Ramelow: "Jeder sollte über Scherben laufen"

Von Interview: Haruka Gruber
Carsten Ramelow wurde zwischen 1996 und 2000 von Christoph Daum trainiert
© spox

Eintracht Frankfurt befindet sich im freien Fall - und alle Hoffnungen ruhen auf dem neuen Cheftrainer Christoph Daum. Aber was steckt hinter seiner Zampano-Fassade? Carsten Ramelow wurde dank des heute 57-Jährigen deutscher Nationalspieler, feierte mit ihm vier Jahre lang (1996 bis 2000) große Erfolge mit Bayer Leverkusen - und erklärt vor Frankfurts Partie in Hoffenheim (Sa., 15.15 Uhr im LIVE-TICKER) das System Daum.

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SPOX: Vor drei Wochen wurde Christoph Daum in Frankfurt vorgestellt, die Bilanz mit zwei Unentschieden aus zwei Spielen ist jedoch durchwachsen. Hat die Eintracht den richtigen Cheftrainer verpflichtet?

Carsten Ramelow: Mich hat es auch gewundert, dennoch finde ich es sehr schön, dass er wieder da ist. Nicht aus alter Verbundenheit, sondern weil ich der Überzeugung bin, dass Christoph Daum ein guter Griff für Frankfurt sein wird. Der Verein befindet sich in einer kritischen Lage, aber wenn es einer schafft, dann Daum.

SPOX: Woher kommt Ihre Überzeugung, dass es Daum besser macht als Vorgänger Michael Skibbe, den Sie in Leverkusen ebenfalls als Trainer erlebt haben?

Ramelow: In Frankfurt sind die Ansprüche sehr, sehr hoch. Die gute Phase vor einigen Monaten hat eine unrealistische Erwartungshaltung geweckt, entsprechend schaukelte sich die Unruhe immer weiter hoch. Skibbe hat die Situation wohl unterschätzt und die Leistungen in der Hinrunde nicht richtig bewertet, so dass er die Mannschaft nicht auffangen konnte. Da ist Daum ein anderer Typ. Er weiß genau, was es bedarf, um nicht nur einige Wochen oben mitzumischen, sondern auf Dauer etwas aufzubauen. Und: Er hat die Gabe, die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt zu finden.

SPOX: Lässt sich Daum vor allem auf seine Fähigkeiten als Motivator reduzieren?

Ramelow: Überhaupt nicht. Sicherlich ist seine Rhetorik das auffälligste an ihm. Wer immer ihn im Fernsehen bei einer Pressekonferenz oder im Interview sieht, bleibt hängen und hört fasziniert zu. Egal, was man von ihm hält. Nicht anders ergeht es den Spielern bei einer Mannschaftssitzung. Aber: Auch taktisch und trainingswissenschaftlich gehört er zu den Allerbesten.

SPOX: Daum ist mehr als Zampano denn als feingeistiger Stratege bekannt.

Ramelow: Weil sein Auftreten vieles überlagert und er deswegen belächelt wird. Dennoch sind seine Fähigkeiten als Fußball-Lehrer überragend. Im Training, in der direkten Spielvorbereitung, bei der Vermittlung von Schwerpunkten: Ich habe unter keinem Trainer taktisch so viel gelernt wie unter Daum.

SPOX: Seine Taktikeinheiten sollen sehr komplex gewesen sein.

Ramelow: Daum war es sehr wichtig, das Zonenspiel im Training zu simulieren. Der Platz wurde in mehrere Zonen unterteilt. Dabei sollte jeder seine ihm zugewiesene Position halten und durfte nur in speziell erlaubten Zonen einem Mitspieler aushelfen. So sollte geschult werden, dass beispielsweise ein zentraler Mittelfeldspieler nicht auf den Flügeln oder im Sturm auftaucht und so die Balance verloren geht. Um das zu lernen, wurden auf dem Platz jede Menge Hütchen und Leibchen verteilt - was auf dem ersten Blick völlig chaotisch aussah. Wir witzelten damals, dass wir auf einem Flughafen trainieren würden, so viele Markierungen gab es. Dank seines pädagogischen Geschicks haben wir es jedoch alle sehr schnell verstanden.

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SPOX: Sie wurden von Daum zu seinem "Umsetzer" auserkoren. Was hieß das?

Ramelow: Man sollte es im Nachhinein nicht zu hoch hängen. Ich habe als zentraler Mittelfeldspieler genau das gemacht, was verlangt wurde, und mit Jens Nowotny die Mannschaft zusammengehalten. Ich habe seine Vorgaben offenbar gut umgesetzt.

SPOX: Dennoch verband Sie eine engere Beziehung.

Ramelow: Ich wechselte ein halbes Jahr vor ihm nach Leverkusen und wusste anfangs nicht recht, was ich von ihm halten sollte. Sein Ruf eilte ihm voraus. Offenbar konnte er mich auch nicht so richtig einschätzen. Ich war damals keine große Nummer, kam als junger Spieler aus Berlin. Er sagte mir später einmal, dass er mich zunächst nicht auf dem Zettel hatte aber ich ihn doch schnell überzeugt hätte. Seitdem war ich bei ihm immer gesetzt.

SPOX: Wie ging Daum vor, als er in Leverkusen anfing?

