wir waren damals noch sehr weit weg vom Big City Club. (lacht) Nach sehr langer Durststrecke sind wir 1997 endlich in die Bundesliga zurückgekehrt. In den ersten Jahren ging es darum, in der Liga zu bleiben, danach war man relativ stabil und fast immer international dabei. Dadurch hatte man auch immer Zugriff auf Topspieler. Inklusive einer guten Nachwuchsarbeit. Bei Hertha wurden sehr gute Spieler ausgebildet, die später dann auch eine große Rolle in der Bundesliga gespielt haben.

Als ehemaliger Spieler, Trainer und Nachwuchskoordinator haben Sie tiefe Einblicke in den Verein bekommen. Welches Potential hat dieser Klub?

Götz: Ich weiß nicht, wie man es heute macht. Damals ging es darum, eine Verbindung zwischen Topstars, die eine Hauptstadt braucht, wie Marcelinho, Pantelic oder Arne Friedrich, aber natürlich auch Identifikations-Spielern aus Berlin zu schaffen. Wir hatten in den Jahrgängen 1986 bis 1990 zehn, zwölf potenzielle Bundesligaspieler, die sich teilweise dann auch durchgesetzt haben. Da waren Thorben Marx, Malik Fathi, Sofian Chahed, Sejad Salihovic, aber auch Alex Madlung, Ashkan Dejagah, die Boateng-Brüder oder Patrick Ebert dabei. Schade, dass diese Talente dann aber selten in Berlin geblieben sind. Sie haben anderswo groß Karriere gemacht.

Götz 2007 als Cheftrainer von Hertha BSC mit Jerome Boateng (l.), Josip Simunic (2.v.re.) und Dick van Burik (r.).
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Götz 2007 als Cheftrainer von Hertha BSC mit Jerome Boateng (l.), Josip Simunic (2.v.re.) und Dick van Burik (r.).

Ist Hertha BSC heute von diesem Weg abgekommen?

Götz: Es gibt noch immer Talente, aber die Ansprüche sind gestiegen. Man sieht sich eher als Klub, der um die internationalen Plätze kämpfen will. Sie haben es mit einem sehr hochwertigen Kader bisher nicht geschafft, die Mannschaft als Team zum Funktionieren zu bringen. Zu was sie in der Lage sind, zeigt allein der vergangene Spieltag. Denn im Vorbeigehen schlägst du Hoffenheim auch nicht 3:0.

Was wäre diesem Kader denn zuzutrauen gewesen?

Götz: Die Namen und die Vita der Spieler sind gut, aber der Kader funktioniert nicht als Team. Die Gründe dafür kann ich nicht nennen, dafür bin ich zu weit weg von Berlin.

Nach dem Einstieg von Investor Lars Windhorst 2019 träumte man in Berlin vom "Big City Club". Drei Jahre später ist davon nicht viel zu sehen. Sie sind Fan des Klubs: Machen Sie sich Sorgen?

Götz: Ich bin seit Kindheit Fan von Hertha BSC, das habe ich auch nicht abgelegt und gebe das auch öffentlich gern zu. Ich würde mir als Fan sehr wünschen, dass der öffentliche Auftritt positiver wird, denn das ist einem Hauptstadtklub nicht würdig. Gremien sollten hinter verschlossenen Türen tagen und ihre Probleme dort austragen. In der Öffentlichkeit werden solche Probleme nicht gelöst. Hertha muss diese Dinge intern lösen. Das sehen die Beteiligten eigentlich genauso, zumindest die, die ich noch aus meiner Zeit kenne.

In der Vereinsführung kommt es immer wieder zu Krach. Investor Lars Windhorst forderte kürzlich den Rücktritt von Präsident Werner Gegenbauer.

Götz: Ich finde es ungewöhnlich, dass sich ein Investor in Vereinspolitik einmischt. Das ist nicht förderlich für die öffentliche Darstellung des Vereins.

