"Masochismus, öffentlich, sehr witzig"

Von Stefan Moser
Weil er immer nur den Pfosten trifft, wechselt Boubacar Sanogo jetzt in die Schlagerbranche
© Getty

Was ist eigentlich mit Jens Lehmann los? Da kommt doch in der Nachspielzeit Dortmunds Roman Weidenfeller zwecks Last-Minute-Heldentum in seinen Fünfer und spöttelt: "Pass auf, Jens, heute fällt mir mal der Ball auf den Kopf!"

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Und Lehmann? Weder klaut er ihm die Handschuhe noch wirft er gleich den ganzen Roman übers Tornetz - sondern lächelt milde und umarmt den Weidenfeller. Sorry, Jens, das reicht nicht für die Top-Elf! Richtig gemacht haben es dagegen: Der weiße Obama, das grüne Leverkusen und ein blauer Schlüpfer. Und auch Kevin gibt sich natürlich die Ehre - in der Alternativen Liste des 23. Spieltags.

1. Exakte Wissenschaft: Die "Bild" war wieder investigativ und enthüllte exklusiv ein brandheißes Geheimnis: Er trage bei Spielen immer einen Talisman bei sich, verriet dort nämlich Leverkusens Renato Augusto, genauer gesagt trage er ihn drunter: Blaue Unterhosen sollen dem Brasilianer Glück bringen, ein weiser Rat von einem ehemaligen Zeugwart. Nun war das Eins-Eins gegen Bochum so schrecklich glücklich nicht - und überhaupt: Das alles ist doch infantiler magisch-mittelalterlicher Quatsch. Aberglaube bringt bloß Unglück!

2. Schlagerparade: "Ich habe noch nie gelebt", sagte Hoffenheims Ibisevic-Ersatz Bobbycar Sanogo nach dem Null-Null gegen Bremen. Klingt irgendwie nach dem verzweifelten Versuch, Matthias Reim noch vor der Insolvenz zu retten, war aber ganz anders gemeint. Er habe das noch nie erlebt, wollte Sanogo eigentlich sagen, nachdem er einmal, zweimal, dreimal statt ins Tor nur an den Pfosten gestochert hatte.

Das Copyright für sein romantisches Bonmot gehört nun aber trotzdem dem Ivorer. Wie wär's deshalb, Matthias Reim, mit einer schicken neuen Fußball-Hymne? Auf der Hand, zum Beispiel, läge doch: "Alu-Liebe rostet nicht". Tantiemen gehen an SPOX!

3. Klimaschutz: Neben Hochsprache, Dialekt und Bobbycar-Jargon  gibt es gerade im Deutschen einen schönen Zungenschlag, der heißt: "Frei Schnauze". Wer spricht, wie ihm der Schnabel wächst, der sagt nicht "charakterliche Defizite", der sagt vielmehr: "Du dummes Arschloch".

Auch sagt man dort nicht "delikater Augenschmaus", sondern viel prägnanter: "geile Titten". Das ist kurz und knackig und macht beliebt unter den Menschen - und Fußballtrainer sollten sich daran ein Vorbild nehmen! Zumindest reduzierte das den CO-2-Ausstoß, den Michael Frontzeck und Friedhelm Funkel verursachten, als die Trainer lang und breit erklärten, dass die Nullnummer am Sonntag aus diversen Gründen weder geil noch delikat noch sonst was war, aber irgendwie dann doch superb. Viel kürzer wäre doch gewesen: "Frankfurt Bielefeld war einfach scheiße."   

4. Zur Sache: Wir unterbrechen kurz unsere feuilletonistischen Betrachtungen zum Thema "Brüste in der deutschen Umgangssprache" und widmen uns den ernsten Dingen des Lebens - Jürgen Klinsmann hatte nämlich ein Problem: Die Feel-Good-Kacke funzte nicht mehr richtig. Zauberfußball, Zuversicht und vertikales Spiel: Das alles war nun plötzlich Leverkusener Territorium, an der Säbener Straße war dagegen Krise. Gegen Hannover mussten also andere Mittel her, zur Not auch richtig hässliche. Gesagt, getan - und viermal lautete die Formel: Flanke, Kopfball, Tor. Viermal Standard, viermal äußerst horizontal. Und siehe da! Achad-Shtaim-Shalosh: Die Krise ist wie weggeblasen. In der von Uli Hoeneß um den Zufalls-Spitzenreiter Berlin begradigten Tabelle ist Bayern wieder Erster!

5. Stream of consciousness: Den Ausdruck "funzen" gibt's in Wahrheit gar nicht in der deutschen Sprache, zumindest steht er nicht im Duden. Wenn man ihn bei Google sucht, erhält man immerhin den Hinweis, dass das Wort vor langer Zeit im Bergbau eine Rolle spielte und irgendwie von "Funzel" kommt. Heute aber sei es eher Jugend- oder Internetjargon für "funktionieren".Und by the way: Wenn man "Masochismus" googelt, erfährt man Aufschlussreiches über einen Herren Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895). Und wenn man weiter sucht nach "Masochismus, öffentlich, sehr witzig" - dann weiß auch Google nicht mehr weiter: "Keine Treffer für Ihre Suchanfrage."

