Mehr Balance, mehr Varianten

Max Marbeiter
20. Oktober 201408:23
Anton Gavel (l.) soll in dieser Saison häufiger als gewohnt das Playmaking übernehmengetty
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Malcolm Delaneys Abgang hinterlässt eine Lücke bei den Bayern. Doch der Meister tritt in dieser Saison ohnehin anders auf - auch dank Point Guard Vasilije Micic und den Neuverpflichtungen auf den großen Positionen. Vor dem Euroleague-Auftakt gegen den FC Barcelona (ab 21.30 im LIVE-TICKER) erklärt Co-Trainer Emir Mutapcic, der die deutsche Nationalmannschaft zur EM führte, gegenüber SPOX die neuen Bayern.

Der neue Point Guard

Im Sommer standen die Bayern vor einer durchaus interessanten Aufgabe. Malcolm Delaney, eine der prägenden Figuren der Meistersaison, der MVP der BBL, jener Point Guard, dessen Scoring im Laufe der Spielzeit unglaublich wichtig gewesen war, hatte sich entschieden, den Verein zu verlassen. Ausgerechnet auf einer der zentralsten Positionen im Basketball mussten sich die Münchner also neu orientieren. Völlig neu. Denn anstatt erneut einen Einser zu verpflichten, der mit Vorliebe den eigenen Wurf sucht, entschied man sich für einen, der den Assist dem eigenen Abschluss vorzieht. Für einen klassischen Pass-First Point Guard. Für Vasilije "Vasa" Micic.

Vasilije Micic im Inteview: "Konnte mit NBA-Toptalenten mithalten"

"Wir hätten Malcolm gern gehalten, aber er hat sich anders entschieden", erklärt Svetislav Pesic' Assistant Coach Emir Mutapcic im Gespräch mit SPOX. "Da haben wir beschlossen, mit drei Playmakern, die sich ergänzen, in die neue Saison zu gehen. Heiko (Schaffartzik, Anm. d. Red.) war bereits da, Anton (Gavel, Anm. d. Red.) kam, dann haben wir den Markt nach Spielern durchsucht, die für uns interessant sind. Coach Pesic kennt Micic von früher noch sehr gut und hat ihn bei der U16 und U18 häufig gesehen. Deshalb haben wir uns dann entschieden, den beiden erfahrenen einen jungen Point Guard zur Seite zu stellen, der Potential besitzt."

Potential besitzt Micic tatsächlich eine Menge. Sogar so viel, dass ihn die Philadelphia 76ers beim vergangenen Draft an 52. Stelle zogen. Und auch die Jugend dürfte im Verlauf der Saison kein allzu großes Problem darstellen. "Micic besitzt bereits eine gewisse Erfahrung. Immerhin hat er schon für die serbische Nationalmannschaft gespielt und ein gutes Jahr in der Adria Liga hingelegt ", sagt Mutapcic.

Dass Micic in München einen Zweijahresvertrag mit Option auf eine weitere Saison unterschrieb, sei ebenfalls ein wichtiger Faktor gewesen, denn "wir wollen mit Vasa Kontinuität haben." Da hilft es natürlich, dass Micic selbst die Bayern keinesfalls als Übergangsstation betrachtet, sich und den Verein weiterentwickeln möchte, wie er im SPOX-Interview verriet.

Doch wie würde die Transformation verlaufen? Wie würde sich das Spiel der Bayern angesichts eines derart radikalen Wechsels auf der Eins verändern? Grundsätzlich einmal gar nicht. Denn "jeder Spieler muss sich erst unserem System, dem Trainer, der Mannschaft anpassen", erklärt Mutapcic. "Auch Micic."

Dass er dazu mehr als bereit ist, unterstrich der Serbe noch einmal, indem er auf die WM verzichtete, um so früh wie möglich beim Verein zu sein und sich an die neuen Teamkollegen zu gewöhnen, deren Spiel verstehen zu lernen. Und es funktioniert. Bereits beim BBL-Auftakt gegen den Mitteldeutschen BC bewies Micic, welch spezieller Playmaker er ist. Immer hatte er den Kopf oben, suchte ständig den Mitspieler, wollte kreieren. So auch, als er nach dem Zug zum Korb in eigentlich aussichtsloser Position den offenen Lucca Staiger an der Dreierlinie fand.

Micic' Spielansatz, ein Ansatz, der durchaus konträr zu jenem Delaneys daherkommt, dürfte den Bayern im Laufe der Saison gut tun. Perfekt ist alles selbstverständlich dennoch nicht. Kann es auch nicht. "Vasa hat sein Talent gezeigt", sagt auch Mutapcic. "Allerdings muss er noch ein wenig Konstanz in sein Spiel bringen - speziell in den für uns wichtigsten Aspekten Rebounding und Defense. Leider war er zuletzt etwas krank, konnte nicht spielen, was ihn ein wenig aus dem Rhythmus gebracht hat. Aber er ist auf einem guten Weg."

