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Das Ende einer Reise

Von Max Marbeiter
Tom Thibodeau (l.) übernahm die Chicago Bulls vor der Saison 2010/11
© getty
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Jedenfalls in der Regular Season. Denn ein Blick auf die Playoffs zeichnet ein anderes Bild. Dort liegt Thibodeaus Bilanz bei 23 Siegen und 28 Niederlagen. Dort gewannen er und seine Bulls in fünf Jahren lediglich vier Serien.

Wie so häufig genügt der Blick auf die nackten Zahlen jedoch auch diesmal nicht. Der Kontext ist entscheidend. Denn selbstverständlich stand Rose seinen Bulls auch in den Playoffs eher unregelmäßig zur Verfügung. Genauer gesagt: in zwei der fünf Postseasons unter Thibodeau. In diesem Jahr kam der Playmaker nach langer Pause zwar rechtzeitig zu den Playoffs zurück, ein Problem blieb jedoch bestehen. Das Team hatte nie wirklich Zeit sich zu finden - und trat entsprechend auf.

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Nun führte es sicherlich zu weit, Thibodeau allein für die Verletztenmisere der vergangenen Jahre verantwortlich zu machen. Die Blutgrätsche wird der Coach schließlich nicht ausgepackt haben. Sein Minutenmanagement legt jedoch mindestens die Vermutung nahe, dass Thibodeau tendenziell wenig davon hält, seine Besten zu schonen. Von ausgedehnten Ruhepausen will und wollte Thibs nie etwas wissen.

Die gute alte Zeit

Darauf angesprochen bemühte er immer wieder den Blick in die Vergangenheit, schließlich sei auch Tim Duncan während seiner ersten Jahre in der Liga exzessiv auf dem Court gestanden. Früher sei all das normal gewesen. Richtig: früher. Mittlerweile achtet ein Großteil der Coaches jedoch penibel darauf, seinen Besten - so es denn möglich ist - hin und wieder Pausen zu gönnen. Verzichtet ein Kollege darauf, ergibt sich ein Nachteil, der so früher nicht bestand.

Auch deshalb soll General Manager Gar Forman im April 2014 der Kragen geplatzt sein, als Thibodeau seine Starter in einem belanglosen Spiel gegen die Charlotte Bobcats bis weit in die in die Overtime hinein auf dem Court ließ, um die Partie irgendwie noch für sich zu entscheiden. Dieses Spiel steht am Ende sinnbildlich für vieles, was Thibodeau ist und alles, was dem Front Office an ihrem Coach missfiel.

Thibs will gewinnen. Immer. Egal, ob in den Playoffs oder im 67. Spiel der Regular Season. Hineinreden möchte er sich nicht lassen. Von niemandem. Das Management dagegen nimmt für sich in Anspruch, das große Ganze im Blick zu behalten und erließ vor Saisonbeginn deshalb ein Minutenlimit für die von Knieverletzungen genesenen Rose und Noah. Thibodeau nahm es murrend hin, die Spannungen aber blieben, wurde noch intensiver.

"Dann säßen wir nicht hier..."

Zur Trennung hätten sie allerdings nicht zwingend führen müssen, wäre den Bulls der ganz große Erfolg geglückt. "Wahrscheinlich säßen wir nicht hier, hätten wir die Meisterschaft gewonnen", sagte Vice President of Basketball Operations John Paxson während der Pressekonferenz zu Thibodeaus Entlassaung. "Das ist die Wahrheit. Wir haben es aber nicht geschafft."

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Die Reibereien, die Sturheit des Coaches, das fragwürdige Minutenmanagement - all das wäre vergessen gewesen, hätten die Bulls doch nur die erste Meisterschaft seit Michael Jordan an den Lake Michigan geholt. Es gelang nicht. Mal wieder scheiterte Chicago an LeBron James, der die Bulls bereits 2011 und 2013 - damals noch in Miami - nach Hause geschickt hatte. Allerdings bildet das Eastern-Conference-Halbfinale gegen Cleveland auch einen Mikrokosmos all dessen, was es an Coach Thibodeau zu kritisieren gibt.

