Gladbach-Kapitän Lars Stindl im Interview: "Thomas Häßler hat mir eine andere Sichtweise aufgezeigt"

Von Michael Reis
Lars Stindl wechselte 2015 von Hannover nach Gladbach.
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Gab es einen positiven Aspekt während der Corona-Pandemie?

Stindl: Ja, endlich mehr Zeit mit der Familie zu haben. Auch wenn es schon schwierig war, den Alltag zu koordinieren, weil die Kita geschlossen war. Aber wir haben viel zusammen unternommen, im Haus viele Dinge nachgeholt, die über das Jahr liegengeblieben sind, den Garten für die Grillsaison auf Vordermann gebracht. Dass der Papa endlich wieder trainieren kann, hat dann aber auch alle gefreut.

Was hat sie in dieser Zeit besonders bewegt?

Stindl: Trotz all der vielen schlimmen und bedrückenden Nachrichten, gab es umso mehr Solidarität und in der Gemeinschaft wurde extrem viel bewegt. Dass trotz Corona so viel Gutes auf der Welt passiert, hat mich sehr positiv gestimmt für die anstehenden Monate.

Glauben Sie, dass sich der Fußball in dieser Zeit ein Stückchen mehr vom Rest der Gesellschaft entfernt hat?

Stindl: Der Fußball ist schon eine Welt für sich. Das steht außer Frage. Meiner Meinung nach ist es für einen Spieler immer wichtig, dass er sich im privaten Umfeld auch mit den normalen Dingen beschäftigt und die Privilegien erkennt, die wir als Profi-Fußballer haben. Nehmen wir als Beispiel einen Arztbesuch: Für einen Fußball-Profi ist das mit nur sehr kurzen Wegen verbunden, denn wir haben schließlich einen eigenen Arzt im Staff.

Können Sie verstehen, dass sich Fans abwenden, weil Sie nicht damit einverstanden sind, was im Fußball aktuell passiert?

Stindl: Das kann ich verstehen. Aber das liegt auch daran, dass vornehmlich nur über die Vorfälle berichtet wird, die fernab dieser Welt sind. Es dürfen jedoch nicht alle Spieler über einen Kamm geschert werden, denn es gibt sehr wohl viele positive Aktionen, die aber in den Medien nicht polarisieren.

Lars Stindl: Vorfälle wie Kalou sind "sehr unglücklich"

Das Video des Hertha-Profis Kalou mit den Verstößen gegen die Corona-Maßnahmen hat das Klischee des abgehobenen Fußballers unterstützt: Was haben Sie dabei gedacht?

Stindl: Der betroffene Spieler hat sich für sein Verhalten entschuldigt, deswegen will ich auf diesen konkreten Fall nicht näher eingehen. Grundsätzlich sind solche Vorfälle natürlich sehr unglücklich. Aber es gibt im Fußball und in allen Teilen der Gesellschaft aktuelle auch viele Positivbeispiele. Mir ist wichtig, dass auch diese wahrgenommen werden.

Wie beurteilen Sie das Bild, das der deutsche Fußball in der Corona-Pandemie abgegeben hat?

Stindl: Ich finde, dass wir Fußballer uns in dieser Zeit sehr solidarisch gezeigt haben. Und damit meine ich nicht nur die großen Aktionen wie "WeKickCorona" von Joshua Kimmich und Leon Goretzka oder "Help your Hometown" von Marco Reus. Viele Spieler engagieren sich in ihren Heimatvereinen und wollen gar nicht, dass das an die große Glocke gehängt wird. Es ist aber schon wichtig, dass wir unsere Reichweite, die wir als prominente Spieler haben, nutzen und zur Solidarität aufrufen.

Mit welchem Gefühl blicken Sie auf den Bundesligastart? Und welche Bedenken haben Sie?

