21.10.2010 um 18:40 Uhr
Geschrieben von shrek
Löws Nationalmannschaft - Teil 2
2.2. Die besondere Stellung Schweinsteigers
Auch deutlich wird in diesen Sequenzen die Wichtigkeit Schweinsteigers für das deutsche Spiel. Schweinsteiger dient als erste Anspielstation für die Abwehr, die den Ball – sofern nötig, d.h. bei Führung oder in aussichtslosen Situationen – entweder behauptet, oder aber – und das wesentlich häufiger – einen sofortigen Gegenangriff forciert. Neben Özil ist er also einer der Schlüsselspieler.
In den statistischen Dokumenten, die die FIFA auf ihrer Seite zur Verfügung stellt, wird Schweinsteigers Stellung als Schaltstation und defensiverer Part der Doppel-6 deutlich. In nahezu sämtlichen Halbzeiten des Turniers nahm Schweinsteiger den defensiveren Part ein, lediglich das Argentinien-Spiel bot eine Ausnahme, was u. a. an der schwächeren rechten Seite der Argentinier und des Hangs nach links von Messi gelegen haben dürfte, der Bundestrainer dürfte diese Gegebenheiten vor dem Spiel erkannt haben, sodass Khedira und Schweinsteiger ihre Position entsprechend verändern mussten. Hinzu kommt, dass Schweinsteiger in den meisten Fällen wesentlich mehr Pässe von den Defensivspielern erhielt als Khedira, was seine Stellung als Schaltstation erst ermöglichte und weiterhin festigte.
2.2 Tatsächliche Positionen im deutschen Spiel
Nehmen wir uns mal das Spiel gegen England zur Hand und schauen uns die Statistiken der FIFA an.
Das England-Spiel, die nahezu perfekte Umsetzung der Löw-Philosophie
Wir erkennen die auffallend offensive Ausrichtung von Mesut Özil, dessen Stellung als zweiter Stürmer so möglich wurde. Die Wege vom offensiven Mittelfeldspieler zur zweiten Spitze waren für Özil unheimlich kurz und schnell zu gehen, was das defensive englische Mittelfeld um Lampard und Barry vor Probleme stellte, da Özil ständig seine Gegenspieler änderte, indem er sich viel bewegte und zwischen den Linien agierte.
Auch interessant ist, dass Khedira und Schweinsteiger sich auf engem Raum bewegten und sehr offensiv ausgerichtet waren. Dies liegt daran, dass die Position hinter den Spitzen Defoe und Rooney in Englands 4-4-2 unbesetzt blieb und sich somit unheimlich viel Raum für die beiden Sechser bot. Interessant ist auch, dass Müller und Lahm wesentlich eingerückter agierten als ihre Pendants Boateng und Podolski, die sich schon eher an der Außenlinie orientierten. Zu erklären ist dies damit, dass Gerrard weder Winger noch Linksfuß ist und sich daher auch eher in die Mitte orientierte, während Milner an der Außenlinie klebte.
Manch einer mag sich zudem noch an den taktischen Clou Löws, Khedira bei Gelegenheit in die Spitze stoßen zu lassen, erinnern. Zu erkennen sind diese Laufwege an den feinen grünen Streifchen, die bei Khedira bis in den Sechzehner langen. Die Wirkung dieser Methode: Platz für Lahm und Müller im Zentrum, zudem Entlastung für Klose und Özil, da die gegnerische Defensive für einen Moment einen weiteren Gegenspieler zu verteidigen hatte.
Folgende Grafik zeigt einmal mehr die offensive Ausrichtung als falsche Zehn von Mesut Özil:
2.3 Grafische Verdeutlichungen der Ausrichtungen
2.3.1 Grundformation
Mertesacker und Badstuber agieren auf einer Linie, Boateng ist wesentlich defensiver ausgerichtet als sein Pendant Lahm, was an ihren individuellen Fähigkeiten liegt. Die LV-Position ist leider noch rar gesät in Deutschland, Schmelzer und ggf. Contento könnten hier in naher Zukunft interessant sein, wobei der Münchener mit einem Wechsel zum italienischen Verband liebäugelt. Zu Schweinsteiger und Khedira wurde oben – denke ich – alle gesagt. Müller agiert ein wenig offensiver als Podolski, da er u. a. den besseren, offensiveren und kombinationsfreudigeren Offensivmann hat. Durch die Linkslastigkeit Özils drängt er zudem etwas mehr in die Mitte, um hier den Anschluss behalten und den direkten Weg zum Tor forcieren zu können. Kloses Bewegungsradius ist in der Nationalmannschaft enorm, sein Wert bei der Arbeit gegen den Ball ist nicht zu unterschätzen. Er erfüllt seinen Job als nominell einzige Spitze optimal. Podolski, Özil, Müller und Klose stellen Siegenthaler "4 Stürmer" dar. Eine elementare Fähigkeit Löws ist es, seine Mannschaft dem Gegner anpassen zu können, sodass er die einzelnen Positionen anders justiert. Dies ermöglicht Erfolg auf verschiedenen Qualitätsstufen.
