Anderthalb Monate ist Matthias Sammer nun schon beim FC Bayern München in Amt und Würden. Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen und den Blick auf die Zukunft zu richten. Diese sieht er positiv, weil er dem FC Bayern eine gute Basis bescheinigt. Beim Medien-Tag an der Säbener Straße sprach Sammer im Interview über Begegnungen mit Mehmet Scholl, erklärt, warum Jupp Heynckes sein Papa sein könnte und warum Javi Martinez so interessant ist.
Frage: Matthias Sammer, Sie haben im Trainingslager am Gardasee gesagt, dass Sie ein Schleudertrauma hatten, als Sie beim FC Bayern angefangen haben. Haben Sie inzwischen ausgeschleudert?
Matthias Sammer: (lacht) Ich habe immer von den magischen zehn Tagen gesprochen. Es war nicht nur für mich eine Veränderung, sondern auch für den FC Bayern. Da ist jetzt einer für den Sport zuständig und schaut anders darauf als in der Vergangenheit. Es war ja ganz grundsätzlich für mich, ob Bayern das auch will. Man musste sich natürlich aneinander gewöhnen. Nach zehn Tagen habe ich gemerkt, dass sich die Dinge ordnen und die Orientierung da war. Die Zeit beim DFB war da sehr wichtig, weil ich viele Dinge im theoretischen Bereich lernen konnte. Ich bin sehr glücklich, nun beim FC Bayern zu sein.
Frage: Entsprach die Realität Ihren Erwartungen?
Sammer: In dem Moment, als ich anfing, mich damit zu beschäftigen, hatte ich keine große Erwartungshaltung. Ich habe mich gefragt: Wie gehst du das inhaltlich an? Bei so einer Anfrage entwickeln manche Menschen Freude, andere entwickeln einen Druck und eine gewisse Last.
Frage: Was haben Sie empfunden?
Sammer: Ich habe eher einen gewissen Druck gespürt. Ich wusste, dass ich das erst als positiv empfinden kann, wenn ich den Überblick habe. Beim DFB gab es immer die Aussage, dass ich gehen kann, wann ich will. Für mich gab es nur einen Klub, bei dem ich es machen würde. Als der Anruf von Bayern kam, hatte ich keine Empfindungen, sondern habe darüber nachgedacht, wie ich den Klub mit beeinflussen kann, um erfolgreich zu sein.
Frage: Was war in den ersten Wochen Ihre Hauptaufgabe?
Sammer: Die Frage ist immer: Liegt das Problem an der Basis oder im Detail. Wenn es an der Basis liegen würde, dann müssten wir uns grundsätzliche Sorgen um den Klub machen. Aber an der Basis liegt es nicht, Bayern ist ein Riesen-Klub.
Frage: Also sind es die Details, die Sie penibel unter die Lupe nehmen?
Sammer: Wichtig ist, dass man Dinge nur dann im Detail beurteilen kann, wenn man die Details auch sieht. Mich wundert die Frage, warum ich mir jedes Training anschaue. Ich halte das für selbstverständlich. Ich denke, dass es am Detail liegt und ich soll mir nicht jedes Detail anschauen? Das verstehe ich nicht. Eine Sache ist aber wichtig.
Frage: Welche?
Sammer: Das Detail hängt nicht damit zusammen, dass ich den Trainer in seiner täglichen Arbeit kritisiere. Jupp Heynckes ist mein Partner und er kriegt immer eine Antwort auf eine Frage. Was mich strategisch interessiert, ist das Drumherum im Verein. Wenn ich in kritischen Situationen das Detail nicht mitbekomme, wie soll ich es dann bewerten.
Frage: Wie sieht ein Tagesablauf bei Ihnen aus?
Sammer: Ich gehe ins Büro, setze mich hin und überlege, was getan werden muss. Wie ist die Mannschaft? Wie ist die Struktur? Was muss vorbereitet werden? Ist alles koordiniert? Viele Gespräche müssen vorbereitet werden. Die Nachwuchsarbeit wird vor Weihnachten gar nicht zu erfüllen sein. Ich schreibe mir alles auf und versuche es abzuarbeiten.
Frage: Warum sind Sie der perfekte Mann, das "Mia-san-mia"-Motto, das ja auch auf den Trikots verewigt ist und in letzter Zeit etwas abhanden kam, wieder zu reanimieren?
Sammer: Ich bin ja nicht der perfekte Mann. Ich habe das Motto mitbekommen, es ist wieder klar definiert worden, was auch wichtig ist. Die Definition an sich ist zunächst einmal die Grundlage des Lebens, finde ich. Wir müssen aber einfach dazu kommen, dass wir nicht so viel darüber reden, sondern es nachweisen, beweisen, bearbeiten, erarbeiten und geistig sichtbar machen.
Frage: Jupp Heynckes hat von Prüfungen gesprochen. Was sind das für Prüfungen?
