Detailarbeit im Extrembereich

Mercedes' W06 ist wohl auch 2014 das Maß aller Dinge in der Formel 1
© getty

In Barcelona testet die Formel 1 nächste Woche die neuen Autos erstmals richtig auf Herz und Nieren. SPOX hat sich die neuen Boliden zuvor genauer angeschaut und verrät einige Geheimnisse: Wo wird Mercedes kopiert? Warum schlagen Red Bull und Toro Rosso eine andere Richtung ein? Und warum ist der McLaren das interessanteste Auto im Feld?

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Alle kopieren Mercedes: Es ist Usus in der Formel 1, sich die Konzepte der anderen Teams genau anzusehen und Innovationen zu adaptieren. Am interessantesten ist dabei selbstverständlich das erfolgreichste Auto, also der W05 Hybrid von Mercedes. Williams, Ferrari, McLaren - jedes halbwegs finanzkräftige Team verbreiterte die Streben der Vorderradaufhängung. Die eigentliche Aufgabe des Bauteils beeinflusst das nicht, stattdessen hat die Änderung Auswirkungen auf die Aerodynamik. Der Luftstrom wird beruhigt, der Fahrtwind kann gezielter zum Heck geführt werden, wo der Großteil des Anpressdrucks erzeugt wird.

Interessant ist, das selbst Designmogul Red Bull jetzt bei Mercedes abschaut. Die Endplatten des Heckflügels sehen beim RB11 fast genauso aus, auch der Diffusor wurde dem W05 nachempfunden. 2014 lautete die Diskussion, ob Mercedes nur durch den Motor so dominant sei. Durch Red Bulls Neuausrichtung ist dieses Gerücht nun endgültig wiederlegt. Eine weitere Kopie: Die Teams setzen auf mehrere Lufteinlässe am Überrollbügel, um die verschiedenen Komponenten der Powerunit besser zu kühlen. Der neue McLaren sieht dem W05 in diesem Bereich zum Verwechseln ähnlich.

Die Silberpfeile sind zwei Schritte voraus: Während die anderen hinterherhecheln, hat der Weltmeister einen Vorteil: Er hat die Basis schon und baut lediglich aus. Und der W06 ist eindeutig eine Evolution des Vorjahresmodells. Interessant: Die getrennten Lufteinlässe zur Kühlung der unterschiedlichen Bereiche im Motorraum sind zwar weiter vorhanden, wurden aber in einer Öffnung oberhalb des Fahrerkopfes zusammengefasst. Das dürfte den Luftstrom weiter beruhigen.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Plexiglas-Windschutz vor dem Cockpit. Dieser ist in der Formel 1 weit verbreitet, doch Mercedes hat ihm ein gezacktes Profil verpasst, das wohl zur Generierung von Wirbeln dient und den störenden Einfluss des Fahrerkopfes verringert. Auch die extrem schmale Unterstützungsstrebe des Überrollbügels ist förderlich: Je weniger Material am oberen Ende des Autos eingesetzt wird, desto tiefer liegt der Schwerpunkt, desto schneller wird das Auto. Hier haben die anderen Teams Nachholbedarf.

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Red Bull und Toro Rosso sind übrigens genau den entgegengesetzten Weg gegangen und haben statt einem niedrigen Schwerpunkt extrem schmale Seitenkästen bevorzugt. Dafür wurden Teile der Antriebseinheit weiter oben angeordnet als noch 2014, die seitlichen Lufteinlässe fallen kleiner aus, dafür wird der Renault verstärkt über die Airbox und zusätzliche Einlässe neben dem Überrollbügel beatmet.

Was der Silberpfeil-Konkurrenz noch mehr Angst bereiten dürfte: Die Mercedes-Powerunit ist laut Motorenchef Andy Cowell eigentlich komplett neu: "Fast kein Teil" stammt aus dem Vorjahr. Und: Petronas hat im Laufe der Saison 2014 kräftig aufgerüstet und bringt noch besseres Benzin und noch geeignetere Schmierstoffe an den Start. Schon in der Weltmeistersaison soll Mercedes so einen Vorteil von 40 PS gegenüber der Konkurrenz herausgeholt haben.

