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Taktikecke


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12.12.2011 um 11:19 Uhr
Geschrieben von vanGaalsNase
Das ballozentrische Weltbild
Nach dem 1:3-Erfolg gegen Real Madrid waren die Diskussionen und Analysen wieder voll des Lobes über Barcelonas taktische Fähigkeiten. Dabei ging es vor allem um die Fluidität der Positionswechsel, sodass aus einer Dreier- eine Viererabwehrkette wurde und umgekehrt. Allerdings zeigte Barca, dass man bei ihnen gar nicht mehr in diesen Kategorien denkt.

Ballorientierte Verteidigung
Eine ballorientiert verteidigende Abwehrkette verschiebt sich in Richtung Ball und staffelt sich in Tiefe und Breite, um somit die Gegenspieler im Raum durch Antizipation zu decken, sich gegenseitig nach hinten abzusichern, so den ballnahen Raum zu verengen, wodurch der gegnerische Ballführer unter Druck gesetzt werden kann. Dabei werden nach hinten und zur Seite Abwehrlinien gebildet, die die sogenannte defensive Diagonale entstehen lassen.

Wenn der Gegner auf Außen in Ballbesitz ist, bildet die Viererkette eine Halbmond- oder Hakenformation, wobei drei Linien erzeugt werden.


Die Verteidigungslinien 1-3 bilden die defensive Diagonale, wobei der attackierende AV Linie 1 ist. Wird Linie 1 vom gegnerischen Ballbesitzer überspielt, attackiert nun Linie 2, unter Umständen auch zusammen mit Linie 3. Linie 3 ist außerdem die Abseitslinie. Der ballferne RAV bildet hingegen keine eigenständige Abwehrlinie und ist somit auch kein Bestandteil der defensiven Diagonale. Er agiert, abhängig von der jeweiligen Situation, zwischen Linie 2 und 3. Seine Aufgabe liegt nicht im diagonalen Absichern des attackierenden AV, sondern in der waagerechten Verteidigung der Spielfeldbreite.

Etwaige Gegenspieler werden von den Verteidigern antizipierend im Raum gedeckt.


Gegenspieler I kann kaum angespielt werden, da LAV den Passweg zustellt. Außerdem hätte I sehr wenig Raum zum Agieren, weil er schnell von LAV und LIV attackiert werden kann, sollte er den Ball erhalten. Würde ein Anspiel auf II erfolgen, besteht wiederum Zugriff durch LIV, weil dieser II durch kurzes Antizipieren deckt. Gegenspieler III wird vom RIV durch Orientierung hin zum Antizipieren gedeckt. Gegenspieler IV und V werden von RAV durch längeres Antizipieren gedeckt. Beide können nur mit einem langen Ball oder durch Zwischenstationen angespielt werden. Dabei erhält die Abwehr genug Zeit, um neu zu verschieben.

Wenn der Gegner im Zentrum in Ballbesitz ist, lässt die Viererkette ein Abwehrdreieck entstehen, indem der ballnahe IV den Ballführer attackiert.


Der attackierende IV stellt Linie 1 dar. Die direkten Nebenleute des ballnahen IV bilden die Linie 2 (Abseitlinie). Der ballferne LAV ist zwar Teil der Linie 2, er soll aber auch hier, ebenso wie beim Halbmond die Breite des Feldes abdecken und ist dementsprechend kein direkter Bestandteil der defensiven Diagonale.

Durch das Decken im Raum durch Antizipation in einer defensiven Diagonale wird der ballnahe Raum verengt, wobei stets mehrere Linien entstehen, die es den Verteidigern ermöglichen, diverse Aufgaben gleichzeitig wahr zu nehmen: Decken der Gegner im Raum und Absicherung des ballnahen Verteidigers führen zur Verengung des ballnahen Raumes und ermöglichen ein Attackieren des Ballführers. Regelmäßig verteidigen Mannschaften in einem 4-4-1-1 mit zwei hintereinander gestaffelten Viererketten in einem Abwehrblock.

Dreierketten funktionieren ähnlich, nur dass dabei ein Spieler in der Abwehrkette fehlt, welcher aber aus dem Mittelfeld nachrücken soll.

Bildung von Passlinien
Bei eigenem Ballbesitz sollen ebenfalls Linien gebildet werden, um so verschiedene Passmöglichkeiten mit unterschiedlichen Richtungen für den Ballbesitzer zu erzeugen.

Das ballorientierte Spiel Barcelonas
Somit lässt sich festhalten, dass bei gegnerischem Ballbesitz Abwehrlinien und bei eigenem Ballbesitz Passlinien gebildet werden, wobei die dadurch angestrebte Staffelung möglichst diagonal sein soll. Diese Bildung von Linien erlaubt, dass bei Ballgewinn aus den Abwehrlinien sofort Passlinien werden können, während bei Ballverlust aus den Passlinien Abwehrlinien werden, wodurch sofort ins Gegenpressing gegangen werden kann. Es ist dabei stets entscheidend, dass sich alle Spieler derselben Mannschaft zunächst nach dem Ort des Balles richten und orientieren. Danach muss die Position der eigenen Mitspieler berücksichtigt werden. Erst jetzt werden auch die gegnerischen Spieler in die Überlegungen mit einbezogen. Auf diese Weise sind der Ball und die eigenen Mitspieler die wichtigsten Bezugs- oder Referenzpunkte.

