"Ich kann vom Supermarkt lernen"

Kehrte der Trainergilde vorübergehend den Rücken: Holger Stanislawski
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SPOX: Wenn Sie jetzt in diesem Moment aus dem Bauch heraus entscheiden müssten, würde Sie dann eher wieder die Arbeit mit den Stollenschuhen auf dem grünen Rasen reizen oder doch lieber der Bürojob ohne Sportbekleidung?

Stanislawski: Ich bin zwar Fußball durch und durch und habe über längere Zeiträume schon in allen Bereichen gearbeitet, aber das könnte ich jetzt gar nicht genau eingrenzen. Es würde sich wohl aus etwaigen Anfragen und den Gesprächen ergeben, welcher Posten dann besonders interessant wäre.

SPOX: Ihre letzte Station als Trainer liegt nun zwei Jahre zurück. Nach dem Aus beim 1. FC Köln im Mai 2013 haben Sie sich über ein Jahr lang aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Das tat gut, oder?

Stanislawski: Eindeutig. Ich habe anfangs erst einmal die Ruhe gesucht und mich neu sortiert. Im Oktober haben wir uns dann schon die ersten Gedanken in Richtung Supermarkt gemacht. Es war in dieser Zeit eigentlich immer etwas los - ich habe nur nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden. Ich liebe das Verborgene und mache meine Dinge gerne still und heimlich. Ich habe beispielsweise auch bei Sami Hyypiä in Leverkusen hospitiert. Als es mit der Übernahme des Marktes losging, war ich den Rest der Zeit gleich ziemlich eingespannt.

SPOX: Fiel es Ihnen leicht, nach all der Zeit vom Fußball loszulassen?

Stanislawski: Ich habe immer weiter Fußball geschaut. Davon kann ich nicht loslassen, ob ich jetzt direkt involviert bin oder nicht. Man erholt sich als Trainer ja am Ende einer Saison. Schauen Sie sich mal die Trainer am Anfang und am Ende einer Saison an. Da ist zum Schluss jedem anzumerken, wie anstrengend dieser Beruf ist, weil man vor allem gedanklich in viel mehr Bereiche eingebunden ist wie als Spieler. Das heißt aber nicht, dass man nach drei, vier Wochen Urlaub nicht schon wieder startklar wäre, um weiter zu machen. Ich wollte nicht untätig sein, sondern habe mich einfach anders orientiert. Trainer sein mit 60 Jahren will ich nicht, das ist nicht mein Plan. Es war ein guter Zeitpunkt und meine Triebfeder, für mich in Hamburg etwas zu schaffen, das von Dauer ist.

SPOX: Wie wichtig war es Ihnen, wieder einer echten Beschäftigung nachgehen zu können? Manche arbeitsuchenden Trainerkollegen geraten ja bisweilen in Gefahr, ständig nur auf den einen erlösenden Anruf zu warten.

Stanislawski: Das war mir in der Tat sehr wichtig. Ich will unabhängig vom Fußball, aber auch jederzeit wieder in der Lage sein, mich die nächsten zwei, drei Jahre dem Fußball widmen zu können. Ich bin gern Herr meiner eigenen Entscheidungen und möchte als Trainer nicht warten müssen. Dazu habe ich mir nun etwas geschaffen, bei dem ich nicht von einem Telefonanruf abhängig bin, um dann als siebter Kandidat Gespräche mit einem Verein führen zu müssen.

SPOX: Glauben Sie, dass Sie sich als Mensch verändert haben, seitdem Sie sich nicht mehr im Fußballkreislauf aufhalten?

Stanislawski: Ich würde zumindest behaupten, dass ich mittlerweile viele Dinge gelassener aufnehme und mir eine gewisse Entspanntheit angeeignet habe. Man bekommt dann so eine innere Ruhe, weil man weiß, dass man schon deutlich angespanntere Situationen erlebt und gemeistert hat. Ich glaube auch, dass ich bei einer Rückkehr in den Fußball viele Dinge mit Sicherheit entspannter sehen würde als noch vor drei oder vier Jahren. Diese persönliche Weiterentwicklung tut mir auch gut. Wenn ich jetzt von außen auf den Profifußball schaue, nehme ich einige Dinge manchmal schon mit Verwunderung wahr und denke: Schau an, in diesem Kreislauf warst du auch gefangen.

SPOX: Können Sie ein Beispiel dafür nennen, was Sie verwundert hat?

Stanislawski: Es kam zum Beispiel schon vor, dass einen Vereine nach dem 2. Spieltag angerufen haben und den Trainer wechseln wollten. Da denkt man sich schon, wo denn jetzt die Kontinuität geblieben ist, die man ja sicherlich zusammen leben wollte. Wenn nach zwei Spieltagen schon über den Trainer nachgedacht wird, dann kann im gesamten Verein nicht wirklich alles sauber sein. Zu solchen Dingen entwickelt man sozusagen als Außenstehender einen anderen Bezug und ist auch ganz glücklich, wenn man es für sich ausschließen kann, in einem solchen Umfeld zu arbeiten.

SPOX: Ist es möglich, dass bei Ihnen nach dem Fußball und jetzt dem Supermarkt in Zukunft noch ein drittes Betätigungsfeld hinzukommen könnte?

Stanislawski: Das kann durchaus sein, ja. Es ist zwar noch nichts ausgereift und erst recht nicht spruchreif, aber ich habe im Hintergrund zwei, drei Projekte in der Mache. Ich bin an so vielen Dingen interessiert, dass ich mir ständig Gedanken mache und mich mit verschiedenen Themen beschäftige. Wenn ich aber etwas angehe, dann möchte ich es aus Überzeugung tun. Der Supermarkt ist für mich aktuell so horizonterweiternd, dass ein Angebot aus dem Fußball erst einmal interessanter sein muss. Vielleicht sage ich eines Tages aber auch, dass ich mit dem Supermarkt und einem möglichen neuen Projekt so viel zu tun habe und so glücklich damit bin, dass ich gar nichts mehr mit dem Fußball zu tun haben möchte. Auch der umgekehrte Fall kann eintreten. Es ist ganz und gar nicht ausgeschlossen, dass ich vielleicht in zwei Monaten wieder im Fußball zu sehen bin.

SPOX: Typisch Holger Stanislawski, werden viele jetzt sagen. Sie hatten häufig bereits etwas für die "speziellen" Wege übrig.

Stanislawski: Ein deutliches Ja. Ich war schon immer anders und auch froh darüber. Ich habe seit jeher in etwas andere Richtungen gedacht. Deshalb bin ich jetzt auch der erste Trainer, der einen Supermarkt führt (lacht). Ich kann vom Supermarkt lernen - fürs Leben und für den Fußball. Ich habe aber auch durch den Fußball Dinge gelernt, die ich im Supermarkt einsetze. Ich bin momentan so wie es ist glücklich.

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