Bislang kommt Micic ausschließlich von der Bank. Er soll, er muss noch lernen. Gut also, dass Anton Gavel seine Schulterverletzung mittlerweile überstanden hat und in Hagen sein BBL-Debüt für die Bayern gab. Schließlich soll der ehemalige Bamberger Micic noch mehr Anschauungsunterricht geben, als einige vielleicht vermutet hatten. Laut Emir Mutapcic wird Gavel diese Saison nämlich "häufiger die Playmaker-Rolle einnehmen, als er es vergangene Saison in Bamberg tat."

Statt Delaney, Schaffartzik und Hamann bilden nun also Micic, Schaffartzik und Gavel Bayerns Point-Guard-Trio. Ein Schritt in die richtige Richtung. "Dank der drei sind wir auf der Eins für mich nun besser aufgestellt als vergangene Saison", glaubt Mutapcic.

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Seite 2: Die Big Men

Seite 3: Die Offense

Seite 4: Die Defense und Fazit

Die Big Men

Deon Thompson und Chevon Troutman haben die Bayern verlassen, dafür wurden Dusko Savanovic, Jan Jagla und Vladimir Stimac verpflichtet. Ein alter Bekannter, zwei international anerkannte Big Men, einer von beiden seit Neuestem sogar Vize-Weltmeister. Insgesamt hat sich gerade die offensive Qualität auf den großen Positionen damit deutlich gesteigert. Und das soll genutzt werden.

Der Ball wandert seit Saisonbeginn häufiger in den Post. Nur zu Recht. Immerhin nennen beinahe alle Big Men mittlerweile ein ganzes Arsenal an Offensiv-Bewegungen ihr Eigen. Ob nun der Wurf aus der Mitteldistanz, ein Babyhook oder aber klassische Postmoves - alles ist möglich. Auch dank eines verbesserten John Bryant.

"John hat sein Lowpost-Spiel vergangenes Jahr sehr verbessert", beschreibt Emir Mutapcic die Entwicklung seines Centers. "Daran haben wir intensiv gearbeitet. Mit dem Gesicht zum Korb war er schon immer gut, jetzt kann er jedoch auch im Lowpost gegen jeden spielen. Gleichzeitig kann er seinen Spieler rausziehen und ins Faceup gehen. Dadurch muss die Defense des Gegners anders agieren."

Wo im vergangenen Jahr häufig schiere Power dominierte, bekommt der geneigte Beobachter nun in schöner Regelmäßigkeit Finesse serviert. Speziell von Dusko Savanovic, dessen Spiel zwar nur wenig Athletik besitzt, dafür aber umso mehr durch Raffinesse und Basketball-IQ auffällt. Zudem besitzt der Serbe einen sicheren Wurf bis raus an die Dreierlinie. Noch so eine Option, die gleich die gesamte Offense profitieren lässt.

"Er ist ein klassischer Stretch-Four und kann die Defense auseinander ziehen", erklärt Mutapcic. "Das verbessert das Spacing. Gleichzeitig kann Dusko in den Lowpost gehen. Das ist eine neue Qualität." Anders als in der vergangenen Saison lägen die Stärken der Big Men, abgesehen von Bryant, nun nicht mehr ausschließlich im Lowpost. "Nun haben wir Spieler, die beides beherrschen, die bis zur Dreierlinie hinausgehen können. Da muss die Defense anders reagieren. Wir können wiederum den Ball besser bewegen. Dadurch ist unsere Offense einfach besser ausbalanciert."

Alle Fünfer besitzen zudem unterschiedliche Fähigkeiten, können das Spiel auf unterschiedliche Art und Weise beeinflussen. So reiße Stimac das Team durch seinen Einsatz mit, erklärte Nihad Djedovic nach dem BBL-Auftakt gegen den MBC. "Er ist ein Fighter, der zu jedem Offensiv-Rebound geht. Das hilft uns."

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Die Offense

Über den Sommer war spekuliert worden, wie die Bayern nach dem Wechsel auf der Eins auftreten würden. Kurz: anders. Das Ballmovement wurde auffallend intensiviert, immer wieder sucht der Meister den Extrapass zum freien Mitspieler. Das allein am neuen Playmaker Micic festzumachen, der momentan ohnehin von der Bank kommt, wäre allerdings zu kurz gegriffen.

