Immer wieder kommt der moderne Fußball an einen Punkt, wenn sowohl Zuschauer als auch Experten sicher sind, dass das Endstadium der taktischen Möglichkeiten ausgereizt und nicht mehr erweiterbar ist. So zum Beispiel vor der WM 2010, als beinahe jedes Teams im 4-2-3-1 System agierte und man fest entschlossen war, dass allein diese Grundformation eine perfekte Balance zwischen Defensive und Offensive sicherstelle. Im Jahr 2014 sieht die Geschichte schon wieder sehr anders aus. Die Dreierkette ist in vielen Ländern wieder aufgeblüht und ein Großteil der Topteams agiert nur noch mit einem Spieler auf der Position des defensiven Mittelfeldakteurs. Doch warum bleibt der Fußball nicht irgendwann stehen und befindet sich selbst als abgeschlossen und perfektioniert? Dieser Frage soll sich der folgende Artikel annähern und ich werde versuchen die entscheidenden Ansätze herauszuarbeiten
Als Erklärungsmuster sehe ich hierbei zwei zentrale Aspekte, die Innovation auslösen können.
Der Visionär
Bei diesem Auslöser agiert der entsprechende Trainer, oder auch andere sportliche Verantwortliche des Vereins, als Visionär. Oftmals gesprägt durch den Einfluss verschiedener Fußballkulturen werden Denkmuster bewusst aufgebrochen, um die eigene Spielweise stets weiterzuentwickeln. Antrieb ist dabei der Wunsch den modernen Fußball nachhaltig zu prägen bzw. Die beinahe obsessive Leidenschaft für diesen Sport, die schon etwas philosophisches in sich trägt.
Aktuellstes Beispiel für solch einen Visionär ist sicherlich Pep Guardiola bei Bayern München. Aber auch weniger erfolgreiche Trainer wie Marcelo Bielsa lassen sich dieser Charakterisierung zuordnen. Dieser Typ ist jedoch sehr selten und stellt kaum den Regelfall dar.
Der Pragmatiker
"Das ist aus einem Gefühl entstanden der Unterlegenheit."
Von wem könnte dieser Satz im Kontext der taktischen Innovation wohl stammen?
Die Antwort lautet: Thomas Tuchel.
In einem sehenswerten Vortrag des Bundesliga-Trainers, in dem er die eigene Rolle und die von Mainz 05 als Rulebreaker im deutschen Fußball erläutert, nutzt er diese Formulierung um den Antrieb zu erklären, in einer Partie oftmals die jeweiligen Systeme zu wechseln. Bis zu diesem Zeitpunkt eher eine Reaktion von Trainern auf Rückstände oder Dezimierungen durch Platzverweise, wird diese taktische Innovation ganz bewusst auch bei Führungen eingesetzt, um auf bestimmte Schwächen im eigenen Spiel zu reagieren.
Es bleibt jedoch bei dem Satz, dass man dies aus Unterlegenheit mache. Man könnte jetzt zu dem Schluss kommen, dass man doch einfach die individuelle Qualität erhöhen müsste, damit man nicht weiter unterlegen ist. Die Mainzer gehen jedoch einen anderen Weg, auch da die wirtschaftlichen Mittel einen Zukauf solcher individueller Qualität kaum zulassen. Statt viel Geld in Spieler zu investieren wird viel mehr darauf geachtet, dass die jeweiligen Akteure sowohl charakterlich als auch taktisch so aufgestellt sind, dass sie den hohen Anforderungen der taktischen Variabilität gerecht werden. Tuchel versucht somit durch grupenntaktische Aspekte die häufige Überlegenheit der Gegner zu kompensieren und somit wird Unterlegenheit nicht mit der Floskel "kämpfen und Gras fressen" beantwortet, sondern mit "dynamischer und klüger sein". Mittlerweile ist Mainz 05 ein erfolgreiches Bundesligateam und Thomas Tuchel ein Kandidat für höhere Posten.