2.3.2 Defensivausrichtung
Wir sehen zunächst drei stabile Linien, die eine Verstaffelung und eine kompakte Defensive gewährleisten sollen. Özil, Klose, Podolski und Müller nehmen jedoch eine besondere Stellung im Defensivspiel ein, sie sind die Akteure, die das Pressing ausüben sollen, um an Ballgewinne zu gelangen, die dann wiederum Gegenangriffe ermöglichen.
2.3.3 Offensivausrichtung
Vorne sind die 4 nominellen Offensiv-Akteure deutlich zu erkennen. Badstuber orientiert sich meist – wie beim FC Bayern – an den linken Spielfeldrand, um hier als Anspielstation für Schweinsteiger und Boateng fungieren zu können. Lahm rückt bedeutend auf und geht nicht selten den vertikalen Weg bis zur Grundlinie. Klose ist in der Offensive hauptsächlich Strafraumstürmer, weicht aber bei einer aussichtsreichen Situation auch mal auf den Flügel aus. Özil stößt in die Spitze, spielt Doppelpässe und ist für die "Stichpässe" verantwortlich. Lahm sorgt im Übrigen noch für Flanken, die größtenteils Klose als Ziel haben.
Auch deutlich wird in diesen Sequenzen die Wichtigkeit Schweinsteigers für das deutsche Spiel. Schweinsteiger dient als erste Anspielstation für die Abwehr, die den Ball – sofern nötig, d.h. bei Führung oder in aussichtslosen Situationen – entweder behauptet, oder aber – und das wesentlich häufiger – einen sofortigen Gegenangriff forciert. Neben Özil ist er also einer der Schlüsselspieler.
In den statistischen Dokumenten, die die FIFA auf ihrer Seite zur Verfügung stellt, wird Schweinsteigers Stellung als Schaltstation und defensiverer Part der Doppel-6 deutlich. In nahezu sämtlichen Halbzeiten des Turniers nahm Schweinsteiger den defensiveren Part ein, lediglich das Argentinien-Spiel bot eine Ausnahme, was u. a. an der schwächeren rechten Seite der Argentinier und des Hangs nach links von Messi gelegen haben dürfte, der Bundestrainer dürfte diese Gegebenheiten vor dem Spiel erkannt haben, sodass Khedira und Schweinsteiger ihre Position entsprechend verändern mussten. Hinzu kommt, dass Schweinsteiger in den meisten Fällen wesentlich mehr Pässe von den Defensivspielern erhielt als Khedira, was seine Stellung als Schaltstation erst ermöglichte und weiterhin festigte.
2.2 Tatsächliche Positionen im deutschen Spiel
Nehmen wir uns mal das Spiel gegen England zur Hand und schauen uns die Statistiken der FIFA an.
Das England-Spiel, die nahezu perfekte Umsetzung der Löw-Philosophie
Wir erkennen die auffallend offensive Ausrichtung von Mesut Özil, dessen Stellung als zweiter Stürmer so möglich wurde. Die Wege vom offensiven Mittelfeldspieler zur zweiten Spitze waren für Özil unheimlich kurz und schnell zu gehen, was das defensive englische Mittelfeld um Lampard und Barry vor Probleme stellte, da Özil ständig seine Gegenspieler änderte, indem er sich viel bewegte und zwischen den Linien agierte.
Auch interessant ist, dass Khedira und Schweinsteiger sich auf engem Raum bewegten und sehr offensiv ausgerichtet waren. Dies liegt daran, dass die Position hinter den Spitzen Defoe und Rooney in Englands 4-4-2 unbesetzt blieb und sich somit unheimlich viel Raum für die beiden Sechser bot. Interessant ist auch, dass Müller und Lahm wesentlich eingerückter agierten als ihre Pendants Boateng und Podolski, die sich schon eher an der Außenlinie orientierten. Zu erklären ist dies damit, dass Gerrard weder Winger noch Linksfuß ist und sich daher auch eher in die Mitte orientierte, während Milner an der Außenlinie klebte.
