Das Mittelmaß als Rauschmittel

Von Daniel Börlein
Bader, Wollscheid, Schäfer, Ekici, Hecking (v.l.) - Nürnbergs Höhenflug hat viele Gesichter
© Getty

Der 1. FC Nürnberg ist die zweitbeste Mannschaft der Rückrunde und darf schon jetzt für ein weiteres Jahr Bundesliga planen. Doch warum ist der Club plötzlich so stark, und ist der aktuelle Höhenflug nur ein einmaliger Ausreißer nach oben?

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Mittelmäßig ist gemeinhin eine nicht sonderlich positiv behaftete Eigenschaft. Wer mittelmäßig ist, der ist zwar nicht schlecht, aber eben auch nicht richtig gut. Mittelmäßig will deshalb eigentlich auch keiner sein. Beim 1. FC Nürnberg ist das im Moment ganz anders.

Die Franken rangieren als derzeitiger Tabellen-Achter im sogenannten Bundesliga-Mittelmaß - und sind damit total glücklich. "Für einen Verein wie den Club ist Mittelmaß doch klasse", sagt Mittelfeldspieler Jens Hegeler stellvertretend. Vor der Saison wurde der Club von vielen als Abstiegskandidat Nummer eins gehandelt.

Zweitbeste Mannschaft der Rückrunde

Die Realität sieht allerdings ganz anders aus. Im gesamten Saisonverlauf stand der FCN nicht einmal auf einem direkten Abstiegsplatz, nur am vierten Spieltag mal kurz auf dem Relegationsrang und hat sich seitdem kontinuierlich noch oben gearbeitet.

Vor allem in der Rückrunde beeindruckte der Club bislang. Nach Tabellenführer Dortmund sind die Nürnberger bislang das beste Team nach der Winterpause, zuletzt holte die Elf von Dieter Hecking 13 von 15 möglichen Punkten und hat deshalb wohl schon jetzt nichts mehr mit dem Abstiegskampf zu tun.

"Es ist schön, was da gerade läuft. Doch wir müssen es auch einordnen", sagt Keeper Raphael Schäfer. "Im Moment spielen wir am obersten Limit." Dass Nürnbergs Limit mittlerweile allerdings derart hoch liegt, ist zwar einerseits überraschend, hat andererseits aber auch gute Gründe.

Der Trainer als Tüftler

Dieter Hecking ist kein Mann der großen Sprüche und niemand, der sich möglichst öffentlichkeitswirksam in Szene setzt. Der 46-Jährige legt vielmehr Wert auf einen unaufgeregten Blick auf die Dinge und eine sachliche Einschätzung von Situationen. In Nürnberg hat er damit gepunktet und sich durch den Klassenerhalt im letzten Jahr das Vertrauen von Verein und Anhängern erarbeitet.

Um dem Abstieg auch in dieser Saison zu entgehen, hat Hecking in den letzten Monaten eifrig getüftelt. Für den abgewanderten Diekmeier wurde kein Ersatz verpflichtet, sondern stattdessen Aushilfsmann Juri Judt vom Mittelfeldspieler zum Außenverteidiger umgeschult. Mit Erfolg. Jens Hegeler, eigentlich als Defensivallrounder gekommen, glänzt im offensiven Mittelfeld. Hinzu kommen junge Spieler wie Philipp Wollscheid, Timothy Chandler oder Markus Mendler, die vor der Saison noch niemand auf der Rechnung hatte, die sich unter Hecking allerdings regelmäßig beweisen dürfen.

So hat sich Nürnbergs Trainer eine Mannschaft zusammengestellt, die seine Vorstellungen umsetzen kann und derzeit im 4-1-4-1-System richtig gut funktioniert. Mit Almog Cohen hat Hecking im Zentrum der Mittelfeldreihe den passenden Umschaltspieler für dieses System installiert und in Christian Eigler (Pressingspieler), Mehmet Ekici (Ideengeber) und Hegeler (Ballsicherer) eine geeignete Mischung zwischen Offensive und Defensive gefunden. Kein Zufall also, dass der Club in der Rückrunde bislang die beste Abwehr der Liga stellt und in der gesamten Saison nach Dortmund, Bayern und Leverkusen die meisten Torchancen herausgespielt hat.

