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Damals... - Erinnerungen@Spox


Gründer: lostfounder | Mitglieder: 48 | Beiträge: 1
20.01.2011 um 03:16 Uhr
Geschrieben von Tagon
Sozialisiert in den Neunzigern
Ich bin, wie einige von euch bereits wissen, Mitte der 80er geboren - in einer Zeit, als der NATO-Doppelbeschluss gerade durchgesetzt worden war und zwei Jahre nach dem konstruktiven Misstrauensvotum, das den bis heute in der öffentlichen Wahrnehmung besten Bundeskanzler, Helmut Schmidt, durch Helmut Kohl ersetzte. Nun kann man politisch dazu stehen, wie man will, und ich war damals noch zu jung, die Zusammenhänge zu begreifen - aber ich erfreue mich an der Illusion, dass diese Erfahrungen mein Bild der "bürgerlichen Parteien" schon im Mutterleib entscheidend prägten.

1984 war ein bemerkenswertes Jahr: Gefühlt wurden weltweit niemals wieder so viele männliche Babys Sebastian getauft, es war das Jahr, für das George Orwell den totalen Überwachungsstaat prophezeit hatte und nicht zuletzt wurde doch im Jahr meiner Geburt ausgerechnet der VfB Stuttgart Deutscher Fußballmeister. I-Tüpfelchen wäre nur noch gewesen, der 1.FC Kaiserslautern wäre Pokalsieger geworden, doch das blieb dem FC Bayern vorbehalten.

International holte sich der Liverpool FC die Krone des europäischen Vereinsfußballs, den Europapokal der Landesmeister, auch den UEFA-Cup holte sich mit den Tottenham Hotspur ein britisches Team. Der Europacup der Pokalsieger ging an Juventus Turin. Und weil Deutschland damals bedauerlicherweise noch ein geteiltes Land und die Aussicht auf Wiedervereinigung so fern war wie der KSC von einem erneuten Aufstieg in die Bundesliga, sollen auch die Titelträger aus dem sozialistischen Lager nicht unerwähnt bleiben: DDR-Meister wurde - wie könnte es anders sein - Erich Mielkes BFC Dynamo, den FGDB-Pokal holte sich Dynamo Dresden.

Das war mir als Neugeborenem vermutlich ziemlich egal, und meine Aktivitäten beschränkten sich auf: essen, in die Windeln machen, schlafen und schreien. Was Babys eben gemeinhin so machen. Meine Mama erzählt übrigens oft und gerne, dass ich gezeugt wurde, als mein Vater gerade einen Schlüsselbeinbruch, den er sich bei einem Hallenturnier zugezogen hatte, auskurierte. Stelle ich mir sehr lustig vor. Abgesehen davon war mein Weg damit wohl vorgezeichnet.

Meine erste - leicht verschwommene - Erfahrung mit "the beautiful game" war zur WM 1990, als mein Vater mich mit dem Hinweis auf das seltsame Maskottchen des Turniers dazu brachte, ein Spiel auch brav vor dem Fernseher zu verbringen, immer in Erwartung des Auftauchens ebenjenes strichmännchenähnlichen Gebildes, das ich selbstverständlich dann mit begeistertem Aufjauchzen goutierte. Dass wir diese Weltmeisterschaft gewannen, das habe ich nicht mitbekommen. Da war ich vermutlich bei Oma geparkt worden, die Fußball erst seit Ende der Neunziger verfolgt, als ich selbst begann, gegen den Ball zu treten.

Zwei Jahre später konnte ich immerhin mit den Begriffen "Deutschland" und "Fußball" etwas anfangen, und ich hatte sogar das schicke grüne Auswärtstrikot der Nationalelf, das ich stolz zur Grundschule trug. Aber das mit dem Traurigsein im Falle einer Niederlage, das hatte ich irgendwie noch nicht ganz verstanden, und so tröstete ich meine Tante nach dem verlorenen Finale gegen Dänemark mit den Worten: "Die anderen dürfen doch auch mal gewinnen." Tja, wenn das in diesen schlichten Worten zum Ausdruck gebrachte Selbstverständnis doch wenigstens ansatzweise mit den Leistungen der Nationalelf in Einklang gestanden hätte...