Aber wie zum Teufel kommt man auch darauf nach "Masochismus, öffentlich, sehr witzig" zu googeln? Keine Ahnung! Muss irgendwie an diesem Ohrwurm liegen: "Blau und Weiß, wie lieb' ich dich.... Blau und Weiß, Schalke verlass' mich nicht..."

6. Apropos Schalke: Muss sich Kevin Kuranyi eigentlich immer in die Alternative Liste drängeln? Aber aus elf Metern freistehend den Torwart anschießen, beim Schuss auch noch hinfallen, den Rebound aber trotzdem bekommen und den Ball dann im Liegen mit dem Oberarm irgendwie ins Tor fummeln: Das kann halt nur er! Oder auch das Ding aus fast vierzig Metern: Volley im Rückwärtslaufen aus der Drehung! Natürlich ging der "Schuss" ab in die Oberränge; und natürlich raunten und stöhnten die Fans in der Veltins-Arena, aber andererseits: Warum eigentlich nicht? So einen kann man doch mal probieren, wenn man gerade einen Lauf hat!

7. Richtig gute Kicker: Der "Kevin der Woche" aber geht diesmal eindeutig ein Bayers Lukas Sinkiewicz, der gegen Bochum aus sechs Metern das Scheunentor nicht traf und damit exemplarisch zeigte, warum Leverkusen wohl für immer Leverkusen bleibt: Zwecks mangelnder Cleverness verdammt zum ewigen Verlieren, aber dabei immer ein äußerst sexy-delikater Augenschmaus. Frei Schnauze könnte man auch resümieren: Dumm kickt gut.

8. Der verlorene Sohn: Herzlichen Glückwunsch an Elson Falcao da Silva! Der Stuttgarter erzielte nämlich gegen Dortmund das 43.000 Tor der Bundesliga-Geschichte. Bleibt die Frage: Wo war Elson eigentlich die letzten vier Jahre? Seit 2005 steht der 27-Jährige nämlich schon beim VfB unter Vertrag und trotzdem tauchte er nirgends auf. Nicht im Jahrbuch, nicht auf der Homepage, nicht einmal auf dem offiziellen Mannschaftsfoto - und schon gar nicht auf irgendwelchen Spielberichtsbögen. Bis wir eines Besseren belehrt werden, gehen wir mal davon aus, dass der Brasilianer in irgendeinem Stuttgarter Keller vor sich hingammelte - eingemottet zwischen Sacher-Masochs blauen Boxershorts und dem alten Bobbycar von Kevin Kuranyi...

9. Die weiße Massai: Wenn Sanogo der schwarze Ibisevic ist und Klinsmann, unseretwegen, der weiße Obama, dann ist Dieter Hoeneß ab sofort der weiße Thimothee Atouba!

Mitten im Berliner Moshpit feierte der Hertha-Manager am Samstag nämlich den 3:1-Sieg gegen Cottbus und gab im Kreise seiner Lieben dessen legendären Tanz zum Besten. Eigentlich ja eine sichere Wette auf eine gehörige Portion Fremdschämen. Aber ganz im Gegenteil: Der Berliner Tanzbär strahlte derart überglücklich und charmant - und bewegte sich auch recht geschmeidig. So richtig knuffig sah der Dieter aus! Hat da etwa jemand heimlich vor dem Spiegel einen Meistertanz geübt?

10. Geschichtsklitterung: Weil "TSG" so schrecklich nach Bezirkssportanlage klingt und überhaupt nicht nach Tradition, beschloss die Turn- und Sportgemeinschaft vor einer Weile, das Gründungsdatum in den offiziellen Vereinsnamen mit aufzunehmen: "1899 Hoffenheim" - so sollte sie fortan geheißen werden. Die Kampagne funzte, die Medienwelt kollaborierte und übernahm die konnotationsschwere Ziffernfolge in den allgemeinen Sprachgebrauch. Nur das Öffentlich-Rechtliche schoss dabei wieder übers Ziel hinaus. In einer echt servilen Grafik datierte das "Aktuelle Sportstudio" nämlich die Grundsteinlegung des Retortenklubs gleich auf das Jahr 199 vor.Bleibt nur die Frage, ZDF, meintet Ihr damit nun vor oder nach der Geburt unseres Heilands? Vor Christus gab es nämlich in Europa keinen Fußball; 199 n. Chr. dagegen wird immerhin Udo Lattek zum ersten Mal urkundlich erwähnt...

11. P.S.: Zwei kurze Hinweise noch in eigener Sache. Erstens: Am Sonntag war Weltfrauentag - Gelegenheit genug, mal wieder an unser ureigenstes Anliegen zur erinnern: Bibi Steinhaus in die Bundesliga!! Und zweitens: Wenn man jetzt mal "Masochismus, öffentlich, sehr witzig" googelt, dann landet man, genau, bei der Alternativen Liste des 23. Spieltags.

Fakten zum Weltfrauentag: Der 23. Spieltag im Überblick

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