Diese Punkte sind entscheidend, damit die Spieler in jeder Spielsituation bewerten können, wie sie sich zu verhalten haben, ohne dass sie ihre Mannschaft in Unordnung stürzen. Auf diese Weise wird ein Katalog für taktisches Verhalten aufgestellt, wobei der Ball die wichtigste Komponente ist. Keine andere Mannschaft der Welt hat Spieler in den eigenen Reihen, die diese Referenzpunkte derart intelligent bewerten können wie der FC Barcelona.

Barca richtet sich nicht danach aus, ob es im 4-3-3 spielt oder im 3-4-3. Barcelona lässt je nach Situation und Ort des Balles entweder eine Formation mit Dreier- oder mit Viererkette entstehen. Denn fast jeder Spieler kann wegen seiner technischen Vielseitigkeit, beinahe jede Position übernehmen, sodass auch vielfältige Linien erzeugt werden können. Dani Alves, der regelmäßig als RAV agiert, kann ebenso als Außenstürmer spielen. Mascherano und Busquets können ebenso auf der „Sechs" spielen wie in der IV. Messi ist ein Allrounder im Angriffspiel, wie Iniesta und Fabregas, die allesamt im Zentrum und auf Außen spielen können. Somit ist es den Katalanen erlaubt, Positionen zu erzeugen, zu besetzen oder freizulassen, je nach dem, wo der Ball ist.

Bei gegnerischem Ballbesitz presst Barca regelmäßig tief in des Gegners Hälft sehr aggressiv gegen den Ball, ohne jemals einen Abwehrblock zu bilden. Während bei den meisten anderen Teams dabei große Lücken zwischen den Spielern entstehen würden, erzeugen die Katalanen mindestens sechs zu einander diagonale Verteidigungslinien, wodurch in Breite und Tiefe so viel Raum (antizipatorisch) abgedeckt wird, dass stets Spieler in Ballnähe gelangen.

Barca betreibt also permanent eine ballorientierte Linienbildung, bei der es egal ist, ob man im 4-3-3 spielt oder im 3-4-3. Systeme und Formationen sind für Barcelona unbedeutend. Während andere Mannschaften größten Wert auf Zahlenkombinationen wie 4-2-3-1 oder 4-1-4-1 legen, lässt sich bei Barca gar nicht sagen, wie die Aufstellung aussieht. Entscheidend ist nur, wo der Ball ist.
Aufrufe: 14321 | Kommentare: 18 | Bewertungen: 17 | Erstellt:12.12.2011
ø 9.4
KOMMENTARE
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Scarlett
21.12.2011 | 19:07 Uhr
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Scarlett : 
21.12.2011 | 19:07 Uhr
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Scarlett : 
KLASSE blog. wirklich 1a. trifft es echt genau auf den punkt.

wo man sowas lernt? ich denke, ohne Dir natuerlich nahetreten zu wollen, mit viel sach- und fussballverstaendnis, und gaaaanz viel beobachten, kriegt man sowas schnell heraus. dennoch, ist diesem blog natuerlich nichts nachzustehen :)

und, ich stimme v.a. bei einer sache zu (auch wenn ich busquets durch seine schauspieleinlagen nicht mag); er ist der wohl beste taktisch ausgebildete DM im moment.
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YNWA1860
21.12.2011 | 15:09 Uhr
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YNWA1860 : 
21.12.2011 | 15:09 Uhr
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YNWA1860 : 
Sehr flüssig zu lesen und wahnsinnig lehrreich.
So hab ich während der vorlesung doch noch was gelernt :D

Ich freu mich jetzt schon richtig drauf, das nächste spiel von Barca zu sehn.

mich würde aber auch mal interessieren wo man sowas lernt!?
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kikiriki
21.12.2011 | 14:08 Uhr
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kikiriki : ne glatte 9,9....
21.12.2011 | 14:08 Uhr
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kikiriki : ne glatte 9,9....
erstmal ein riesen lob für den blog! TOP und SUPER ARBEIT!

Einen Einwand hätte ich nur:
Ich denke viele Mannschaften habe die Qualität, solche Systeme(oder eben KEINE Systeme, jedenfalls keine strickte 4-2-3-1 oder ähnliches) zu spielen. Es dauert bloß super lange diese zu verinnerlichen. Und am besten fängt die Intergration der spielweise schon in der Jugend an und setzt sich im Seniorenbereich fort, EBEN wie bei Barca!

Ich persönlich bin Basketballer, habe auch in der Bundesliga hgespielt, liebe aber wie ein braver Kroate eben aber auch Fussball!