"Der Unterschied zum letzten Jahr ist, dass wir den Ball viel besser bewegen und mehr Assists spielen. Das ist richtig", sagt Emir Mutapcic. "Allerdings liegt das nicht nur am Point Guard. Auch Dusko Savanovic hat daran einen großen Anteil. Er ist unglaublich gut und im Grunde unser zweiter Playmaker. Deshalb läuft unsere Offense nun flüssiger, das Ballmovement schneller. Das hat uns vergangenes Jahr ein wenig gefehlt."

Savanovic gilt als ungemein intelligenter Spieler, als ein Big Man, der weiß, wie und wo er seine Mitspieler einzusetzen hat. Mit 2,5 Assists pro Spiel ist der Serbe derzeit viertbester Passgeber der Bayern - hinter den Guards Schaffartzik (6), Micic (5) und Nihad Djedovic (3,3). Entsprechend positiv ist Savanovic' Einfluss auf das Ballmovement des Meisters, der eine hochfrequentierte Zirkulation ab dieser Saison ganz oben auf die Agenda gesetzt hat. SPOX

"Das ist unsere Idee. Nun müssen wir es umsetzen", erklärt Mutapic. "Aus Coaching-Sicht ist die Balance in der Offense extrem wichtig. Der Ball muss mindestens einmal von einer Seite zur anderen bewegt werden. Oder aber einmal nach innen und wieder nach außen. In diesem Bereich sind wir jetzt besser. Wir bewegen den Ball besser von einer Seite zur anderen, auch dank unserer neuen Vierer."

Ebenfalls positiv wirkt sich laut Mutapcic John Bryants Fitnesszustand aus. Der Center wirkt austrainiert wie nie und schenkt Bayerns Offense so eine weitere Komponente, die sich positiv auf Balance und Variabilität auswirkt. "Er bewegt sich besser, ist schneller", sagt Mutapcic. "Auch dadurch haben wir mehr Fluss und Bewegung in unsere Offense bekommen. Das Pick-and-Roll läuft besser, wir bekommen schneller Spacing. Zudem attackieren wir besser. So spielen wir mehr Assists, können auch häufiger den Extrapass spielen."

Alles in allem wirkte die Offense der Münchner in den ersten vier Spielen so wesentlich dynamischer. Dem Gegner fällt es deutlich schwerer, sich auf Angriffe der Bayern einzustellen. Es genügt nicht mehr, sich auf einige Offensivoptionen einzustellen. Das gute Ballmovement, die Balance, all die Pässe ermöglichen nahezu jedem gute, offene Würfe. Man ist unberechenbarer geworden. Auch in entscheidenden Phasen.

Vergangene Saison wanderte der Ball am Ende enger Spiele noch häufig zu Delaney, der meist für sich kreierte. Der Amerikaner konnte es, Coach Pesic nutzte es. "Natürlich war das nicht nur Delaneys Qualität, sondern auch die Anweisung des Trainers", sagt deshalb auch Mutapcic. "Jetzt ist er weg, aber Potential besitzen wir immer noch. Nur eben nicht nur auf einer Position, sondern auf mehreren. Djedovic kann übernehmen, Gavel ebenfalls. Auch Taylor ist extrem wichtig. Savanovic kann zudem jede Defense aus der Balance bringen, beispielsweise, indem er im Lowpost attackiert und den Ball dann nach außen passt. Oder er attackiert den Korb, bringt die Defense durcheinander und findet dann einen freien Mann. Das ist eine große Qualität und ein Unterschied zum vergangenen Jahr."

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Die Defense

Svetislav Pesic predigt aggressive Defense. Der Gegner soll möglichst schnell zum Ballverlust gezwungen werden, um selbst ins Laufen zu kommen und am Ende einfache Punkte in Transition zu erzielen. Abwartende Zonen-Defense passt da häufig nicht ins Konzept. Entsprechend gefordert sind Guards. Auch Neuzugang Micic, der beim Auftakt gegen den MBC allerdings noch ein wenig überhastet wirkte, sich weit abseits des eigenen Korbs zwei schnelle Fouls einhandelte.

Coach Pesic nahm seinen Point Guard daraufhin schnell vom Feld, was Micic allerdings keinesfalls verärgerte: "Das war keine allzu kluge Aktion von mir", gestand er nach dem Spiel. "Ich habe einige Fehler gemacht, aber ich weiß welche und kenne meine Schwächen, an denen werde ich gemeinsam mit dem Coach arbeiten."

