Schumi-Crash in Silverstone kostet den Titel

Von Jan-Hendrik Böhmer
1999 verunglückte Michael Schumacher in Silverstone wegen eines Bremsdefektes schwer
© Getty

16 Jahre lang fuhr Michael Schumacher in der Formel 1, bevor er 2006 seine Karriere beendete. Bis jetzt: Denn am 14. März wird Schumi wieder in der Startaufstellung stehen - 19 Jahre nach seinem Debüt. SPOX zählt die Tage bis zum Comeback und erinnert im Countdown an die bisherigen 16 WM-Jahre des Michael Schumacher. Teil 9: 1999.

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Team: Ferrari

WM-Platzierung: Platz 5

WM-Punkte: 44

Es soll sein Jahr werden. Es muss einfach. Die Scuderia scheint bereit für den Titel. Michael Schumacher scheint bereit für den Titel. Den ersten Ferrari-Titel seit 20 Jahren - der erste Weltmeister der Scuderia seit Jody Scheckter 1979. Es muss einfach klappen.

"Unser Auto war okay, nicht wirklich top. Aber wir waren 1999 erstmals mit Bridgestone-Reifen unterwegs - wie die Konkurrenz von McLaren", so Schumacher in seiner Biografie.

Doch es kommt anders. Ganz anders. Es kommt: Silverstone.

Und ein verhängnisvoller Funk-Ausfall um 14.03 Uhr.

"Das wird schlimm, das wird wehtun"

Doch fangen wir von vorne an. Am Start. Da bleiben Alessandro Zanardi (Williams) und Jacques Villeneuve im BAR stehen, das Rennen wird abgebrochen.

Nur nicht für Schumacher. Denn der kann seine Boxencrew nicht hören - und rast weiter mit knapp 300 Stundenkilometer auf Stowe-Corner zu. Dann passiert es. "Plötzlich ging die Bremse ins Leere", erklärt er hinterher auf seiner Website. "Du willst bremsen. Aber der Pedalweg wird immer länger. Du weißt sofort, was los ist. Du versuchst verzweifelt zu lenken, aber es geht nicht mehr, weil die Vorderräder blockieren."

Nach 38 Sekunden ist Schumachers Rennen zu Ende. Er rast mit qualmenden Reifen an Teamkollege Eddie Irvine vorbei, der ihn am Start kassiert hatte. Hinein ins Kiesbett. "Ich sehe die Reifenwand - und weiß: Das wird schlimm, das wird wehtun", sagt er. Mit 107 Stundenkilometern schlägt er ein. Sein F399 bohrt sich regelrecht in die Reifenstapel.

Und es wird dunkel.

"Blöder kann man nicht abfliegen"

Die Cockpit-Kamera fällt aus. Die TV-Regie bemerkt den Unfall erst gar nicht. Sie zeigt den BAR-Supertec von Villeneuve, der rückwärts in die Box geschoben wird. Erst kurze Zeit später sieht man einen Ferrari in den Reifenstapeln stecken.

Da bereitet die Scuderia bereits Schumachers Ersatzwagen vor. Den dürfte er nehmen, wenn er rechtzeitig zurück ist. Doch es gibt Zweifel. Warum dauert das so lange? Dann die Wiederholung: "Der Winkel war ganz ungünstig", sagt der damalige "DSF Plus"-Kommentator Jacques Schultz. "Blöder kann man nicht abfliegen", so Marc Surer.

Einmal Bremsversagen = sechs Rennen Pause

Das weiß auch Schumacher - und will aussteigen. Doch er schafft es nicht. Das rechte Schien- und Wadenbein sind gebrochen, der Knöchel geprellt, ein vier Zentimeter langer Schnitt klafft an der Ferse. "Ein grausames Gefühl", gibt er später zu Protokoll.

Noch als er abgeschirmt von riesigen Stoffbahnen in den Rettungswagen gebracht wird und den Fans ein Zeichen gibt, weiß er: "Die WM ist gelaufen. Komisch, du bist verletzt und denkst an diese WM, obwohl du doch in diesem Moment viel größere Sorgen hast."

Untersuchungen ergeben, dass der Crash auf menschliches Versagen zurückzuführen ist. Allerdings nicht Schumachers Versagen. Ein Mechaniker hatte vergessen, eine Schraube fest zu ziehen. Bremsflüssigkeit trat aus, die Bremse versagte.

Sechs Rennen wird Schumacher deshalb verpassen, Teamkollege Eddie Irvine dabei zusehen müssen, wie dieser um den Titel kämpft. Um seinen Titel. Das kann nicht sein. Schumacher wird unruhig. Er will so schnell wie möglich zurück ins Cockpit. Zu schnell. Zwei Comeback-Versuche müssen aufgrund von Komplikationen abgeblasen werden.