Sammer: Vorab muss ich sagen, dass ich zu Jupp Heynckes ein ausgezeichnetes Verhältnis habe. Ich weiß gar nicht, ob es ihm gefällt, aber vom Menschlichen könnte er mein Papa sein. Die Art und Weise, wie er über Fußball denkt, begeistert mich. Das ist die Grundbasis des Vertrauens, sonst wäre ich nicht gekommen. Jürgen Klinsmann wollte nicht, dass ich zum DFB gehe, aber ich wusste: Ich habe nicht unmittelbar mit ihm zu tun. Hier ist es anders. Wenn Du im Vertrauen zusammenarbeiten willst und der Cheftrainer will nicht, dann wird es nicht funktionieren. Die Basis ist aber gegeben. Die erste Prüfung wird das Spiel in Regensburg sein. Wir müssen bei vielen Prüfungen Geschlossenheit beweisen. Ich sehe keine Ansatzpunkte für Zweifel, dass es mit Heynckes nicht funktionieren könnte.
Frage: Es funktioniert auch mit Mehmet Scholl. Er geht Ihren eingeschlagenen Weg voll mit, wirkt in Gesprächen, die wir mit Ihm führten, begeistert von Ihnen. Wie wichtig ist Ihnen das?
Sammer: Wir haben uns als Spieler gehasst. Er hat das mit seiner großen Klappe natürlich beim ersten Gespräch gleich gesagt: 'Ich hab dich übrigens nie gemocht.' Das waren unsere ersten Begegnungen (lacht). Nachdem seine Karriere gerade einige Monate vorbei war, hat er mir erzählt, dass er irgendwann mal gerne bei Bayern im Nachwuchsbereich arbeiten will. Als Trainer natürlich, er wollte ja immer gleich alles führen. Er hat erzählt, was er dann alles für tolle Dinge machen würde. Ich hab ihn dann gefragt, ob er mir das konkret erklären könnte.
Frage: Das hat ihm sicher nicht gefallen.
Sammer: Er ist dann wieder ungemütlich geworden. Als ich dann noch gesagt habe 'Mach erst einmal eine Lehre. Du bist ein großer Spieler, du hast viel erreicht, aber du willst in einen neuen Spielabschnitt gehen. Jetzt ist erst einmal Lehrzeit', war es zwischen uns ganz aus. Unsere erste Begegnung war nicht von Harmonie geprägt.
Frage: Wie wurde es besser?
Sammer: Es wurde schnell Respekt daraus. Er ist in aller Konsequenz seinen Weg gegangen. Er hat seine Ausbildung gemacht und hat mir damals aus Köln immer SMS geschrieben, obwohl er fix und fertig war. Jetzt ist wieder bei der zweiten Mannschaft. Es ist richtig, dass er nicht sagt, dass er gleich in die Bundesliga muss. Er geht einen richtig guten, bemerkenswerten und interessanten Weg und wir werden uns weiter austauschen. Keine Frage: Ich finde es gut, dass er hier ist. Weil er die Berechtigung mitbringt.
Frage: Finden Sie den Weg von Markus Babbel auch bemerkenswert? Er wird ja immer wieder als möglicher Nachfolger von Jupp Heynckes genannt. Er hat dieses Glänzen in den Augen, wenn er über Bayern spricht.
Sammer: Eigentlich war es mit Markus genauso wie mit Mehmet. Mit Markus hatte ich mich auch ein paar Mal in den Haaren. Er hatte damals die Sondergenehmigung beim VfB Stuttgart. Dann hat ihm die DFL in aller Deutlichkeit gesagt: Du bekommst diese Verlängerung nicht über den Tag X hinaus. Dieses System zwischen DFL und DFB, wo immer wieder jemand anderer die Verantwortung trägt... komisch! So kam dann die DFL zu mir und hat gefragt, ob man da eine Ausnahme machen kann und ich habe eben gesagt: Können wir nicht! Klar, dann war Markus ein bisschen beleidigt. Er geht ebenfalls seinen Weg konsequent.
Frage: Kommt er als Nachfolger in Frage?
Sammer: Jupp Heynckes ist unser Trainer und wir sind überhaupt nicht dazu bereit, darüber nachzudenken beziehungsweise uns zeitlich zu limitieren. Jupp Heynckes macht einen sehr guten Job und ist nach Innen und Außen anerkannt. Jetzt über ein Limit zu sprechen, das geht gar nicht in mein Grundverständnis rein. Das steht bei uns überhaupt nicht auf der Tagesordnung.
Seite 2: Sammer über Jens Lehmann, Javi Martinez und Transferentscheidungen
Seite 1: Sammer über die Eingewöhnungszeit und Mehmet Scholl
Frage: Sie wurden neulich von Jens Lehmann sehr persönlich kritisiert, der behauptete, dass Sie nur mit Leuten streiten, die unter Ihnen stehen. Was sagen Sie dazu?
Sammer: Wer mich ein bisschen kennt, der weiß, dass dieses Nach-oben-buckeln und Nach-unten-treten nicht meine Sache ist. Allein schon die Definition von "oben" und "unten" - ich weiß gar nicht, wie er es empfunden hat, als er mein Spieler war. Ich hätte eigentlich von den Medien erwartet, dass man seine Aussagen etwas ins Lächerliche zieht. Dass so etwas unkommentiert stehen blieb, hat mich gewundert. Er hätte nur dann Recht, wenn ich so ein großer Fisch wäre, dass die gesamte Nation unter mir steht. Dann hätte ich ja keinen mehr über mir (lacht). Aber im Ernst: Weil Jens Lehmann und ich auch "Sky"-Kollegen sind, erwarte ich von "Sky" etwas zur Klärung - ansonsten müsste sich ja jeder jedes einzelne Wort überlegen. Das sage ich in aller Deutlichkeit.
