"Heute bist du hier und morgen bist du tot"

Von Interview: Jochen Tittmar
Artur Wichniarek widmet seine Tore seiner Mutter und schickt einen Handkuss gen Himmel
© Getty

Exklusiv Arminia Bielefelds Lebensversicherung heißt Artur Wichniarek. Der Pole ist mit zwölf von insgesamt 20 Toren absolut unverzichtbar für die Arminen

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX erwischte den Stürmer auf der Autofahrt vom Training nach Hause zu seiner dreiköpfigen Familie. Im Interview sprach der bald 32-Jährige über seine Anfangszeit in Deutschland, warum er in Bielefeld bleibt und wie ihn der Tod seiner Mutter verändert hat.

SPOX: Herr Wichniarek, ich habe gelesen, dass Sie zu Hause nur polnisch reden, aber mit ihrem Hund deutsch. Das müssen Sie uns mal erklären...

Wichniarek: Ich habe auch mal gesagt, dass ich nur in Deutschland spielen darf, weil ich einen deutschen Schäferhund habe (lacht). Nein, ich spreche mit dem Hund polnisch. Deshalb ist es auch schwer, eine Dressur für den Hund zu finden. Der versteht ja kein Deutsch. Hunde haben mich mein ganzes Leben lang begleitet, daher finde ich es auch gut, dass meine zwei kleinen Kinder damit aufwachsen und Kontakt zu Tieren haben.

SPOX: Erzählen Sie doch mal, wie Sie damals von Widzew Lodz nach Bielefeld gekommen sind. Wie ist der Kontakt entstanden?

Wichniarek: Mein Berater hat mir vom Interesse der Arminia erzählt. Ich wollte sowieso erst zu einem kleineren Verein. Doch in Bielefeld habe ich gleich gemerkt, wie groß der Unterschied in Sachen Professionalität zwischen Deutschland und Polen ist. Das hat mir gleich gefallen.

SPOX: Wie verlief denn ganz allgemein Ihre Anfangszeit in Deutschland?

Wichniarek: Ich habe etwa ein Jahr gebraucht, um mich umzustellen. Die Sprachbarriere war riesig. Ein Kumpel hat mir und meiner Frau ein wenig Nachhilfeunterricht gegeben. Da gab es dann auch das ein oder andere lustige Ereignis.

SPOX: Lassen Sie uns teilhaben.

Wichniarek: Ich hatte mal kein Kleingeld und wollte bei einer Bank wechseln gehen. Der Typ hat mich dann gefragt: 'Was hätten Sie gerne, kleine Scheine?' Und ich habe geantwortet: 'Nein, ich habe hier kein Konto' (lacht). Dann standen beide verdutzt da. Solche Sachen sind anfangs öfter mal passiert.

SPOX: Öfter mal verdutzt stand auch die Arminia da, besonders in fremden Stadien. In Bremen feierte man kürzlich den ersten Auswärtssieg seit August 2007. Welchen Einfluss hatte diese lange Negativserie auf die Psyche der Spieler?

Wichniarek: Auf uns Spieler hatte das keinen Einfluss. Es ist ja klar, dass Bielefeld nicht in jedem Auswärtsspiel Favorit ist. Wir haben auch oft unentschieden und dabei nicht schlecht gespielt. Wir haben das also anders gesehen als die Experten.

SPOX: Sie haben kürzlich Ihren Vertrag bis 2011 verlängert. Wie wichtig war Ihnen das?

Wichniarek: Ich wollte unbedingt einen neuen Vertrag. Ich bin bald 32. Daher war es für mich und meine Familie wichtig, Zukunftspläne schmieden zu können.

SPOX: Welche Perspektiven hat Ihnen Arminia mit dem neuen Vertrag aufgezeigt?

