Jan Kirchhoffs Kolumne: "Rassismus steht im Fußball leider nach wie vor auf der Tagesordnung"

Von Jan Kirchhoff
Jan Kirchhoff schreibt bei SPOX und Goal eine regelmäßige Kolumne.
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Jan Kirchhoff schreibt im dritten Teil seiner Kolumne bei SPOX und Goal über das Rassismus-Problem im Fußball.

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Liebe Fußball-Freunde,

 

In den vergangenen Wochen wurde in der Folge des Todes des schwarzen US-Amerikaners George Floyd viel über Rassismus gesprochen. Es gab Proteste, Demonstrationen, Diskussionen. Die Bilder von verschiedensten Aktionen gingen um die Welt.

Black Lives Matter - das ist eine ebenso richtige wie wichtige Botschaft, über deren Quintessenz und Wucht ich mich natürlich freue. Andererseits stimmt mich die wieder einmal entbrannte Rassismus-Debatte nachdenklich. Denn gefühlt wird sich meist in Zyklen mit dem Rassismus-Problem beschäftigt, bevor es wieder in den Hintergrund tritt.

Jan Kirchhoff schreibt bei SPOX und Goal eine regelmäßige Kolumne.
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Jan Kirchhoff schreibt bei SPOX und Goal eine regelmäßige Kolumne.

Gerade der Fußball zeigt, dass das Rassismus-Problem viel größer ist, als viele vielleicht glauben. Zu oft werden entsprechende Vorfälle als Einzelfälle abgetan. Dabei steht Rassismus im Fußball leider nach wie vor auf der Tagesordnung, und zwar unabhängig vom sportlichen Niveau und der Altersklasse. Deswegen müssen wir uns zunächst einmal darüber bewusst werden, dass dieses Problem existiert. Dass gewisse Gedankengänge und Vorurteile in der Gesellschaft präsent sind. Erst dann können wir das Problem auch bekämpfen.

Ich will Euch ein paar Beispiele nennen: Im Jugendfußball passiert es nicht selten, dass bei dunkelhäutigen, physisch starken Spielern die Korrektheit des Geburtsdatums infrage gestellt wird. Besonders deutlich wurde das im Zuge der Debatte um Borussia Dortmunds Youssoufa Moukoko, die zum Leidwesen eines Teenagers in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde. Und das ist eben kein Einzelfall. Beim BVB wird der Spieler geschützt, andere Kinder oder Jugendliche stehen ganz allein da, wenn sie sich solchen Vorwürfen ausgesetzt sehen.

Ich selbst habe während meiner Karriere auch schon Erfahrungen mit Rassismus machen müssen. Ein früherer Trainer meinte beispielsweise mit Blick auf unsere schwarzen Spieler: "Physisch haben sie ja viel Power, aber taktisch na ja." Einem anderen Spieler wurde nach dem Verlust seines Stammplatzes von dessen Coach gesagt: "Ich weiß ja, wie Ihr Afrikaner seid. Mach jetzt bitte keinen Ärger." Solche Äußerungen sind auf so vielen Ebenen falsch und rassistisch, dass man es eigentlich kaum für möglich hält, dass sie wirklich getätigt wurden.

Gemeinsam gegen Rassismus - hier vor dem Bundesligaspiel zwischen Borussia Dortmund und Hertha BSC.
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Gemeinsam gegen Rassismus - hier vor dem Bundesligaspiel zwischen Borussia Dortmund und Hertha BSC.

Ich finde diese Verallgemeinerungen und Vorurteile unglaublich. Oft spiegelt sich der Rassismus auch in beiläufigen Bemerkungen wider, die entweder unverblümt preisgegeben werden oder offenbar unter dem Deckmantel eines Witzes laufen sollen. Ich habe das Gefühl, dass solche Bemerkungen gesellschaftlich nach wie vor geduldet sind und nicht wirklich hinterfragt geschweige denn sanktioniert werden.

Wenn solche Äußerungen von Verantwortlichen oder etablierten Spielern kommen, fällt es umso schwerer, sich dagegen zu wehren. Es ist doch so: Wenn mächtige Menschen am Werk sind und die eigene Zukunft möglicherweise auf dem Spiel steht, überlegt man sich zweimal, ob und wie man sich äußert. Zudem kann man sich gerade im Fußball gut im mannschaftlichen Kollektiv verstecken.

Ich selbst spreche da leider aus Erfahrung. Auch ich habe schon rassistische Äußerungen mit anhören müssen und bin in dem Moment nicht eingeschritten. Man fragt sich: Hat er das wirklich gesagt? Hat er es so gemeint, wie er es gesagt hat? Kann, nein muss, ich jetzt nicht einschreiten? Kann ich dafür wirklich eine Mannschaftssitzung unterbrechen? Welche Konsequenzen hat das für mich?

Ich habe mich früher als Spieler dagegen entschieden und bin heute nicht glücklich damit. Gleichzeitig weiß ich, dass ein solches Verhalten irgendwo auch menschlich ist, dass es den meisten anderen genauso geht. Für mich persönlich habe ich entschieden, dass ich so nicht weitermachen möchte, dass ich rassistische Äußerungen nicht unkommentiert geschehen und stehen lassen kann. Deshalb ist es mir auch so wichtig, diese Kolumne zu schreiben und zu betonen, dass hier jeder Einzelne gefordert ist, solche Situationen zu erkennen, entsprechend zu bewerten und einzugreifen.

Die Premier-League-Klubs beziehen Stellung. Hier: Raheem Sterling von Manchester City.
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Die Premier-League-Klubs beziehen Stellung. Hier: Raheem Sterling von Manchester City.

Ich glaube zudem, dass im Fußball mehr Bewusstsein für die Problematik geschaffen werden muss. Wir haben zwar öffentlichkeitswirksame Anti-Rassismus-Kampagnen oder Anti-Rassismus-Spieltage, aber damit allein werden wir den Rassismus nicht bezwingen.

Ich habe es in keinem meiner Vereine erlebt, dass sich intern bewusst und fernab der Oberfläche mit dem Thema auseinandergesetzt wurde. Dabei wäre es ungeheuer wichtig, dass sich jeder auch mal in die Lage der Betroffenen versetzt, sich mit Betroffenen austauscht und beispielsweise erkennt, wie verletzend Worte sein können. Erschwerend hinzu kommt, dass die wenigen Fälle, die öffentlich werden, oft nicht angemessen sanktioniert werden.

Ich wünsche mir, dass wir uns alle darüber klar werden, wie wir miteinander leben wollen und wie tief Rassismus nach wie vor in unserer Gesellschaft verankert ist - und ihn dann gemeinsam bekämpfen.

Eurer Jan

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