Doch diese Entwicklung lässt sich auch auf ein deutlich erfolgreicheres Team übertragen, nämlich Borussia Dortmund. Auch Jürgen Klopp dürfte bei seinem Amtsantritt bemerkt haben, dass er zwar gute und talentierte Spieler in seinen Reihen hat, diese jedoch kaum ein Level erreichen werden, dass sie in einem Schlagabtausch der individuellen Klasse gegen Topteams bestehen werden. Somit wurde auch hier ein ganzheitlicher Ansatz entwickelt, der die Loslösung der Abhängigkeit vom Einzelnen vorsieht und stattdessen ebenfalls die gruppentaktischen Aspekte (Gegenpressing, schnelles Umschaltspiel) in den Mittelpunkt stellt. Hinzu kamen gezielte Verpflichtungen entsprechender Spieler, die eben jene Vorgaben umsetzen können. Dieser Weg hat bekanntlich zu einigen Titeln sowie einem Champions League Finale geführt. Durch genannte Erfolge wurden auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten vervielfacht und Transfer in höheren Preiskategorien sind durchaus möglich, jedoch immer unter dem Gesamtfokus, dass der Spieler ins charakterliche und taktische Gebilde passen muss. Dieser Weg scheint auch noch nicht beendet und dürfte eine recht nachhaltige Wirkung auf die Region und den modernen Fußball haben.
Durchsucht man somit die Ligen Europas (oder auch anderer Kontinente), so trifft man immer wieder auf Menschen und Vereine, die sich aus der "Not" heraus Lösungsansätze überlegen müssen, um fehlende individuelle Qualität zu kompensieren. Meist ist dies dann der Motor für taktische Innovationen und lässt sich sowohl bei Swansea City oder auch Rayo Vallecano finden. Mit diesem kurzen Gedankenansatz möchte ich euch gerne aus dem Artikel entlassen und freue mich über Kommentare, die noch weitere Aspekte betrachten oder einen anderen Ansatz verfolgen.
In diesem Sinne...
Danke fürs Lesen!
PS: Hier das angesprochene Video zum Vortrag von Tuchel
Die Beispiele Rayo und Swansea finde ich dahingehend wenig gelungen. Swanseas Spielweise ist ein extrem mutiger Ansatz. Sie wollen ähnlich spielen wie Barca und machen das im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch sehr gut. Das haben sie aber schon getan, bevor sie in die PL aufstiegen. Dass sie trotz des Aufstiegs nicht von diesem Stil abgewichen sind, zeigt doch, dass das eben nicht aus der Not heraus geboren wurde.
Wenn man jedoch nur Anpassungen im eigenen System vornimmt, ist das keine Innovation, sondern ein ständiges Weiterentwickeln. Oder wenn die Dreierkette zurückkehrt, empfinde ich es ebenfalls nicht als Innovation, sondern als Trend. Die Italiener haben mit ihrer Dreierkette bei der EM 2012 gegen Spanien (erfolgreich) versucht, die falsche 9 zu neutralisieren. Zudem haben Formationen mit Dreierkette nur einfach besetzte Außenbahnen, wodurch das Zentrum stärker besetzt ist. Diese Fokussierung auf das Zentrum ist bspw. ein Trend bzw. eine Reaktion der letzten Jahre auf Guardiolas Barca. Mit ihrem Mittelfelddreieck dominierten sie den Weltfußball & waren das Vorbild für ein europaweit stärker werdendes Aufbauspiel (das würde ich schon eher als Innovation titulieren, auch wenn es nur eine Wiederbelebung und Weiterentwicklung des totalen Fußball war/ist). Die Reaktion darauf war eine Wiederkehr von Manndeckungselementen. Obwohl noch immer ballorientiert verschoben wird, bleibt das Zentrum eng besetzt. Dies ist also wiederum eine Reaktion auf das verbesserte Angriffsspiel. So wechseln sich die Trends laufend ab, verschwinden & kommen in neuem Gewand wieder. Aber Innovationen sind das meines Erachtens nicht.