Carsten Ramelow im Interview: "Meine Schwiegermutter empfahl mich Reiner Calmund beim Frühstück"

Von Martin Hahn
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© imago images/Team 2

Carsten Ramelow ist der ewige Zweite des deutschen Fußballs. Erst unterlag er mit den Amateuren von Hertha BSC im DFB-Pokalfinale gegen seinen späteren Verein Bayer Leverkusen. Später hat er mit der Werkself ein DFB-Pokalfinale, ein Champions-League-Finale und im gleichen Jahr mit der Nationalmannschaft das WM-Finale 2002 verloren.

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Im Interview spricht Ramelow über seine Jugend in Berlin, einen ganz kurzen Ausflug ins Internat nach Uerdingen, die vielen zweiten Plätze in seiner Karriere - und warum er heute als Gewerkschafter für Fußballer arbeitet.

Das Interview mit Carsten Ramelow entstand im Rahmen des KultKicker-Projekts. Die KultKicker sind drei junge Journalisten, die die Fußballhelden ihrer Kindheit zum Quatschen und Kicken treffen. Sie sprechen mit ihnen über die goldene Zeit des Fußballs, über verrückte Anekdoten und Geschichten auf und neben dem Platz und über das, was die Spieler heute machen.

Herr Ramelow, Sie sind in Berlin aufgewachsen und haben dort das Fußballspielen gelernt. War das Liebe auf den ersten Blick?

Carsten Ramelow: Nicht ganz. Für Eltern sollte es ja wichtig sein, dass die Kinder Sport treiben. Meine Eltern wollten, dass ich mich bewege. Ich war eigentlich viel draußen an der frischen Luft. Ich bin in einem Hochhaus aufgewachsen: ein sozialer Wohnungsbau mit 17 Stockwerken. Vor dem Haus war ein Bolzplatz und da bin ich groß geworden. Auf dem Platz war immer was los und so hatte ich schon früh Berührungspunkte mit dem Fußball.

Und dann haben Sie sich einen Verein gesucht?

Ramelow: Mein Vater hat dann zu mir gesagt: 'Komm, lass uns doch mal zu einem Verein gehen. Das macht Spaß.' Aber bei mir war keine große Euphorie da. Ich stand die ersten Trainingseinheiten eigentlich nur auf dem Platz rum und habe mich kaum bewegt.

Bis Ihre Mutter eine besondere Idee hatte.

Ramelow: Genau. Ich stand immer mit den Händen in den Hosentaschen auf dem Fußballplatz und habe zugeschaut. Meine Mutter hat die Hosentaschen einfach zugenäht. Dann habe ich mich bewegt. Und damit kam auch die Euphorie. Ein Tor zu schießen, ein Trainingsspiel zu gewinnen - das hat mir alles auf einmal unheimlich viel Spaß gemacht.

Sie haben dann für Tennis Borussia Berlin, Hertha Zehlendorf und den SC Siemensstadt gespielt, ehe es zur A-Jugend von Hertha BSC ging. War vor diesem Wechsel der Wunsch, Profi zu werden schon da?

Ramelow: Ich habe mit sechs Jahren das Fußballspielen angefangen. Natürlich ist man da Fan. Ich hatte früher auch - ich glaube, das darf ich gar nicht laut sagen - Bettwäsche von Bayern München. Ich habe in der Jugend als Stürmer gespielt und oft die Spiele entschieden. Aber so früh macht man sich da noch keine Gedanken.

Das kam also erst später?

Ramelow: Richtig. Angefangen hat das vielleicht mit 13 oder 14 Jahren. Andere Spieler waren in diesem Alter zwar schon weiter, ich hatte mein erstes Länderspiel erst in der U17. Jeder entwickelt sich unterschiedlich. Ich habe später die überholt, die vorher extrem weit waren.

Was würden Sie einem Jugendspieler empfehlen? Lohnt sich ein früher Wechsel zu einem Top-Verein?

Ramelow: Ich würde immer nach dem Herzen gehen und immer darauf achten, wie sich das Kind entwickelt. Der Spaß am Fußball darf nicht verloren gehen. Dieser ganze Druck, den wir heute haben, das geht komplett in die falsche Richtung. Heute arbeiten wir schon früh mit Psychologen, das gab es zu meiner Zeit nicht.

Bei Ihnen war das anders? Sie hatten eine normale Kindheit?

Ramelow: Absolut. Mit 16 Jahren bin zum SC Siemensstadt gewechselt. Das war ein Verein in Spandau, bei dem ich mich wirklich wohl gefühlt habe. Dann habe ich ein Angebot von Bayer 05 Uerdingen bekommen. Damals noch eine große Nummer und dort wollte man zwei Berliner Jungs für das Internat.

Und dann ging es für Sie nach Uerdingen?