Manch einer mag sich zudem noch an den taktischen Clou Löws, Khedira bei Gelegenheit in die Spitze stoßen zu lassen, erinnern. Zu erkennen sind diese Laufwege an den feinen grünen Streifchen, die bei Khedira bis in den Sechzehner langen. Die Wirkung dieser Methode: Platz für Lahm und Müller im Zentrum, zudem Entlastung für Klose und Özil, da die gegnerische Defensive für einen Moment einen weiteren Gegenspieler zu verteidigen hatte.
Folgende Grafik zeigt einmal mehr die offensive Ausrichtung als falsche Zehn von Mesut Özil:
2.3 Grafische Verdeutlichungen der Ausrichtungen
2.3.1 Grundformation
Mertesacker und Badstuber agieren auf einer Linie, Boateng ist wesentlich defensiver ausgerichtet als sein Pendant Lahm, was an ihren individuellen Fähigkeiten liegt. Die LV-Position ist leider noch rar gesät in Deutschland, Schmelzer und ggf. Contento könnten hier in naher Zukunft interessant sein, wobei der Münchener mit einem Wechsel zum italienischen Verband liebäugelt. Zu Schweinsteiger und Khedira wurde oben – denke ich – alle gesagt. Müller agiert ein wenig offensiver als Podolski, da er u. a. den besseren, offensiveren und kombinationsfreudigeren Offensivmann hat. Durch die Linkslastigkeit Özils drängt er zudem etwas mehr in die Mitte, um hier den Anschluss behalten und den direkten Weg zum Tor forcieren zu können. Kloses Bewegungsradius ist in der Nationalmannschaft enorm, sein Wert bei der Arbeit gegen den Ball ist nicht zu unterschätzen. Er erfüllt seinen Job als nominell einzige Spitze optimal. Podolski, Özil, Müller und Klose stellen Siegenthaler "4 Stürmer" dar. Eine elementare Fähigkeit Löws ist es, seine Mannschaft dem Gegner anpassen zu können, sodass er die einzelnen Positionen anders justiert. Dies ermöglicht Erfolg auf verschiedenen Qualitätsstufen.
2.3.2 Defensivausrichtung
Wir sehen zunächst drei stabile Linien, die eine Verstaffelung und eine kompakte Defensive gewährleisten sollen. Özil, Klose, Podolski und Müller nehmen jedoch eine besondere Stellung im Defensivspiel ein, sie sind die Akteure, die das Pressing ausüben sollen, um an Ballgewinne zu gelangen, die dann wiederum Gegenangriffe ermöglichen.
2.3.3 Offensivausrichtung
Vorne sind die 4 nominellen Offensiv-Akteure deutlich zu erkennen. Badstuber orientiert sich meist – wie beim FC Bayern – an den linken Spielfeldrand, um hier als Anspielstation für Schweinsteiger und Boateng fungieren zu können. Lahm rückt bedeutend auf und geht nicht selten den vertikalen Weg bis zur Grundlinie. Klose ist in der Offensive hauptsächlich Strafraumstürmer, weicht aber bei einer aussichtsreichen Situation auch mal auf den Flügel aus. Özil stößt in die Spitze, spielt Doppelpässe und ist für die "Stichpässe" verantwortlich. Lahm sorgt im Übrigen noch für Flanken, die größtenteils Klose als Ziel haben.
Aufrufe: 6163 | Kommentare: 20 | Bewertungen: 26 | Erstellt:21.10.2010
ø 9.5
KOMMENTARE
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22.10.2010 | 13:40 Uhr
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ELGAUCHO :
Diese Spielphilosophie verkörpern inzwischen auch alle DFB-U-Teams,was ich sehr erfreulich finde.
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22.10.2010 | 13:30 Uhr
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P.S.: Bei den Linksverteidigern der Zukunft kann man sicher noch Schmitz,Castro und Rausch erwähnen;).
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22.10.2010 | 13:19 Uhr
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Taktiker :
@Dr_DFreut mich zu hören, dass Du inzwischen auch mehr Interesse an Taktik hast.
@mrpink
Ja das 4-1-4-1 gegen die Türkei habe ich auch gesehen. Ich weiß nicht ob er sein Spielsystem noch wieter modifizieren will, aber eine Besetzung des Mittelfelds mit Schweinsteiger vor der Abwehr, links Poldi/Jansen, halblinks Özil, halbrechts Khedira/Kroos/Rolfes (!) und rechts Müller erscheint mir sehr reizvoll. Ein Wechselspiel zwischen der vorderen Viererkette wäre auf quasi jeder Position möglich, weil jeder alles spielen könnte, zudem sollte der Halbrechte auch DM spielen können, sodass man wenn nötig umstellen könnte.
Eine sehr offensive, variable und kreative Besetzung wie ich finde, und durchaus erfolgsversprechend.