Die Nasentricks gehen weiter: Williams-Pilot Valtteri Bottas war noch kurz vor den Präsentationen überzeugt, alle Frontpartien würden in diesem Jahr gleich aussehen. Weit gefehlt! Williams hat die Spitze deutlich gekürzt, Sauber verbreiterte sie. Ferrari und McLaren sehen auf den ersten Blick zwar ähnlich aus, die Italiener haben die weit über den Frontflügel herausragende Form aber noch wesentlich flacher angelegt. Beim Team aus Woking wurde dafür viel Zeit in die Konstruktion der unteren Verbindung zum Monocoque investiert.

Fast sicher scheint: Überleben werden die meisten Nasen den Winter nicht. Vielmehr waren sie bei vielen nötig, um den harten FIA-Crashtest zu überstehen und am ersten Test teilnehmen zu können. Die Mercedes-Konstruktion mit dem vorgelagerten Frontflügel bietet enorme aerodynamische Vorteile: Die sogenannten Y250-Wirbel, die an der Front zwangsläufig entstehen, werden weniger gestört. Den Frontflügel als ausladendes Tablett zu konstruieren ist aber schwerer als die Nase darüber hinausragen zu lassen.

Die Revolution steckt unter der Haube: Bei den Renault- und Ferrari-Teams lautete die Feststellung der Vorsaison: "Wir brauchen mehr Power." Das setzten die Hersteller um, konstruierten große Teile der Antriebseinheiten neu und gaben den Designern Anweisungen. Der Ferrari-Antrieb hat etwa mehr Kühlbedarf. Trotzdem schaffte es das Werksteam durch besseres Packaging, das Heck zu verschlanken. Kunde Sauber konstruierte die gesamten Seitenkästen schmaler, indem die Crashstruktur anders verbaut und die Kühler liegend eingesetzt wurden.

Neben dem klassischen Packaging, bei dem die Innereien optimal platziert werden, geht es vor allem um die Integration der Antriebseinheiten. Mercedes hat 2014 bewiesen, dass das Auto für den ultimativen Erfolg eine perfekte Symbiose aus Motor und Chassis sein muss. Der Bedarf des Motors an Kühlung und Platz muss optimal mit der Aerodynamik vereint werden. Das Zauberwort, an dem alle sich die Köpfe zerbrochen haben: Integration der Powerunit. Ferrari profitiert übrigens vom steigenden Mindestgewicht der Autos am meisten: Im Vorjahr war die Hybrideinheit der Italiener noch viel zu schwer.

Fahrbarkeit schlägt Leistung: Bei allen Teams lautete die Devise: Fahrbarkeit verbessern. Ferrari hielt an seiner Pullrod-Aufhängung an der Front fest, obwohl sie als Hauptauslöser für die Probleme von Kimi Räikkönen in der Saison 2014 galt. Zwar verbessert sie die Aerodynamik, macht aber teilweise bei Setup-Anpassungen Probleme. Die Scuderia konzentrierte sich lieber darauf, das Handling durch Änderungen am Heck zu verbessern. Zudem wurde die Bremse weiterentwickelt, damit der Finne und Sebastian Vettel voll verzögern können und das Auto trotzdem stabil bleibt. Das kommt ihrem Fahrstil mehr zugute.

Felgen als Spitze der Ingenieurskunst: Wenn das Reglement eng ist und weitgehend gleicht bleibt, dann suchen die Teams mal wieder nach Lücken. Eine kleine sind sicher die Felgen, die weiter darauf optimiert wurden, die Aerodynamik zu unterstützen. Das geschieht aber nicht wie vor einigen Jahren durch eine schnöde Abdeckung. Stattdessen wird Luft an der Innenseite des Reifens abgefangen und durch die hohle Radaufhängung nach außen geleitet - ein Ansatz, den unter anderem auch Williams und Red Bull verfolgen.

McLarens Felgenhersteller hat dagegen komplett unterschiedliche Felgen für Front- und Hinterachse angefertigt. Durch das Hybridsystem muss am Heck weniger Hitze der Bremsscheiben kanalisiert werden. Die Modelle für die vorderen Reifen sind dagegen extrem: Fünf zentrale Speichen werden von einem Ring aus lauter Mini-Kanälen umgeben. Detailarbeit im Extrem!

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