Stindl: Es ist schon alles ein wenig ungewohnt. Dabei meine ich nicht die Pause, die wir hatten, denn im Sommer setzen wir ja auch immer lange aus. Aber zum Ende der Saison noch so viele Spiele in wenigen Wochen zu absolvieren, das kennen wir nicht.

Wohl auch deshalb wird es möglicherweise eine Regeländerung mit dann fünf Wechseln geben. Ein richtiger Schritt?

Stindl: Ich finde diese Regel nachvollziehbar, um bei der hohen Intensität Verletzungen vorzubeugen. Aber ich hoffe nicht, dass sie am Ende als taktisches Hilfsmittel genutzt wird und in den letzten zehn Minuten dann nur noch gewechselt wird.

Neven Subotic hat das fehlende Mitspracherecht der Spieler für die Wiederaufnahme von Training und Spielbetrieb kritisiert. Inwiefern teilen Sie seine Meinung?

Stindl: Ich kann nur für uns bei Borussia reden. Da gab es vom ersten Tag an einen sehr offenen Austausch. Sei es über den Gehaltsverzicht, den Aufenthalt zur Quarantäne im Hotel oder eben den Bundesliga-Neustart. Max Eberl ging da sehr offen mit uns um.

In der 2. Bundesliga darf Dresden wegen zweier positiver Corona-Fälle nicht antreten. Hätte man anders gehandelt, wenn es der FC Bayern gewesen wäre?

Stindl: Soweit habe ich noch nicht gedacht. Es ist schade, dass es gleich am ersten Spieltag nach der Pause soweit gekommen ist. Ich hoffe sehr, dass die Zahl der Corona-Fälle ansonsten sehr, sehr niedrig bleibt.

Lars Stindl zu Geisterspielen: "Es ist seltsam"

Die Partien werden zum Schutz vor leeren Rängen ausgetragen, wie schon am Spieltag vor der Saisonpause. Wie fühlen sich die Geisterspiele an?

Stindl: Es ist seltsam. Man hört alles im Stadion, man hört jede Ansage von den Trainern und Spielern und man spürt die Stimmung der Spieler auf dem Platz viel mehr. Aber wir haben im Derby gegen den 1. FC Köln gezeigt, dass wir mit der Situation umgehen können. Und am Ende geht es auch ohne Zuschauer im Stadion darum, die beste Leistung abzurufen und das Spiel zu gewinnen.

Bei Länderspielen wird immer gefragt, ob die Pause für den Klub zur richtigen Zeit kam. Wie sieht es bei der Borussia vor dem Spiel bei Eintracht Frankfurt aus?

Stindl: Wir waren vor der Pause in Fahrt und hätten gern weitergespielt. Wir hoffen, dass wir diese Trainingswoche optimal nutzen, um an die bisher gezeigten Leistung anzuknüpfen. Und dann können wir eine jetzt schon gute Runde erfolgreich zu Ende spielen.

Ist die Borussia also wieder reif für die Champions League?

Stindl: Wir wissen ja, wie es ist, in der Königsklasse zu spielen. Von daher wollen wir das Gefühl auch gern wieder erleben. Und wir wollen den maximalen Erfolg und auf jeden Fall unseren vierten Platz verteidigen.

Sie waren fünf Jahre in Hannover aktiv, bestreiten aktuell Ihre fünfte Saison in Gladbach. Machen Sie sich bei nur noch einem Jahr Vertrag Gedanken um Ihre sportliche Zukunft?

Stindl: Ich bin da sehr entspannt. Sicherlich werden wir uns im Sommer mal zusammensetzen und drüber reden, wie es weitergehen könnte. Momentan haben wir aber ganz andere Probleme und Sorgen, über die wir uns unterhalten sollten. Ich bin deshalb auch froh, dass ich noch ein Jahr Vertrag habe. Ich fühle mich sehr wohl und weiß, was ich an diesem Verein habe. Andersherum weiß der Klub auch, was er an mir hat.

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