Die Neunziger waren ja gemeinhin eine Zeit, die man mit grauenhaften Klamotten (wobei ich die in den siebziger und achtziger Jahren noch viel schlimmer fand - rätselhaft, wie sich unsere Eltern mit solchen Klamotten und Frisuren überhaupt paaren wollten), schlechter Musik à la DJ Bobo und genereller Bewegungslosigkeit assoziiert. Irgendwo habe ich neulich gelesen, dass die Neunziger das Jahrzehnt der Ehrgeizlosigkeit waren. Bezogen auf den Fußball müssen die Historiker da allerdings irren - vermutlich hat Guido Knopp, gewissermaßen der Marcel Reif der Geschichtswissenschaft, das recherchiert, und wie bei Reif glaubt die tumbe Masse unreflektiert, was er so alles in Kameras und Mikrofone salbadert. Es stehen immerhin zwei UEFA-Cup-, ein Pokalsieger-Pokal- und ein Champions-League-Titel zu Buche, wenn ich richtig gezählt habe.

Neunziger - das ist irgendwo auch eine Hommage an meinen Lieblings-EffZeh-Fan, der über diese Anspielung sicher schmunzeln wird, und ganz gewiss eine an meinen Lieblings-Bayern-Fan PatschBella. Denn wenn ich mich recht entsinne, entstand in dieser meiner ersten Bundesliga-Saison 92/93 das schöne Lied "Forever Number One", gemünzt auf die totale Dominanz des FC Bayern vom ersten bis zum 32.Bundesligaspieltag. Ich besitze übrigens heute noch eine VHS-Kassette mit den Highlights dieser Saison, zusammengestellt vom unsäglichen "ran", kommentiert vom umso unsäglicheren Reinhold Beckmann.

Jedenfalls begann ich mich 1992 im zarten Alter von acht Jahren allmählich für die Bundesliga zu begeistern. Der KSC spielte damals übrigens noch keine Rolle. Ich wusste nur, dass der FC Bayern damals alles zusammengeschossen hat, was so seinen Weg in der Bundesliga kreuzte. Damals spielte Mehmet Scholl, noch immer einer meiner größten Helden, seine erste Saison für die Münchener, und die Bayern wurden trainiert von "Sir" Erich Ribbeck.

Als Neofan, der ich damals ganz ohne Deutschland-Bikini, Fanmeile, Bier und Public Viewing war, hielt ich naturgemäß zu den Verfolgern. Und der ärgste Verfolger war Werder Bremen unter Otto Rehhagel. Paradox, wenn man sich heute vor Augen führt, dass ich Werder nicht mehr ganz so gut finde, die Bayern an sich mag und Otto Rehhagel für die Reinkarnation des Teufels halte. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Es war außerdem die Saison, in der Peter Neururer als Trainer des 1.FC Saarbrücken bekannt wurde und mit Eric Wynalda ein US-Amerikaner für Furore sorgte.

Die Bayern jedenfalls - die Bayern tüteten im ersten Spiel der Saison Uerdingen mit einem 3:0-Auswärtssieg gnadenlos ein und ließen auch in den nächsten Spielen keinen Zweifel daran, dass nach der Seuchensaison des Vorjahres, als man nur Rang 10 belegte, der Titel nur über München führen konnte. Damals begann nicht nur meine Liebe zum Fußball zarte Triebe zu entfalten, sondern auch die vieler meiner Klassenkameraden. Und alle waren sich einig: Hauptsache, die Bayern schaffen's nicht. Umso größer die Freude, als der FC Hollywood trotz der Rückkehr von Lothar Matthäus an die Isar seinen großen Vorsprung einzubüßen begann - unter anderem mit einer 0:2-Auswärtsniederlage gegen Wattenscheid 09, bei der Ali Ibrahim ein astreines Seitfallziehertor gegen Raimund Aumann gelang. Das setzte beim Verfolger aus Bremen Kräfte frei, wie sie sonst nur Fernet Branca zu wecken vermag: Sie überholten die Münchener am 33.Spieltag mit einem 5:0 ausgerechnet beim damals unglaublich bedeutungslosen HSV und hielten diesen Vorsprung durch einen 0:3-Auswärtserfolg beim Vorjahresmeister VfB Stuttgart.

Teil II
Aufrufe: 1635 | Kommentare: 1 | Bewertungen: 5 | Erstellt:20.01.2011
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Tagon
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