NBA

Keine Angst vor unpopulären Entscheidungen

Von Philipp Dornhegge
Rick Carlisle ist seit 2008 Head Coach von Dirk Nowitzki und den Dallas Mavericks
© Getty

Dallas' Sieg in Spiel vier war nicht nur ein Sieg des Willens. Er war nicht nur ein Sieg des fiebrigen Dirk Nowitzki. Er hat auch Gründe rein taktischer Natur. Rick Carlisles Kniffe könnten die Saison der Mavs gerettet haben - und Miami fortan vor Probleme stellen.

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Es war kurz nach dem Ende des vierten Finalspiels gegen die Miami Heat, als DeShawn Stevenson völlig entspannt in der Kabine saß und meinte: "Genau das haben wir gebraucht." Dass ein Spieler seinen eigenen Wechsel von der Starting Five auf die ungeliebte Bank als positiv hervorhebt, ist schon höchst ungewöhnlich.

Dass dieser Kommentar von Stevenson kommt, einem Spieler mit enorm viel Stolz, der sich selbst gerne mit den Besten der Besten vergleicht, ist geradezu erstaunlich. Aber so sind sie, die Mavs. "Wir tun alles, um unsere Chancen zu gewinnen zu verbessern", erläutert Stevenson. "Wir sind ein Team und müssen als solches auftreten. Und wir haben unser Lineup schon oft gewechselt." Allerdings nicht in den Playoffs, wo der Shooting Guard bislang alle Spiele von Beginn an gemacht hatte.

Carlisle straft Kritiker Lügen

Dass es anschließend keinen Stress gab, lag zu einem Großteil sicher daran, dass Dallas Spiel vier gewann. Und dass Dallas gerade wegen dieser Entscheidung des Trainers gewann. Rick Carlisle wird von vielen Fans und Experten häufig eine fragwürdige Rotation vorgeworfen.

Auch diesmal war man geneigt, sich über ihn aufzuregen, als bekannt wurde, dass J.J. Barea und Jason Kidd, das nachweislich ineffektivste Backcourt-Duo der Mavs, starten würden. Aber Carlisle hatte seine Gründe, und er strafte alle Kritiker Lügen.

Barea sollte der Mavs-Offense einen Kickstart geben, nachdem Dallas in den vergangenen Spielen oft schon früh einem Rückstand hinterhergelaufen war. Das gelang, auch wenn der kleine Puertoricaner selbst nicht die besten Werte aufwies.

Stevenson war Gold wert

"Mir ist auch klar, dass Bareas Statistiken schlecht aussehen", so Carlisle über die sechs Fehlwürfe bei neun Versuchen und ein Plus-Minus-Rating von -7. "Aber trotzdem würde ich sagen, dass genau das passiert ist, was wir uns erhofft hatten." Am Ende des ersten Viertels stand es 21:21, die Mavs waren voll im Spiel. Im Hinblick auf Shawn Marion war der Bankspieler Stevenson wiederum Gold wert.

Carlisle konnte die Nummer 92 so überwiegend als Small Forward einsetzen und dem 33-jährigen Marion wichtige Pausen geben. "Wir müssen aufpassen, dass Shawn weniger spielt. 43 Minuten wie zuletzt sind einfach zu viel. Da ist er irgendwann nicht mehr in der Lage, offensiv zu helfen und gleichzeitig Angriff für Angriff LeBron James zu verteidigen." Diesmal stand The Matrix nur 26 Minuten auf dem Platz - genauso lange wie sein Backup.

"Ich hatte vorher keine Ahnung, dass ich so viel spielen würde", gestand Stevenson, der diese Marke seit dem 4. Februar nur einmal erreicht hatte. Beschweren wollte er sich natürlich nicht: "In der Schlussphase konnte ich als zusätzlicher Distanzschütze das Spiel breit machen und Dirk den nötigen Raum für sein Eins-gegen-Eins-Spiel geben." In der Tat ist es nur schwer vorstellbar, dass Nowitzkis vorentscheidender Korbleger gegen Udonis Haslem möglich gewesen wäre, wenn neben Tyson Chandler auch noch Marion den Raum in Korbnähe belagert hätte.

Umstellung von Mann- auf Zonenverteidigung

Neben dieser personellen Entscheidung schraubte Carlisle auch in taktischer Hinsicht an zwei Stellen: Zum einen wurde immer mehr offenkundig, dass das Pick'n'Roll mit Nowitzki als Block stellender Spieler nicht funktionierte. Ein dritter Verteidiger, zum Beispiel der der wurfschwachen Marion oder Chandler, war jedes Mal gleich mit von der Partie und verhinderte den Pass auf den freistehenden Deutschen beziehungsweise die Penetration des Guards.

Die Räume mussten geöffnet werden, und so ließ Carlisle ab der zweiten Hälfte Nowitzki in der Ecke stehen und zwang dessen Verteidiger so, an ihm dran zu bleiben - sodass Barea und Chandler, der jetzt Nowitzkis Part übernahm, eine echte Zwei-gegen-Zwei-Situation vorfanden. Barea hatte fortan viel mehr Raum, um den Weg zum Korb zu suchen oder auf den abrollenden Big Man abzulegen. So kam Dallas zu zahlreichen Freiwürfen, Dunks und Korblegern.

Noch wichtiger als alle taktischen Kniffe im Angriff war aber ohne Zweifel die Umstellung von Mann- auf Zonenverteidigung. Die brachte der Western Conference Champion im Grunde zum ersten Mal in dieser Serie über einen längeren Zeitraum zum Einsatz - mit nicht vorherzusagendem Erfolg. Die Mavs stellten die Heat im Schlussviertel vollkommen kalt, ließen so gut wie nichts mehr zu und kassierten lediglich 14 Punkte. Hat man Dallas je besser verteidigen gesehen? Wohl nicht.

Miamis Ratlosigkeit

"Wir haben das Tempo des Spiels so verändern können", erklärte Jason Terry. "Das hat gut geklappt." 5 Field Goals bei 6 Turnovern im Schlussviertel sind Zeugnis der Ratlosigkeit, mit der Miami der Zone gegenüberstand. Besonders James, den seine Unfähigkeit, regelmäßig in die Zone vorzudringen, zunehmend zu frustrieren schien, tauchte in der Crunchtime völlig ab, vom zuvor starken Chris Bosh war auch nicht mehr viel zu sehen. Und ganz alleine kann es auch ein überragender Dwyane Wade nicht richten.

In einer Serie, in der nun schon das dritte Spiel in Folge mit drei oder weniger Punkten entschieden wurde, sind es oftmals ganz kleine Dinge, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Kleine taktische Finessen, die dem Gelegenheits-Fan vielleicht gar nicht so auffallen.

Rick Carlisle hat in Spiel vier bewiesen, dass er in der Lage ist, Mittel und Wege zu finden, um ein paar zusätzliche Prozentpunkte aus seiner Mannschaft herauszuholen. Und dass er vor allem bereit ist, dafür auf den ersten Blick unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Jetzt liegt der Ball wieder in Erik Spoelstras Hälfte. Kann der Heat-Coach die Maßnahmen seines Gegenüber kontern und dem vermeintlichen Favoriten in Spiel fünf (Fr., 2.45 Uhr im LIVE-TICKER) wieder einen Vorteil verschaffen?

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