Wichniarek: Also mal Klartext: Wenn ich Millionen verdienen will, dann darf ich nicht bei Arminia Bielefeld spielen. Das ist mir schon klar. Ich habe der Arminia viel zu verdanken und wollte mit der Verlängerung ein Zeichen setzen, dass ich mich auch in schweren Zeiten mit dem Verein identifiziere. Deshalb ist der Vertrag auch für die 2. Liga gültig.

SPOX: Sie haben keine Ausstiegsklausel. Provokant gefragt: Sind Sie auf die alten Tage nicht mehr ehrgeizig genug?

Wichniarek: Ich habe keine Ausstiegsklausel, weil es ja auch keinen Sinn macht, einem 32-Jährigen eine Ablösesumme von acht Millionen Euro in den Vertrag zu schreiben. Daher haben wir das gleich gelassen.

SPOX: In Bielefeld ist das Erreichen des Klassenerhalts das größte Ziel. Ist das für Sie langfristig gesehen nicht frustrierend?

Wichniarek: Mir ist es lieber, vom ersten Spieltag an das Ziel Klassenerhalt vor Augen zu haben, als dass es uns geht wie zum Beispiel Schalke, die jedes Jahr Meister werden wollen und am Ende von einer verkorksten Saison reden. Das muss man realistisch sehen: Wir haben einen sehr kleinen Etat und halten seit fünf Jahren die Klasse. Das ist doch wunderbar.

SPOX: Sie stehen in der Torjägerliste derzeit mit zwölf Treffern auf Platz vier. Ist die Torjägerkanone ein persönliches Ziel von Ihnen?

Wichniarek: Ich...(plötzliches Funkloch)

SPOX: Herr Wichniarek, ich verstehe Sie gerade gar nicht mehr, was ist los?

Wichniarek legt auf. Ich warte und rufe zwei Minuten später zurück.

SPOX: Hallo, sind Sie wieder da?

Wichniarek: Ja. Entschuldigung, ich glaube ich bin gerade durch den einzigen Tunnel in ganz Ostwestfalen gefahren. Da geht dann natürlich nix mehr.

SPOX: Apropos Ostwestfalen, da fällt mir ein: Es wird ja steif und fest behauptet, dass Bielefeld gar nicht existieren würde. Ihr Trainer Michael Frontzeck hat im SPOX-Interview nichts von diesem Mythos gewusst. Nun versuchen wir es bei Ihnen. Kennen Sie diese Geschichte?

Wichniarek: (lacht) Habe ich auch noch nicht gehört. Ich bekomme das anders mit: Wenn ich Sport- oder überregionale Zeitungen lese, dann steht da nie etwas über Bielefeld. Nur daher habe ich den Eindruck, dass es Bielefeld gar nicht gibt.

SPOX: Alles klar, somit zurück zur Torjägerkanone.

Wichniarek: Also ich schaue nicht darauf. Ich habe auch noch vor keiner Saison gesagt, dass ich so und so viele Tore schießen möchte. Bielefeld ist nicht Bayern München, wir haben nicht so viele Torchancen pro Spiel. Wenn man dann Mitte der Saison so weit oben steht, ist das natürlich super. So platt es aber klingen mag: Wichtig sind die Punkte.

SPOX: Auch aufgrund Ihrer Tore wurde im März 2008 ein Wichniarek-Fanclub gegründet, dem man kostenlos beitreten kann. Die Mitglieder bezeichnen sich als "Wichniarek-verrückt". Hätten Sie sich dies am Anfang Ihrer Karriere je vorstellen können?

Wichniarek: Nein. Es ist natürlich sehr positiv zu sehen, dass die Leute deine Leistungen und deine vollkommene Identifikation mit dem Verein so honorieren. Ich habe mich auch bereits mit der 16-jährigen Gründerin getroffen. Das Erstaunliche ist, dass das für mich als Pole in Deutschland passiert, obwohl das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen ja bisweilen nicht unbelastet ist.