Schumi, das Sofa und Hockenheim

Dabei hatte alles so gut angefangen. Als Mitfavorit war er in die Saison gestartet. Hatte nach Problemen beim Saisonauftakt mit einem zweiten Platz in Brasilien sowie Siegen in San Marino und Monaco die WM-Führung übernommen. Die verlor er zwar nach einem Patzer an der Wall of Champions in Montreal wieder - dennoch: es war noch alles möglich.

War. Bis zum Unfall. Denn jetzt muss Schumacher zuschauen. Auch beim Heimspiel in Hockenheim drei Wochen später. Dorthin lässt er sich direkt aus seinem Garten per Videobotschaft zuschalten. Erklärt, dass er nicht für ein Leben auf dem Sofa geschaffen ist - und irgendwie Heinz-Harald Frentzen die Daumen drückt.

Hauptsache McLaren gewinnt nicht. Ach ja, ein Ferrari-Sieg wäre natürlich auch nicht verkehrt. Es gibt nicht wenige, die sagen: Schumacher gönnt Irvine den Titel nicht.

Schumacher und die Stallregie

Doch ausgerechnet der gewinnt den Deutschland-GP - dank Stallregie. Und dank eines vom Pech verfolgten Mika Häkkinen. Bei dem funktionierte nämlich erst die Tankanlage nicht, dann brach ihm der Heckflügel, als er versuchte, Frentzen zu überholen.

Anschließend gewinnt Irvine bis zu Schumachers Rückkehr kein Rennen mehr. Dennoch schafft er es irgendwie, in Schlagdistanz zu Häkkinen zu bleiben.

Und dann ist plötzlich alles so als wäre nichts gewesen. In Malaysia gibt Schumacher sein Comeback. Gut drei Monate nach seinem Unfall. Und er fährt als wäre er nie weg gewesen.

Im Qualifying holt er spielerisch die Pole - ist eine Sekunde schneller als Irvine auf Platz zwei. Auch das Rennen führt er souverän an - bis er seinem Teamkollegen drei Runden vor Schluss den Sieg überlassen muss. Man würde eben nicht nur für sich, sondern auch für das Team fahren, sagt Schumacher später. Rubens Barrichello kann ein Lied davon singen.

Windabweiser, FIA und die Entscheidung

Irvine ist also wieder auf WM-Kurs. Oder doch nicht? Denn direkt nach dem Rennen werden beide Ferrari wegen angeblich regelwidriger Windabweiser disqualifiziert. Die seien falsch angebracht gewesen, heißt es. Drei Stunden nach dem Rennen ist Häkkinen Weltmeister. Oder doch nicht? Denn Ferrari legt Einspruch ein. Und bekommt eine Woche später in Paris recht. Die Entscheidung wird also tatsächlich erst beim letzten Rennen in Suzuka fallen.

Und auch hier ist Schumacher wieder in Bestform. Er holt die Pole und soll Häkkinen auf jeden Fall hinter sich halten. Denn Irvine muss seinen Vier-Punkte-Vorsprung nur noch ins Ziel retten. Bleibt Häkkinen hinter Schumacher, genügt ihm ein vierter Platz.

"Ich war nicht unglücklich"

Doch dann kommt David Coulthard - nicht erst seit dem Dreirad-Zwischenfall von Spa ein ausgewiesener Schumacher-Freund. Also ausgerechnet dieser David Coulthard macht beim Boxenstopp extrem langsam. Ergebnis: Häkkinen ist durch. Und Weltmeister. Schumacher wird immerhin noch Zweiter und sichert der Scuderia damit die erste Konstrukteurs-WM seit 1983. Dennoch werden Stimmen laut, er hätte Irvine nicht genug unterstützt.

Sein Konter: "Eddie hatte es selbst in der Hand. Er hätte nur schneller fahren müssen." In seiner Biografie räumt er ein: "Als Eddie nicht gewann, war ich nicht unglücklich. Es wäre Heuchlerei zu behaupten, es wäre mir egal gewesen. Natürlich wollte ich den Titel." Und das sollte er ja auch schaffen. Doch dazu mehr im nächsten Teil unserer Serie: 2000.

Teil 8: 1998 -  "Willst du mich umbringen?"

Teil 7: 1997 - Schumachers schwärzeste Stunde

Teil 6: 1996 - Bloß raus aus der roten Gurke!

Teil 5: 1995 - Vom Intimfeind abgeschossen

Teil 4: 1994 - Ein Jahr Hölle mit Happy End

Teil 3: 1993 - Von Senna vorgeführt

Teil 2: 1992 - Beinahe-Schlägerei mit Senna

Teil 1: 1991 - Das Debüt-Jahr