Frage: Um zum Sportlichen zu kommen: Ex-Trainer Louis van Gaal hatte zu seiner Anfangszeit gesagt, dass er sich in einen Spieler verliebt hatte, als er zum FC Bayern kam. Gemeint war Thomas Müller. Haben Sie schon einen Spieler ins Herz schließen können?
Sammer: Es gibt mehrere, auch wenn es natürlich immer schwer ist, mit einer Liebschaft mit mehreren Konstellationen. Da muss man ein bisschen aufpassen. Wenn man sich verliebt hat, muss man eigentlich nicht woanders hinschauen (lacht). Wir stehen ganz am Anfang, es ist noch kein Punktspiel absolviert, noch kein Pokalspiel gespielt - da muss man vorsichtig sein. Es werden Schwierigkeiten kommen. Eine große Liebe habe ich noch nicht gefunden - in Gänze ja, aber nicht im Einzelnen. Ich erlebe eine Mannschaft, die Freude bereitet.
Frage: Mario Mandzukic hat im Supercup gegen Dortmund überzeugen können. Was sagen Sie zu seiner Leistung?
Sammer: Mario hat ein tolles Spiel gemacht. Was mich persönlich sehr gefreut hat: Er hat sehr stark gearbeitet. Er hat das toll gemacht.
Frage: Mario Mandzukics Transfer fällt in die Zeit, als Sie beim FC Bayen anheuerten. Viele sagen, es war noch Christian Nerlingers Projekt. Waren Sie involviert?
Sammer:: Klar war ich in ein paar Dinge involviert. Ob Sie es glauben oder nicht, aber Sie müssen sich das ein bisschen anders vorstellen. Bayern ist ein großer Klub. Ich werde als Sportvorstand alle Überlegungen, die ich habe, immer besprechen. Ich werde keinen Spieler verpflichten, den ich verpflichten möchte, ohne dass das eine Gemeinschaftsentscheidung ist. Erstens bin ich nicht größenwahnsinnig und zweitens bin ich nicht eitel.
Frage: Da bietet sich die Frage an, wie es bei Javi Martinez ist. Auch an ihm ist der FC Bayern länger interessiert, als Sie im Amt sind. Mussten Sie dennoch das Bemühen um ihn als neuer Sportchef abnicken?
Sammer: Wenn Sie wüssten, wie viele Spieler wir in den letzten Tagen und Wochen diskutiert haben, dann würden Sie das vielleicht ein bisschen besser fühlen können. Weil immer wieder diese persönliche Situation entsteht: Wer ist dafür allein verantwortlich? Alle Theorien, die es in Deutschland gibt, dass verschiedene Köpfe theoretisch gar nicht zusammenarbeiten können, würden bedeuten, dass Beckenbauer, Hoeneß, Rummenigge eigentlich nicht zusammenarbeiten können. Und trotzdem gehört Bayern in den letzten 30 Jahren zu den Top Fünf in Europa. Gucken Sie sich den Klub an...
Frage: Es funktioniert...
Sammer: Richtig! Jetzt sagt man: Jetzt kommt der Sammer dazu, geht das denn gut? Ja wenn es nicht gut geht, muss ich wieder gehen. Es geht um Bayern München. Wenn ich nicht in der Lage bin, mich in diesen Klub, trotz einer eigenen Denkweise, zu integrieren und anzuerkennen, was hier organisch über Jahre hinweg gewachsen ist, dann habe ich auch keine Berechtigung, hier zu sein. Was ich damit sagen will: Ob der Müller, Maier, Schulze oder Lehmann kommt, ist keine Sammer-Entscheidung, sondern eine Entscheidung von Bayern München.
Frage: Nach dem Supercup hieß es, dass auf höchster Ebene noch einmal beratschlagt wurde, ob mit diesem Kader in die Saison gegangen wird oder nicht. Wie lautet das Resultat?
Sammer: Wir sehen unglaubliches Entwicklungspotenzial in dieser Mannschaft. Schauen Sie sich die Spieler an: Manuel Neuer ist durch ein Stahlbad gegangen. Alaba, Badstuber, Boateng, Kroos, Müller, Shaqiri, selbst Contento: Da ist schon noch genug Entwicklungspotenzial. Vom Typus her ist Martinez für den zentralen Bereich interessant. Das ist ein Spielertypus, den wir so in seiner Gänze nicht haben. Punkt eins: Wir vertrauen unserer Mannschaft. Punkt zwei: Wenn wir das Gefühl haben, dass etwas unter sportlich-wirtschaftlichen Gesichtspunkten Sinn macht, dann kann es passieren, dass wir noch etwas tun.
Der Kader des FC Bayern im Überblick
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