Ramelow: Für genau sieben Tage. Ich hatte so Heimweh! Das hat für mich einfach nicht gepasst damals. Ich habe dann mit meiner Schwester telefoniert und sie hat mit meinen Eltern gesprochen. Am Ende haben alle noch das Gespräch gesucht: der Jugendmanager, der Präsident, der Trainer. Alle haben versucht, mich zu überreden. Aber ich habe mich durchgesetzt. Ich wollte einfach wieder nach Hause.

Dann kam mit Hertha BSC der Verein, mit dem Sie den Sprung in den Profi-Fußball geschafft haben. Erst mal allerdings bei den Amateuren.

Ramelow: Aber auch immer wieder aushilfsweise bei den Profis. Also ich hatte in der A-Jugend schon volles Programm. Ich konnte in Berlin bei meiner Familie bleiben und trotzdem Profi-Fußball spielen. Das war perfekt.

1993 haben Sie es mit den Hertha Amateuren bis ins DFB-Pokalfinale geschafft. Eine absolute Sensation. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ramelow: Von Spiel zu Spiel wurden die Stadien immer größer. Es war einfach nur toll. Die Stadt stand hinter uns. Bei den Profis lief es in dieser Saison nicht so gut und da hatten wir natürlich die Blicke auf uns. Das war mein erster zweiter Platz damals, aber wir haben ihn gefeiert wie einen Erfolg - inklusive Autokorso durch Berlin.

Wie erklären Sie sich rückblickend diesen Erfolg?

Ramelow: Das kam ja nicht von ungefähr. Viele von uns haben bei den Profis mittrainiert. Wir hatten wirklich eine tolle Mannschaft mit richtig guten Typen. Christian Fiedler, Andreas und Oliver Schmidt. Unsere Vorbereitung war immer gleich: Mit Ghettoblaster in der Kabine, da war immer Party angesagt. Diese Lockerheit von damals, die gibt es heute nicht mehr.

Nach dem Pokalfinale sind Sie in die erste Mannschaft von Hertha BSC aufgestiegen. Nach zwei Spielzeiten in der 2. Bundesliga kam dann der Wechsel nach Leverkusen. Wie kam dieser Wechsel zustande?

Ramelow: Reiner Calmund war öfters in Berlin. Da gibt es eine witzige Geschichte: Er war damals in dem Hotel, in dem meine Schwiegermutter gearbeitet hat. Sie war im Frühstücksservice und Calli hat dort gefrühstückt. Er saß natürlich etwas länger und hat ausgiebig gefrühstückt. Meine Schwiegermutter hat dann einen Zeitungsartikel über mich auf den Tisch gelegt und gesagt: 'Das wäre doch einer für Leverkusen.' Darüber schmunzeln wir heute noch.

Und dann ging es für Sie nach Leverkusen. Bei der Wohnungssuche haben Sie dort eine interessante Entdeckung gemacht.

Ramelow: Wir waren damals mit Andreas Rettig in Leverkusen und haben mehrere Wohnungen besichtigt. Mitten in Leverkusen war eine Wohnung neben einer Tankstelle. Die Lage war schon ein bisschen komisch und wir haben lange nach dem Eingang gesucht. Irgendwo seitlich der Tankstelle sagte Andreas Rettig: 'Ich glaube hier sind wir richtig' und hat geklingelt. Erst hat das lange niemand gehört. Dann kam plötzlich eine leicht bekleidete Frau aus der Tür. Es hat etwas gedauert, bis wir realisiert haben, dass wir vor einem Bordell stehen.

Auf jeden Fall ein interessanter Start in Leverkusen. Der Wechsel war für Sie sportlich ein Glücksgriff, auch wenn sie im ersten halben Jahr noch gegen den Abstieg gespielt haben.

Ramelow: Da gab es dieses legendäre Spiel gegen Kaiserslautern, bei dem wir 1:1 gespielt und damit die Klasse gehalten haben. Da hatten wir viel Glück. Auch Glück für meine Karriere. Ich kam ja gerade erst aus der 2. Liga und hätte dann wahrscheinlich wieder dort gespielt.

Sportlich erfolgreicher wurde es in der nächsten Saison. Vom Abstiegskandidaten wurde Leverkusen zum Vize-Meister. Was hat die Mannschaft so stark gemacht?

Ramelow: Wir hatten mit Christoph Daum einen neuen Trainer. Ich glaube, das war wirklich entscheidend. Er hat viele Dinge verändert. Neben dem Platz, aber natürlich auch viel auf dem Platz. Ich habe sehr viel unter ihm gelernt und bin zum Nationalspieler geworden.

Auch abseits des Platzes haben Sie sich damals gut im Team verstanden.

Ramelow: Ja. Wir haben viel zusammen gemacht. Wir waren beispielsweise oft zusammen essen. Teamgeist und Qualität sind die Dinge, die du brauchst in einer Mannschaft und wir hatten damals beides. Das war so eine schöne Zeit.

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