Wann immer man mit Micic spricht, er signalisiert Lernbereitschaft. Eine Eigenschaft, die ihm zugutekommen dürfte. Schließlich ist die Art der Münchner Defense, das ständige unter Druck setzen des Gegners, etwas Neues. "Vasa kennt das aus seinem alten Verein vielleicht nicht, bei uns muss er sich da allerdings nach Coach Pesic richten", sagt auch Emir Mutapcic und zieht direkt eine Parallele zu Micic' Vorgänger. "Delaney spielte bei Budivelnik ebenfalls anders. Deshalb war es für ihn zu Beginn auch nicht einfach, sich in unsere druckvolle Defense zu integrieren. Aber er hat dazugelernt und es am Ende sehr gut gemacht. Bei Micic ist das genauso."

Der Serbe steht also vor einer Herausforderung - auch, wenn der schnelle Ballgewinn nicht gelingt und der Gegner ins Setplay geht. Denn am Block hängen bleiben und einfach den Big Man aufnehmen ist bei den Bayern nur selten eine Option. Wo es nur geht, nehmen Münchens Große beim Pick-and-Roll den gegnerischen Point Guard auf, bis der Mitspieler um den Block herumgekommen ist und sich wieder seinem Pendant widmen kann. Der Passweg auf den abrollenden Big Man des Gegner wird dabei bestmöglich zugestellt, um den freien Zug zum Korb zu verhindern. Kurz: Der FC Bayern switcht nicht. Fast nicht.

"Generell sind wir kein Mannschaft, die beim Pick-and-Roll viel switcht", erklärt Mutapcic die Philosophie des Meisters. "Das ist nicht unsere Idee. Genauso, wie wir eine Balance in der Offense anstreben, wollen wir sie auch in der Defense halten. Deshalb ist es wichtig, dass jeder einzelne seinen Mann kontrollieren kann. Der Switch passt da auch nicht dazu, da wir so häufig in Situationen kämen, in denen wir dem Gegner ein Mismatch anbieten. Das würde die Balance gefährden."

Grundsätzlich sei das Spiel aber schneller geworden, weshalb es mittlerweile verschiedene Ansätze gäbe. "Das Switchen beim Pick-and-Roll ist einer davon. Für uns allerdings nicht. Jeder soll seine Position halten."

Es ist eine Vorgabe, die es im Großteil der Fälle umzusetzen gilt. Stur daran festhalten, egal was kommt, wäre jedoch sicherlich der falsche Ansatz. So sehen es auch die Bayern. "Natürlich wollen wir unsere Idee durchbringen und bestmöglich ausführen" sagt Mutapcic. "Allerdings wissen wir auch, dass Basketball ein dynamischer Sport ist. Jeder Pass, jede Bewegung ohne Ball, schafft eine neue Situation. Da kommt man natürlich nicht umhin, zu rotieren und hin und wieder auch zu switchen. Grundsätzlich wollen wir aber die physische und positionelle Balance halten."

Dass die Münchner durch die Abgänge von Deon Thompson und Chevon Troutman auf den großen Positionen etwas an Athletik eingebüßt haben, schafft da auf den ersten Blick ein wenig Probleme. Schließlich gesteht sogar Dusko Savanovic selbst, nicht der größte Athlet zu sein. Speziell Thompsons Explosivität könnte in der einen oder anderen Situation abgehen. SPOX

Was der Meister an Athletik verloren hat, hat er andererseits jedoch an Größe gewonnen. Vladimir Stimac misst beispielsweise 2,10 Meter, Dusko Savanovic 2,04 Meter, Jan Jagla 2,13 Meter. Keine schlechten Voraussetzungen, um einen essentiellen Teil des Spiels nach eigenen Wünschen zu gestalten. "Wir besitzen nun alle Voraussetzungen, uns regelmäßig Rebounds zu sichern", so Mutapcic. "Das ist ebenfalls Teil unserer Identität. Wir wollen den Defensiv-Rebound kontrollieren."

Fazit: Die Bayern haben ihren Kern zusammengehalten, nur wenige neue Spieler verpflichtet. Dennoch unterscheidet sich das Spiel recht deutlich von jenem der vergangenen Saison. Der Plan scheint ganz klar zu sein, Teamplay und Ballmovement in den Fokus zu rücken - wenngleich beispielsweise ein Nihad Djedovic die Fähigkeit besitzt, ein Spiel zeitweise übernehmen können.

Die Veränderungen sind mitunter tiefgreifend, weshalb zu Saisonbeginn auch noch nicht alles perfekt funktionieren kann. Die Neuen wollen schließlich integriert werden und müssen sich an ihr neues Team, ihren neuen Coaching-Staff gewöhnen. Dennoch wirkt das Spiel des Meisters bereits jetzt ausbalancierter, variantenreicher als noch in der Vorsaison. Auch Emir Mutapcic meint: "Wir sind jetzt variabler!"

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