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22.10.2010 | 13:09 Uhr
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edit: 10 pkt
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22.10.2010 | 12:24 Uhr
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mrpink27 :
Die Geschichte mit der falschen 10 (ist jetzt alles falsch?) hat ja verschiedene Gründe.10er und 9er spielen oft auf einer Linie (zumindest in der statistik) weil der 9er sich fallen lässt und der 10er in den frei gewordenen raum stößt. (spielmacher auf der 6 oder 8; nummer beziehen sich nur auf positionen, nicht auf begriffe wie spielmacher o.ä.)
defensiv wird auch oft ein 4-4-2 gespielt.
gegen die türkei hat DE dagegen eine mischung aus 4-1-2-3 und 4-1-4-1 gespielt.
Kroos und özil als anspielstationen für Khedira, Klose versuchte Räume zu schaffen in dem er sich fallen lies. Dazu ging özil oft nach außen und Müller rückte ein.
Der entscheidende punkt ist, das die 4 offensiven ihre positionen wechseln können und daher keine klare trennung zwischen spielmacher, flügelspieler und stürmer exisitert. das gesammtkonstrukt "offensive" muss funktionieren. daher ist es auch kein problem einen stürmer auf außen aufzustellen oder einen stürmer, der selbst wenig trifft. wichtiger ist die bewegung der 4 spieler und ob alles zusammen passt. interessanterweise ist Podolski in seiner rolle sehr beschränkt auf die linke seite.
@ScoobaHH
Ob Punkt 1 und Punkt 2 bei dir nicht stark von einander abhängen.
Es gibt Spiele da kann man taktik fast vergessen. einfach weil die spieler zu ungenau spielen um irgendetwas umzusetzten oder weil die taktik so primitiv ist (hoch und weit), dass man sie besser nicht als taktik bezeichnet.
aber es gibt auch etliche spiele in denen man klare konzepte erkennen kann und die sind der beweis, dass taktik nicht überbewertet ist (zumindest nicht von Trainern). wie dann am Sonntag um 11 uhr oder in irgendeiner tatkikanalyse darüber gesprochen wird ist wieder eine andere sache.
oft wird gesagt: taktik hin oder her, viele spiele entscheiden sich durch kleinigkeiten (elfmeter, pfosten etc.). ABER: ohne taktik wären die spiele schon frühzeitig gegen das team ohne gute strategie entschieden worden!
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22.10.2010 | 12:21 Uhr
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Dr_D :
Guter Blog. Sehr gut. Bisher habe ich recht wenige diese Art Blogs gelesen, aber seit ich neulich mal alle lesen "mußte" hab ich auch Spaß an Taktik. Du erklärst die Löwsche Taktik sehr gut. mach bitte mehr von dieser Art Blog.
@Scooba und Taktiker
Köln keine Taktik? Doch haben sie. Tore verhindern. Hinten in Tateinheit mit keine Tore schiessen vorne. Ansonsten Eigentore, zu letzt verbal in der Presse. offtopic aus
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22.10.2010 | 11:55 Uhr
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Taktiker :
@shrekSuper Blog, wirklich sehr detaillierte und gewissenhafte Aufarbeitung des deutschen Spiels. Du hast eigentlich sämtliche Facetten gut erklärt, und auch sehr sinnvoll Grafiken und Links benutzt. Die fehlende Aufmerksamkeit sollte Dich nicht abschrecken, schade, aber manchmal gehen solche hochwertigen Blogs in der Menge unter.
Ich denke, deine Analyse ist die perfekte Antwort auf diesen Beitrag von Taktikguru:
http://www.taktikguru.net/?p=301
Löw verfolgt eine klare Spielphilosophie, aber dennoch schafft er es, die Schwächen des Gegners zu erkennen und auszunutzen, besonders auffällig gegen England und Argentinien.
Also mich interessieren solche Blogs natürlich brennend, und mit der Zeit wird auch die Resonanz kommen, nur würde ich vielleicht den Abstand zwischen den Blogs etwas vergrößern, weil Spox nciht jeden Tag Taktik-Blogs anteasert.
BTW: Du bist jetzt sogar auf der Startseite verlinkt, also wird die Aufmerksamkeit hoffentlich bald kommen.
@scoobahh
Deinen ersten Punkt hört man so oder so ähnlich von fast allen Köln-Fans, schon komisch, aber das hat bestimmt nichts mit Eurer aktuellen Situation zutun.
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21.10.2010 | 21:07 Uhr
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shrek : Kommentare
Über Kommentare würde ich mich freuen, nachdem meine bisherigen Blogs bis auf eine Ausnahme relativ unbeachtet blieben. Möchte nämlich wissen, ob das Ganze hier auf Resonanz stößt oder eigentlich niemanden interessiert.
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