Das Taktische verständniss aus dem Basketball(dort ist es noch ein wenig krasser und komplitzierter, weil 10 man auf dem spielfeld agieren, der so groß ist wie der fussball-16er) hilft mir sehr beim "verstehen" vom fussball....

Daumen hoch, daß sich der fussball in dieser Taktisch-wichtige-Richtung entwickelt...
Ehrlich gesagt, fehlte mir das über die Jahre! Doch (spätestens) nach der WM 2006 habe ich das Gefühl, daß die bereitschaft im Fussball, neues zu versuchen und vor allem auch umsetzten, deutlich steigt! Mag auch an der neuen Generation der Trainer liegen!

in diesem Sinne!
Peace
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vanGaalsNase
19.12.2011 | 11:21 Uhr
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19.12.2011 | 11:21 Uhr
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Zunächst einmal an alle: Vielen Dank für die Lobhuldigungen.

@Anti: Hast 'ne Nachricht
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riquelminho
MODERATOR
18.12.2011 | 23:18 Uhr
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18.12.2011 | 23:18 Uhr
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schön, verständlich und fachlich versiert. klasse. 10P.

Gegen den Ball ist Barca sicher auch eine Welt für sich. Muss zugeben, diese Mannschaft wird mir langsam etwas unheimlich. Man fängt an ernsthaft zu überlegen, in welche Dimension dieses Barca, von dem wir hier Tag für Tag Zeuge sind, sich mittlerweile katapultiert hat.

Es hagelt Maßstäbe.

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Antimadrista92
18.12.2011 | 23:01 Uhr
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18.12.2011 | 23:01 Uhr
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ich weiß, ich ich wiederhole mich, aber es ist einfach so, richtig stark, wiedermal 10P von mir.

mich würde mal interessieren, ob du dir dein ganzes wissen über taktik selbst angeeignet hast, oder irgendwo gelernt hast.

gerade bei barca sieht man sehr gut was du beschrieben hast. gerade bei barca gibt es keine feste formation mehr. unter pep wurde alles viel flüssiger, da gehen formationen in einem spiel fließend ineinander über. das hat man auch wieder sehr gut gegen real gesehen.
der ball ist in barcelonas spiel das wichtigste, deshalb versuchen sie auch ihn so schnell wie möglich wieder zurückzuerobern.

pep sagte mal, dass barca ohne den ball eine furchtbare mannschaft sei, deshalb wolle man ihn so schnell wie möglich wieder haben.^^

auf der seite spielverlagerung.de gibt es dazu auch noch was zu finden, lohnt sich das auch mal durchzulesen.

dieses pressing was barca spielt kostet viel kraft, aber barcas vorteil ist, dass sie immer zwischen 60-70% ballbesitz haben und die spiele meistens nicht so kräfteraubend sind wie gegen real am letzten samstag. die barca spieler laufen zwar viel, aber sie sprinten nicht, sondern traben meistens, was relativ kraftsparend ist.
der gegner wiederum muss in einem höhreren tempo laufen um die räume dicht zu machen, was nicht gerade kräftesparend ist.

dadurch haben die barca-spieler immer noch genug luft um bei ballverlusten sofort agressiv zu pressen. haben sie den ball wieder, können sie sich bis zum nächsten ballverlust wieder "erholen".

was pep aus dieser mannschaft gemacht hat ist schon beeindruckend, vor allem weil er eben auch die defensive auf ein völlig neues level gebracht hat und nicht nur die offensive, über die aber am meisten geredet wird, gerade in der öffentlichkeit und in den medien.

sehr wichtig in der defensivarbeit ist vor allem busquets, der taktisch einer der besten spieler der welt ist und auch einer der, wenn nicht sogar der beste dm der welt, für barca ist er es ohne zweifel.
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mamö99
12.12.2011 | 16:55 Uhr
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mamö99 : 
12.12.2011 | 16:55 Uhr
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mamö99 : 
Schönes Teil!
Also die Flexibilität ist natürlich von großem Vorteil... mit Messi als "falscher 9", der sich immer wieder fallen lässt, um ins Passspiel in der Offensive integriert zu werden; und Dani Alves, mit dem man gut und gern auch von einer variablen Viererkette in ein 5er Mittelfeld und 3er Kette wechseln kann
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possessionplay
12.12.2011 | 12:21 Uhr
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12.12.2011 | 12:21 Uhr
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Ui, sehr gut, Grundlagenwissen, dafür ein Lob, wie auch für den anderen Blog.

Gibt natürlich 10 Punkte dafür und hoffentlich noch einiges an Aufmerksamkeit, wenn ich auch bei Barca etwas widersprechen muss, denn ganz so übertrieben ist es nicht, überraschenderweise ist es normalerweise sogar in der Offensive eher fest, in der Defensive nicht, mit manchmal sogar nur einer Zweierkette.

Es bleibt festzuhalten: Linien sind das wichtigste, das essentielle Element. Der Gaal hat es schon richtig erkannt.
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