Das sieht auch Herthas ehemaliger Kapitän Axel Kruse so, den Sie noch aus gemeinsamen Zeiten kennen. Er kritisierte Windhorst daraufhin scharf. Sie dürften ihn noch aus gemeinsamen Tagen kennen.

Götz: Axel war immer als Mann offener Worte bekannt und äußert seine Emotionen sehr klar, wie auch dieses Mal. Im Wortlaut war das sicher sehr überzogen. Axel ist eigentlich ein sehr verträglicher Typ. Wir kennen uns gut, haben in gemeinsamer Karriere viel Spaß miteinander gehabt.

Um zumindest den Klassenerhalt zu sichern, wurde "Retter" Felix Magath installiert. Sie kennen sich schon seit vielen Jahren. Ist er der richtige Mann zu diesem Zeitpunkt?

Götz: Der Verein befindet sich in akuter Abstiegsgefahr. Da müssen die letzten Register gezogen werden. Er ist der Mann, vor dem die Spieler auf jeden Fall Respekt haben werden. Ich kenne ihn als Spieler, als Trainer-Kollegen, wir haben viele Trainer-Sitzungen und Gespräche miteinander verbracht. Er war als Spieler ein ganz Großer. Er hat alle Schlachten geschlagen, die man als Fußballer schlagen kann. Seine Fußballerfahrung reicht aus, dem ein oder anderen Spieler ein paar Prozente mehr zu geben. Er fordert Ureigenschaften, die im Profifußball notwendig sind. Wenn jetzt der ein oder andere Spieler denkt, dass er nach wie vor nur mit Auge Fußball spielen kann, wird er von Felix Magath eines Besseren belehrt. Da bin ich mir sicher.

Felix Magath im Training von Hertha BSC. Mitte März ersetzte der 68-Jährige Tayfun Korkut als Cheftrainer.
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Felix Magath im Training von Hertha BSC. Mitte März ersetzte der 68-Jährige Tayfun Korkut als Cheftrainer.

Wären Sie für einen Trainer-Posten bei Hertha BSC verfügbar?

Götz: Nein. Diese Geschichte ist für mich vorbei. Als Scout macht es mir großen Spaß, das Team von Bayer Leverkusen weiterzuentwickeln. Wir wollen jedes Jahr um den Einzug in die Champions League spielen, das gehört zu unserem Leistungsanspruch. Ich bin Teil eines tollen Teams, das in ganz Europa unterwegs ist und immer wieder versucht, unsere Mannschaft zu verstärken. Mir macht es Spaß, unserem heutigen Team zuzusehen, das den Fans große Befriedigung geben dürfte.

Am Samstag werden Sie 60 Jahre alt, wie blicken Sie auf ihre Zeit im Fußball zurück?

Götz: Ich bin seit fast 40 Jahren im Profifußball in verschiedensten Aufgaben dabei. Dass sich dieser Kreis von den Anfängen nach meiner Flucht bis zum Scouting heute in Leverkusen geschlossen hat, darüber freue ich mich bis heute. Ich habe nach wie vor viel Spaß am Fußball und hoffe, dass das noch weiter so bleibt.

Abschließende Frage: Waren Sie eigentlich nach Ihrer Flucht jemals wieder in Belgrad?

Götz: Ja. Es gibt einen Dokumentarfilm, zu dem wir extra rübergefahren sind. Da sind wir die gesamte Flucht noch einmal nachgefahren. Ich habe viele Spiele in Belgrad und den ehemals jugoslawischen Ländern gehabt. Dieser 3. November 1983 hat meinen bis dahin geglaubten Lebensweg entscheidend verändert. Glücklicherweise zum Positiven.

Falko Götz: Die Leistungsdaten seiner Trainerkarriere

VereinZeitraumPflichtspieleSiegeNiederlagen
Hertha BSC Amateure1997-2000924829
Hertha BSC20021393
1860 München2003-2004411220
Hertha BSC2004-20071214735
Holstein Kiel200925117
Vietnam2011532
Erzgebirge Aue2013-2014431322
1. FC Saarbrücken2015-201621115
FSV Frankfurt2016514
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