EM 2022: Reif für den Titel? DFB-Team ist unberechenbar

Von Justin Kraft
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DFB: Defensive als größte Baustelle?

Gleiches gilt für Marina Hegering. "Nicht eingespielt", so hieß auch in der Defensive das Motto der letzten zwei Jahre. Die Bundestrainerin probierte vieles aus - insbesondere auf den Außenbahnen testete sie viele Spielerinnen. In der Innenverteidigung spielte Hegering zuletzt keine Rolle.

Das lag daran, dass sie mit gesundheitlichen Problemen zu tun hatte. Verletzungen und Corona verhinderten, dass sie ihrer Rolle als Abwehrchefin gerecht werden konnte. Im Testspiel gegen die Schweiz (7:0) deutete sie ihre Klasse an. Fit ist sie die einzige deutsche Innenverteidigerin, die es mit der Weltspitze aufnehmen kann.

Auch Kathrin Hendrich, Sara Doorsoun oder Sophia Kleinherne sind gute Spielerinnen, aber auf höchstem Niveau neigen sie zu Unsicherheiten. Hegering wird die verantwortungsvolle Rolle übernehmen müssen, der Viererkette Halt zu geben. Gemeinsam mit Torhüterin Merle Frohms ist sie die wichtigste Spielerin im Defensivbereich.

Bundestrainerin Voss-Tecklenburg muss die Achse verbinden

Voss-Tecklenburg muss diese Achse miteinander verbinden und bestmöglich in das deutsche Spiel integrieren. Damit haben sie und ihr Team die größte Aufgabe von allen. Die Bundestrainerin zeichnet aus, dass sie selbstkritisch und reflektiert ist. In der Vorbereitung habe sie sich selbst verordnet, "mich zurückzunehmen und gelassen zu bleiben". Die 54-Jährige wolle nicht mehr "die Martina mit dem erhobenen Zeigefinger" sein.

Wann immer sie über ihre Vergangenheit spricht, ist ein kritischer Unterton mit dabei. Voss-Tecklenburg spricht sehr offen über Dinge, die sie aus ihrer Sicht in der Vergangenheit falsch gemacht habe. Zu viel Emotionalität, zu verbissen, hier und da zu sehr darauf bedacht, alles kontrollieren zu wollen.

Die gute Stimmung, die in der Vorbereitung innerhalb des Teams zu spüren war, ist auch ihr Verdienst. Gleichzeitig ist dieses Turnier für die Bundestrainerin richtungsweisend. Seit 2018 ist sie im Amt. Fußballerisch befand sich die DFB-Auswahl seitdem konstant im Umbruch oder in der Übergangsphase.

DFB: Unberechenbarkeit als Tugend

Auch deshalb ist die Frage, wie weit es für das deutsche Team geht, nicht abschließend zu beantworten. In der Vorbereitung wurde viel Wert auf Teambuilding gelegt. "Der Teamgeist hat sich in den letzten Wochen extrem entwickelt", sagte beispielsweise Kapitänin Alexandra Popp: "Wir haben den richtigen Weg zueinander gefunden."

Die Mischung aus guter Stimmung und Seriosität, aber auch jene aus erfahrenen Spielerinnen und hoffnungsvollen Talenten vor dem Durchbruch scheint zu stimmen. Man wolle aus der Unberechenbarkeit eine Tugend machen und möglichst viele Gegnerinnen bei der EM überraschen, betonte Voss-Tecklenburg immer wieder.

"Die deutsche Nationalmannschaft muss das Selbstbewusstsein haben, dass sie in der Lage ist, nicht nur die Gruppenphase zu überstehen, sondern auch weit im Turnier zu kommen", analysiert Bayerns sportliche Leiterin Bianca Rech die Chancen des DFB. Gleichwohl wäre das Halbfinale angesichts der Konkurrenz wohl das angemessene Mindestziel. Und ein wichtiges Zeichen dafür, dass Deutschland wieder Teil der Spitzenteams sein kann.

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