Perspektive auf den zweiten Blick

Das Erstaunen über Nürnbergs Höhenflug ist vielerorts groß, gleichzeitig schwingt allerdings auch eine Menge Skepsis mit. Denn: Mit Ekici, Julian Schieber und Hegeler (bis 2012, mit Bayer-Rückholoption im Sommer) sind drei zentrale Stützen der aktuellen Mannschaft nur ausgeliehen, zudem wird Ilkay Gündogan, das größte Club-Talent seit vielen Jahren, von zahlreichen Top-Klubs gejagt. Angesichts dessen, so vermuten die Skeptiker, ist die aktuelle Saison nur ein Ausreißer nach oben und im nächsten Jahr nicht mehr viel übrig von dem, was man sich in dieser Saison mühsam erarbeitet hat.

Allerdings: Schon vor dieser Spielzeit mussten die Franken eine neue Mannschaft aufbauen, im Sommer verließen allein sechs Leihspieler (plus vier weitere) den Verein. Einen ähnlich großen Umbruch wird es nach dieser Saison nicht geben. Schieber muss zwar wohl zurück nach Stuttgart, bei Ekici ist das letzte Wort dagegen noch nicht gesprochen, auf Hegeler besitzt der Club eine Kaufoption, und Gündogan würde bei einem Wechsel zumindest viel Geld in die Kassen spülen.

Darüber hinaus hat der Club längst mehr zu bieten als nur Schieber, Ekici oder Gündogan, die meist im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Mit jungen Leuten wie Wollscheid, Marvin Plattenhardt, Cohen, Mendler, Chandler oder Robert Mak hat man in Nürnberg in den letzten Monaten eine Basis geschaffen, auf dich sich auch perspektivisch betrachtet aufbauen lässt. Und: Mit Ausnahme von Timmy Simons (34) sind auch die erfahrenen Leistungsträger der Mannschaft (Schäfer, Pinola, Wolf, Nilsson) im besten Fußballalter. Klar ist aber auch, dass der Club auch künftig auf ein gutes Händchen bei der Spielersuche angewiesen ist. Denn: "Leihspieler werden auch in Zukunft ein Stilmittel des 1. FC Nürnberg sein", so Manager Martin Bader.

Die Arbeit hinter den Kulissen

Für die kurzfristigen Erfolge ist Trainer Hecking und sein aktuelles Team zuständig, an einer mittelfristigen Perspektive wird hinter den Kulissen gearbeitet. Hauptverantwortlich dafür: Manager Bader. Der 43-Jährige ist mittlerweile der einflussreichste Mann im Verein. Seit einer Satzungsänderung im Oktober 2010 ist Bader einer von zwei Vorständen, die den Klub führen. Die Zeiten, in denen der FCN durch von Emotionen geleiteten Alleingängen seiner Präsidenten für Schlagzeilen sorgte, gehören nun der Vergangenheit an.

Bader gilt als besonnener Fachmann, der Dinge gerne mit Weitblick angeht. Nicht zuletzt auf seine Initiative hin wird am Vereinsgelände am Valznerweiher schon bald der Spatenstich für das neue Funktionsgebäude erfolgen, in dem Nachwuchs- und Profiabteilung gemeinsam unter einem Dach vereint und noch professionellere Bedingungen geschaffen werden. "Das Wichtigste ist die Bundesliga. Nebenher wollen wir uns entwickeln, das neue Funktionsgebäude soll ein Meilenstein werden", sagte Bader den "Nürnberger Nachrichten".

Eine wichtige Personalie ging der Club schon vor rund einem Jahr an. Aus Hoffenheim eiste man Chefscout Christian Möckel los, der offiziell seit Sommer für die Franken arbeitet. "Christian hat ein sehr, sehr gutes Netzwerk aufgebaut", sagte Hecking im "Kicker". Möckel entdeckte unter anderem Cohen und Mak.

Auf derartige Schnäppchen wird der FCN auch künftig angewiesen sein. Denn: Die sportliche Perspektive scheint zwar durchaus vielversprechend, finanziell jedoch kann der Club auch künftig keine großen Sprünge machen. Mehr als Mittelmaß ist deshalb wohl vorerst nicht drin. Aber daran kann man sich in Nürnberg durchaus berauschen.

Der 1. FC Nürnberg im Steckbrief

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