Ramelow: Ich glaube ähnlich wie jetzt in Frankfurt. Wir haben uns damals gewundert, was er alles sofort verändert haben wollte. Er hat alles auf den Prüfstand gestellt. Von der Spielphilosophie und der Trainingsgestaltung bis hin zu Kleinigkeiten. In den Katakomben ließ er die Eingänge umbauen, der Lizenzspielerbereich wurde abgeschottet, es ließen sich sehr viele Beispiele mehr nennen. Damals fand ich es etwas übertrieben, erst im Nachhinein wusste ich, dass alles einen Sinn hatte. Bei Daum steht hinter allem ein Konzept.

SPOX: Zu Daum gehören jedoch auch teils obskur erscheinende Motivationsmethoden.

Ramelow: Er hat seinen Anteil daran, in dieser Schublade zu stecken. Er probierte sehr viel aus und machte auch gerne mit, wenn aus seinen Methoden eine riesige Show inszeniert wurde. Dennoch bleibe ich dabei: Für mich persönlich war es absolut richtig, alles mitgemacht zu haben, auch das Scherbenlaufen. So etwas sollte jeder einmal gemacht haben. Ich habe von Daum gelernt, offen für alles zu sein und nicht immer alles zu verneinen.

SPOX: Daum sagt, dass Sie, Nowotny und Ulf Kirsten die Bedeutung von autogenem Training und Audiosuggestion erkannt hätten und das dies ein Schlüssel für den Erfolg gewesen sei.

Ramelow: Es gab Mitspieler, die überhaupt nichts damit anfangen konnten. Ich hingegen habe mir alles angehört und genau das herausgepickt, dass ich für sinnvoll erhalten habe. Wir wurden deswegen auch nicht von jedem für voll genommen, aber das hat uns nicht gestört.

SPOX: Können Sie in Ihren Worten beschreiben, was es bringen soll, über Scherben zu laufen?

Ramelow: Das hat etwas mit Suggestion und positiver Denke zu tun. Erfahrungen wie das Scherbenlaufen helfen dabei, in einem Fußballspiel besser auf verschiedene Situationen vorbereitet zu sein. Nicht jedes Mal geht man in der fünften Minute in Führung und alles läuft wie geschmiert. Was passiert in schlechten Phasen? Wie reagiert man, wenn es um den Klassenerhalt geht und der Druck immens ist? An was soll man denken, wenn man ausgepfiffen wird? Für solche Fälle gibt es Techniken, um sich positive Erinnerungen zurückzuholen und sich selbst wieder aufzurichten.

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SPOX: Stimmt es, dass Sie nach wie vor autogenes Training betreiben?

Ramelow: Ich teilte als Profi mein Zimmer mit Jens Nowotny und wir fingen damals schon an, uns privat Bücher zu dem Thema zu kaufen und uns untereinander auszutauschen. Paar Bücher habe ich sofort zugeklappt, weil ich nichts damit anfangen konnte, aber einige waren sehr lehrreich und helfen mir noch heute. Zum Beispiel in der Erziehung meiner beiden Kinder. Rede ich negativ auf sie ein, um sie von etwas zu überzeugen? Oder nutze ich besser positiv besetzte Worte?

SPOX: Wie sah Daums Art des Miteinanders aus?

Ramelow: Er hatte eine gute Mischung aus Härte und Fürsorge. Im Training war er immer etwas unnahbar, aber wenn er einen Spieler zum Einzelgespräch gebeten hat, trat er viel lockerer auf. Dann saßen wir auch mal eineinhalb Stunden zusammen und er fragte mich in einer entspannten Stimmung nach allem möglichen Dingen, die nichts mit dem Fußball direkt zu tun hatten.

SPOX: Welche Rolle spielt Daums langjähriger Assistent Roland Koch bei der Kommunikation zwischen Mannschaft und Trainerstab?

Ramelow: Eine sehr wichtige. Roland war immer der erste Ansprechpartner für uns, mit ihm konnte man auch jedes Problem besprechen, ohne überlegen zu müssen, ob es relevant für Chrisoph Daum ist. Roland besitzt ein gutes Gespür und wusste gut, wann er gegebenfalls etwas zum Chef weitertragen musste oder nicht. Für die positive Stimmung ist Roland unabdingbar. Außerdem ist er auf dem Gebiet des Athletiktrainings eine Koryphäe und informiert sich über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Darin macht ihm keiner etwas vor.

SPOX: Sie betonten wiederholt, wie bedeutsam Daum für Ihre Karriere war. Sportlich, aber eben auch menschlich. Sollte die Öffentlichkeit seine Kokain-Affäre vor über zehn Jahren auf sich beruhen lassen?

Ramelow: Ich verstehe noch immer nicht wirklich, was damals geschehen ist. Aber so groß sein Fehlverhalten auch war, jeder hat irgendwann eine zweite Chance verdient. Ich möchte damit aber nichts verharmlosen. Es bleibt ein schwieriges Thema. Wenn mein 14-jähriger Sohn fragt, warum Christoph Daum wieder trainieren darf, fällt mir eine Antwort schwer. Aber nach über zehn Jahren sollte wir versuchen, nicht mehr allzu oft in die Vergangenheit zu blicken.

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