Fußball verbindet Menschen. Selbst wenn sie sich gar nicht näher kennen, sondern sich rein zufällig begegnen. Letztens noch geschehen…

Ich war auf eine Party eingeladen und da ich abgesehen vom Gastgeber keinen der anderen Gäste kannte, beschloss ich vorerst die Rolle des Zuhörers anzunehmen. Was da nicht alles zur Sprache kam! Kochrezepte, Gartenpflege, Esoterik, Arbeit, Briefmarken – wirklich extrem spannende Themen. Also für die anderen Gäste, jedoch nicht für mich. Ich schwieg dazu und hoffte auf Erlösung. Gerne in Form des plötzlichen Todes von mir oder des aller anderen Gäste. Doch es passierte nichts. Rein gar nichts. Ich war wirklich enttäuscht.

„Frauen, Pornos, Heavy Metal, Autos und – natürlich – Fußball"

1 ½ Stunden später schwieg ich immer noch und nippte frustriert an meinem Getränk. Was tat ich noch hier? Ich wollte am liebsten einfach abhauen, mich aus dem Staub machen, heimlich, still und leise, genau wie Batman. Sie würden es sicher nicht mal bemerken. Meine Jacke hing nur wenige Meter von mir entfernt. Drei, vier Schritte, dann würde ich sie in den Händen halten und in die Nacht verschwinden. Doch mein waghalsiger Fluchtplan wurde durch die Freundin des Gastgebers jäh gestoppt. „Du stehst nicht so auf Kochrezepte und Esoterik, was?" fragte sie mich und lachte dabei. Ich nickte und sie gab mir den Ratschlag in die Küche zu gehen, da wäre ich sicher besser aufgehoben.

Küche, ich? Das klang irgendwie nicht richtig. Musste so ein Emanzen-Witz sein, aber ich tat ausnahmsweise wie mir geheißen war. Wider Erwarten war das nicht die schlechteste Idee des heutigen Abends, denn in der Küche saßen noch andere Männer und es war keine einzige Frau weit und breit zu sehen. Entsprechend waren auch die Themen dieser Runde: Frauen, Pornos, Heavy Metal, Autos und – natürlich - Fußball. Verdammt, hier fühlte ich mich wohl!

„…leidest du am Tourette-Syndrom?"

Ich gesellte mich schnell zu der Fußballfraktion und platzte in ein Gespräch über die denkwürdigsten Stadionbesuche. Jochen, Schalke-Fan und Dauerkartenbesitzer, war z.B. beim Saisonfinale 2000/2001 im Stadion und hatte nach Abpfiff des Spiels Schalke gegen Unterhaching schon den Meisterrasen in der Hand – bis Patrick Andersson in Hamburg zum 1:1 traf und der Rasen plötzlich vollkommen wertlos wurde. Dann waren da noch Christian und Marcel, eingefleischte BVB-Fans und anwesend beim Torfall von Madrid im Jahr 1998, sowie Jörg, der beim Skandalspiel zwischen Düsseldorf und Hertha BSC in der Kurve stand.

Alles eingefleischte Stadiongänger, im Gegensatz zu mir. Ich war genau dreimal im Stadion und nur einen Besuch konnte ich dabei als denkwürdig bezeichnen. Während ich grad darüber sinnierte, tippte mir plötzlich jemand auf die Schulter und sagte: „Hey, du, nicht träumen! Wir wollen deine Story hören!" Ich schaute mich um, blickte in die Gesichter der Vier, die gebannt auf meine Geschichte warteten und rief: „Strakosha, Shulku, Xhumba, Haxhi, Bushi!" Man starrte mich ungläubig an. Dann lachten die Vier plötzlich und Jochen fragte: „Ähmmm, sag mal, leidest du am Tourette-Syndrom?!"

„Deutschland: 5, Albanien: (gefühlt) 40.000"

Natürlich tat ich das nicht. Und so erzählte ich ihnen meine Story, einem Potpourri aus Angst, Wahnsinn und Erleuchtung.

Oktober 1997, Hannover, Niedersachsenstadion, Deutschland gegen Albanien, WM-Qualifikation. Das waren noch Zeiten, als man sternhagelvoll ins Stadion gehen konnte und trotzdem noch wusste in welchem Bundesland man sich gerade befindet. Ich und meine damalige Gruppe waren mit einem alten VW-Bus angereist und hatten schon einige Bierchen gekippt, ehe uns der Blick auf unsere Plätze schlagartig wieder nüchtern werden ließ. Wer der Verursacher war, kann heute nicht mehr zweifelsfrei geklärt werden – aber einer von unserer Truppe musste versehentlich Karten für den Gästeblock gekauft haben.

Da standen wir also. Deutschland: 5, Albanien: (gefühlt) 40.000. Anpfiff. Böse Blicke. Ich hätte mir beileibe nettere Dates vorstellen können (Kylie Ireland, I love you!), aber schon mein Bruder wusste: „Life´s a bitch and then you´ll marry one!" Wie Recht er doch hatte. Zu unser aller Beruhigung ging die erste Halbzeit torlos aus und wir versorgten unsere brachliegenden Nervenbahnen mit Alkohol und Zigaretten.

Ein Albaner hatte besonders ein Auge auf uns geworfen. Seine Statur war die eines Hünen, sein Kreuz das eines IKEA-Kleiderschrankes – und wäre das Spiel nicht abends gewesen, so hätte er wohl die Sonne verdunkelt. Immer wieder schaute er uns grimmig an und fletschte leicht die Zähne dabei, scheinbar roch er auch dass wir Angst hatten, genau wie ein Kampfhund, der seine Beute aufspürt. Wir hatten Angst. Richtige Angst!




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