Fußball-Kolumne: Bobic tritt bei Hertha auf der Stelle - geht es nur zusammen mit Kovac aufwärts?

Beschreibt die Machtverhältnisse in Berlin ganz gut: Unions Robin Knoche (l.) und Herthas Dedryck Boyata.
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  • Kontinuität auf dem Trainerstuhl

Als Urs Fischer 2018 bei Union anheuerte, fragten sich viele, ob der Schweizer zu den "Eisernen" passen und mit seiner Art im deutschen Fußbalkl ankommen würde. Als "beleidigten LeberwURSt" bezeichnete ihn 2017 die Boulevardzeitung Blick, weil er sich als Opfer einer Medienkampagne in seiner Heimat sah. Unter anderem wurden ihm fehlende Ideen und Sicherheitsfußball vorgeworfen.

In Berlin hat der 55-Jährige aber voll eingeschlagen: In der ersten Saison führte er den Traditionsklub zum lang ersehnten Bundesliga-Aufstieg, dann zum souveränen Klassenerhalt und im zweiten Jahr sogar in die Conference League. Jetzt ist mindestens die Euopa League möglich, auch wenn Tiefstapler Fischer noch immer den Ligaverbleib als Saisonziel ausgibt.

Und zugleich überzeugen die Ostberliner mit attraktivem, schnörkellosem Spiel nach vorne. So lobte der Tagesspiegel nach dem Derby: "Union hatte an diesem Abend all das, was Hertha fehlt und Hertha gerne hätte: einen Plan, eine Struktur, eine funktionierende Mannschaft und die Überzeugung in die eigene Stärke."

Hertha: "Korkut ist nur der Platzhalter für Niko Kovac"

Kontinuität, von der Hertha nur träumen kann: Seit Fischers Dienstantritt bei Union gab es beim Konkurrenten sechs Trainerwechsel. Und auch der blasse Tayfun Korkut, seit seiner Entlassung als Tabellenletzter in Stuttgart im Oktober 2018 mehr als drei Jahre ohne Job, gilt für die meisten nur als Übergangslösung. "Korkut ist nur der Platzhalter für Niko Kovac", glaubt ein Hertha-Kenner - auch wenn das alle Beteiligten noch abstreiten.

Doch die Rückkehr des gebürtigen Berliners, der als Profi zusammen mit Bobic bei den Blau-Weißen spielte und gerade in Monaco entlassen wurde, wäre die Wunschlösung fast aller Anhänger. Natürlich verbunden mit der Hoffnung, dass das Duo an die erfolgreiche gemeinsame Zeit in Frankfurt anknüpfen kann.

  • Ausverkauftes Stadion und Top-Stimmung

Vor der Corona-Pandemie war die Alte Försterei mit ihren nur 22.012 Plätzen praktisch immer ausverkauft, der Ausbau wurde 2009 durch tausende freiwillige Helfer realisiert. Diese Treue spiegelt sich auch in der Begeisterung wider, die zu normalen Zeiten in der engen Arena herrscht. Bei einer Umfrage wurde das Stadion an der Wuhlheide 2019 zum zweitbeliebtesten Bundesliga-Stadion nach dem Dortmunder Signal Iduna Park gewählt.

Da aber der geplante Ausbau auf 37.000 Zuschauer seit Jahren stockt, gibt es ein Problem: Selbst wenn Union aufgrund des sportlichen Höhenflugs derzeit neue Fans gewinnen sollte, etwa im Berliner Westen, so ist die Aussicht auf ein Ticket in der Alten Försterei nahe null.

Genau umgekehrt ist die Situation bei der Hertha: Das unter Denkmalschutz stehende Olympiastadion von 1936 ist mit seinen 75.000 Plätzen total überdimensioniert für einen seit Jahren eher mittelmäßigen Verein wie die Hertha. So bekam man vor der Pandemie meist selbst am Tag des Gastspiels der Bayern noch eine Eintrittskarte.

Doch beim Neubau eines rund 50.000 Fans fassenden reinen Fußballstadion geht nichts voran, weil nach wie vor ein Standort fehlt. Das "beschissene Olympiastadion" sei Herthas größtes Problem, sagt ein früherer leitender Angestellter des Klubs.

  • Effektives Arbeiten mit wenig Geld

Das Lob kam aus berufenem Munde. "Ich glaube nicht, dass es ein Bundesligist besser als Union hinbekommen hat, das, was man an Geld eingesetzt hat, in Punkte umzusetzen", sagte der stellvertretende Hertha-Aufsichtsratschef Andreas Schmidt dem kicker. "Das hat Hertha nicht so gut hinbekommen, und so ist die Situation so, wie sie ist."

Damit hat der Ex-Profi die regelrechte Geldverbrennung seines Vereins noch höflich umschrieben. 374 Millionen Euro hat Milliardär Lars Windhorst bekanntlich reingepumpt, um die Alte Dame zum "Big City Club" zu machen.
Der Erfolg ist dennoch bis jetzt ausgeblieben und der Großteil der Investitionen ist offenbar bereits weg, da er einerseits in den Abbau der ursprünglich 142 Millionen Euro Verbindlichkeiten gesteckt wurde. Andererseits verweist Bobic auf die Verluste durch Corona: "Die Spielräume sind aktuell jedenfalls durch die Umstände nicht da."

Windhorst-Träume von Mourinho, Özil und Tesla längst passe

Von den großen Träumen nach dem Einstieg von Windhorst, als ernsthaft über Mourinho als Trainer, Götze und Özil im Team und Tesla oder Amazon auf dem Trikot gesprochen wurde, ist nichts mehr übrig. Vielmehr sieht sich Bobic, nach dem unerwarteten Rückzug von CEO Carsten Schmidt der alleinige Boss im Westend, nicht nur sportlich und wirtschaftlich vor einer Herkulesaufgabe.

Auch die über die Jahre unter Preetz und dem "ewigen" Präsidenten Werner Gegenbauer verkrusteten Strukturen müssen nach seiner Meinung aufgebrochen werden.

Bobic: "Bei Hertha war es wie auf dem Amt"

"Bei Hertha war es wie auf dem Amt: Das haben wir immer so gemacht, also machen wir es weiter so. Man ist fast eingeschlafen", sagte Bobic und bestätigte damit mehr oder minder die vernichtende Kritik von Jürgen Klinsmann in dessen geleaktem Report ("Lügenkultur", "keine Leistungskultur", "katastrophale Versäumnisse in allen Bereichen").

Seitdem versuche der neue Chef, der im Sommer gleich sieben Vertraute für den sportlichen Bereich mitbrachte, den Verein "auf links zu drehen", wie langjährige Beobachter berichten. Dazu hat er trotz der jüngsten Rückschläge nach wie vor die volle Rückendeckung der Vereinsführung um Gegenbauer. Er sehe "viele Fortschritte", sagte der ehemalige Nationalspieler am Wochenende auf der virtuellen Mitgliederversammlung.

Wesentlich kritischer sieht es ein Insider: "Das System Preetz ist vom System Bobic abgelöst worden - aber ob es besser wird, weiß man nicht."

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