SPOX: Apropos Polen: Im Januar 2008 erhielten Sie nach vier Jahren Abstinenz wieder eine Einladung zu einem Länderspiel. Im September erklärten Sie dann Ihren Rücktritt, zumindest "solange Beenhakker noch Trainer ist". Warum?

Wichniarek: Wenn man Stammspieler eines Bundesligavereins ist und im Schnitt zehn Tore schießt, dann ist das keine schlechte Bewerbung. Für Polen spielen aber Leute, die nicht mal Stammspieler in ihrem Verein sind. Und ich bekomme keine Chance. Das verstehe ich nicht. Ich habe mir Gedanken gemacht und gesehen, dass es keinen Sinn hat. Beenhakker steht nicht auf meine Qualitäten und ich warte nicht ewig, bis er seine Meinung ändert.

SPOX: Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen in ihrem Heimatland nicht genügend Respekt für Ihre Leistungen in Deutschland entgegengebracht wird?

Wichniarek: Ich denke schon. Es gibt Spieler aus der Bundesliga, die in der Nationalmannschaft sind, obwohl sie keine Stammspieler sind. Aber die Entscheidungen treffen andere, und die muss ich akzeptieren.

SPOX: Sie hatten auch damit zu kämpfen, den Tod Ihrer Mutter im Frühjahr 2008 zu akzeptieren. Diese Erfahrung veränderte Sie sowohl als Menschen als auch als Fußballer sehr. Seitdem feiern Sie Ihre Treffer mit gedämpftem Jubel. Welche Erkenntnisse haben Sie aus dieser Erfahrung gezogen?

Wichniarek: Ich bin nach diesem Schicksalsschlag erwachsener geworden. In den ersten zwei Monaten war ich psychisch fix und fertig. Ich weiß nun, was im Leben wichtig ist. Geld, Ruhm oder was in der Zeitung steht - das ist nicht wichtig, das sind nur Nebensachen. Das Wichtigste ist die Gesundheit deiner Familie.

SPOX: Wie würden Sie die Veränderung, die sich bei Ihnen seitdem bemerkbar macht, beschreiben?

Wichniarek: Ich fühle mich wie ein neuer Mensch. Ich denke ganz anders über Fußball und über das ganze Leben. Heute bist du hier und morgen bist du tot. Ich setze mich nicht mehr unter Druck.

SPOX: Erleichtert Ihnen die Veränderung, die Sie durchgemacht haben, Ihre Arbeit als Fußballprofi?

Wichniarek: Ich habe schon immer Spaß am Fußball gehabt, aber ich genieße es jetzt noch mehr. Ich bin auch gelassener geworden. Als ich den Elfmeter in Hamburg verschoss, habe ich die Schuld allein bei mir gesucht und mich nicht bis Mitte der Woche hängen lassen. Im nächsten Spiel kriegt man wieder eine Chance, es besser zu machen. Das ist im Leben leider nicht immer so.

SPOX: Vor dem Hinrundenspiel in Berlin haben Sie sich bei Manager Dieter Hoeneß für frühere Anfeindungen entschuldigt. Hatte dies auch mit den Erfahrungen zu tun, die Sie nach dem Tod Ihrer Mutter gesammelt haben?

Wichniarek: Ja klar. Ich will nun das Leben genießen. Ich suche keinen Streit und will keine Feinde. Daher habe ich den Schritt gemacht und mich bei Hoeneß entschuldigt.

SPOX: Haben Sie damit gerechnet, dass Hoeneß Ihre Entschuldigung akzeptiert oder waren Sie unsicher?

Wichniarek: Ich habe das für mich gemacht, es war mir nicht so wichtig, ob er das akzeptiert oder nicht. Ich wollte die innere Ruhe finden. Dann liegt der Ball beim anderen. Ich finde es natürlich gut, wie Herr Hoeneß reagiert hat.

Dreamteam gesucht: Jetzt bei Konterstark anmelden und Top-Team sichern