Teil 2

In der zweiten Halbzeit durchschwommen wir daher ein Meer unseres eigenen Schweißes. Wir hatten grad wieder Platz genommen, da rollte auch schon ein albanischer Angriff in Richtung Oliver Kahns Tor. Irgendein Albaner flankte und ich sah Igli Tare im Strafraum herumirren, dachte mir noch „Oh nein, oh nein, nicht Igli Tare, bitte!" – und dann flog Jürgen Kohler heran!

Ehrlich, ich habe selten ein schöneres Kopfballtor gesehen. So viel Wucht, perfekt abgeschlossen – nur eben leider ins eigene Tor. Oliver Kahn konnte dem Ball nur noch nachschauen und blankes Entsetzen wurde in unseren Gesichtern sichtbar. Die Albaner freuten sich. Na ja, das war jetzt leicht untertrieben. Die sind natürlich komplett ausgerastet! Konnte ich auch verstehen, aber als wir deren Jubel sahen wurde uns nur noch mulmiger. Wenn die schon bei einem Tor für ihre Mannschaft so ausrasten, was würde uns dann blühen sollte Deutschland das Spiel doch noch drehen? Wir wurden immer kleiner auf unseren Sitzen und beschlossen das Spiel möglichst unblutig zu überstehen.

Kurze Zeit später markierte Thomas Helmer nach Flanke von Michael Tarnat den zwischenzeitlichen Ausgleich, was die albanischen Anhänger auch wieder etwas ruhiger werden ließ. Ich habe mich dann sogar getraut mit ´nem Kollegen über das Tor fachzusimpeln („Schönes Ding, was?!"), aber er nickte bloß kurz. Scheinbar hatte er doch noch Angst. Konnte ich auch wiederum verstehen, denn nicht mal zehn Minuten später setzte „Icke" Häßler zu einem Monstersolo an, flankte und Oliver Bierhoff verwertete per Kopf! Idealerweise behielten wir unseren Jubel für uns, schließlich wollte ja jeder wieder gesund aus dem Stadion gelangen. Die albanischen Fans warfen uns dennoch böse Blicke zu und wer weiß was sie sonst mit uns angestellt hätten, wenn nicht ein paar Augenblicke später wieder ein Tor gefallen wäre. Diesmal wieder für die Albaner, Ausgleich, Torschütze: Igli Tare! Ich fasste mir an den Kopf. Nur ein 2:2 gegen Albanien! Und gerade mal noch 10 Minuten zu spielen!

Wir waren uns sicher, jetzt würde nicht mehr viel passieren. Als wir gerade unsere Flaggen einrollen wollten und ich gedanklich schon im VW-Bus nach Hause saß, fiel plötzlich wieder ein Tor. Ich hatte es nicht mal gesehen, eigentlich hatte es keiner unserer Truppe gesehen – bis auf einen von uns. Schlagartig wurde mir auch klar für wen das Tor gefallen war, denn der Jubelschrei (%&§$!?!!) meines Kollegen war kaum zu überhören! Die Albaner vor uns drehten sich zu uns um, warfen uns verächtliche Blicke zu und machten die Halsabschneider-Geste. Es wurde ungemütlich…

„Was sollte auch noch großartig passieren?"

Die albanische Mannschaft hatte sich schließlich auch nach dem 2:3 leider noch nicht aufgegeben und beschäftige die deutsche Abwehr weiterhin, was dann folgerichtig im 3:3 gipfelte. Die albanischen Fans sind abermals komplett ausgerastet, schrien uns an, verhöhnten uns und lachten hämisch. Auch der Mega-Albaner. Ich hatte jedenfalls genug gesehen und auch der Rest der Truppe schien die Faxen dicke zu haben. Was sollte auch noch großartig passieren? Wir beteten nur noch aus der Nummer heil und gesund wieder nach Hause zu kommen und rollten jetzt endgültig unsere Fahnen ein. Dann trat das ein, was man wohl als Worst-Case-Szenario beschreiben würde. Michael Tarnat war noch mal am Ball, schaute kurz , flankte – und Oliver Bierhoff stieg zum Kopfball hoch! Er drückte den Ball zum 4:3 an Torwart Strakosha vorbei und die deutschen Spieler lagen sich in den Armen.

Vor meinem inneren Auge sah ich noch mal mein Leben an mir vorbeiziehen. Ich blickte in die Gesichter meiner Gruppe, der Schock stand allen ins Gesicht geschrieben. Sollte das Tor unser Todesurteil sein? Das Spiel war abgepfiffen worden. Und der hünenhafte Albaner stapfte auf uns zu, zusammen mit zwei anderen, die ebenfalls nicht wirklich freundlich aussahen. Einer der Unseren nahm die Beine in die Hand und lief davon. „Wir sollten auch besser verduften, die machen doch Schaschlik aus uns!" kreischte mein Kollege, aber unsere Beine waren wie gelähmt. Die albanische Kombo platzierte sich vor uns und das Todesurteil in Person machte seinen Mund auf. „Respekt für euch Armleuchter! Wir hatten schon Wetten abgeschlossen wie lange ihr es in unserem Block aushalten würdet. Ihr seid ja doch nicht solche Milchgesichter. Wollt ihr noch was mit uns essen gehen?" erklärte er uns im feinsten Hochdeutsch und grinste dabei. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sympathische Einstellung! Und überraschend friedlich noch dazu.

Wir machten uns zusammen auf den Weg zu einem albanischen Restaurant, schwatzten noch ein bisschen, tranken das eine oder andere Bier und fuhren anschließend nach Hause. Ich schämte mich. Vorurteile haben nirgends wo etwas verloren. Denn merke: Nur weil jemand böse aussieht, muss er nicht zwingend auch böse sein.

PS: Von Strakosha, Shulku, Xhumba, Haxhi und Bushi hörte ich später nie wieder was, aber sie alle standen bei diesem Spiel in der Startformation.



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