Grausame Offense

Einerseits wäre da die Offense, die mitunter schlicht grausam anzusehen war. Viel zu häufig verließen sich die Bulls auf Isolation-Plays von Derrick Rose oder Jimmy Butler. Sowohl mit als auch abseits des Balls mangelte es größtenteils an Bewegung, vorne regierte Statik. Dabei böte ein Team mit Rose, Butler, Noah und Pau Gasol genügend Optionen, eine zumindest halbwegs flüssige Offense laufen zu lassen.

Irgendwie versteifte sich Thibodeau aber zu sehr darauf, Noah als zweiten Playmaker am Highpost zu verwenden. Da der Center während der gesamten Playoffs beim Abschluss nie einen Rhythmus fand, konnten die Gegner dort jedoch absinken, die Zone dicht machen und den Herren Rose und Gasol das Leben so erschweren. Thibs hielt dennoch daran fest, schließlich hatte es auch vergangene Saison funktioniert.

Noch so ein Problem. Zu häufig versteifte sich der Coach auf alte Mustern, zu selten vertraute er neuen Ideen oder Spielern. So stand Kirk Hinrich gegen die Cavs beispielsweise länger auf dem Feld als Tony Snell oder Nikola Mirotic. Zwar hatte gerade letzterer in den Playoffs deutliche Probleme, andererseits ist Captain Kirk mittlerweile über seinem Zenit und deshalb nur noch selten die gewohnte Unterstützung von der Bank. Zumal gerade Snell regelmäßig bewies, dass er ein durchaus wertvoller Rotationsspieler sein kann.

Kein Händchen für die Rotation

Alles in allem gelang es Thibodeau nie, eine Rotation zu entwickeln, die einerseits die Stärken seiner tiefen Bank zu nutzen wusste und andererseits den Startern wichtige Pause verschafft hätte. Dabei hätten die Bulls gerade gegen dezimierte Cavs ihre Vorteile in Sachen Tiefe ausspielen können. Sie taten es nicht. Sie wirkten am Ende sogar ausgelaugter als Cleveland, das im Grunde mit einer 7er-Rotation spielte.

Am Ende waren die Chancen, die Nemesis LeBron James endlich einmal hinter sich zu lassen, wohl so groß wie selten. Dass es den Bulls dennoch nicht gelang, dürfte nicht unwesentlich zur Entlassung Thibodeaus beigetragen haben.

Doch was jetzt? Jetzt müssen sich die Bulls nach einem neuen Coach umsehen. Und ein Favorit scheint bereits gefunden zu sein. Bereits seit Monaten geistert der Name Fred Hoiberg durch die Straßen Chicagos. Ein ehemaliger Bull, der mittlerweile Iowa State coacht und nahezu als Gegenentwurf zu Thibodeau zu verstehen ist.

Wo der ehemalige Coach sein Hauptaugenmerk auf die Defense legt, steht sein Nachfolgekandidat für Offense. Dazu gilt Hoiberg als Players' Coach, als einer, der mit seinen Spielern pfleglich umgeht, ihnen Pausen gönnt und sie nicht während der Saison durch diverse, harte Trainingseinheiten schleift.

Thibodeau sei "teilweise schon ein harter Hund", gestand Joakim Noah vergangene Saison im SPOX-Interview. "Er fordert immer 100 Prozent. Da gerät man natürlich teilweise aneinander, aber ich weiß, dass es ihm immer darum geht, uns eine Siegchance zu geben, und dass ihm viel an uns liegt."

Mehr Respekt

Nun schwingt in Noahs Aussage unüberhörbar großer Respekt mit, gleichzeitig offenbart sie jedoch ein Dilemma. Bei einigen Spielern soll sich Thibodeaus harte Gangart in dieser Saison abgenutzt haben - und tatsächlich wirkten die Bulls gegen die Cavs nicht mehr wie jenes Team, das alles für den Sieg tun würde, das immer härter arbeitet als der Gegner. In Spiel 6 ergab sich Chicago sogar in sein Schicksal.

Vielleicht ist Thibs' Arbeit einfach getan. Er hat die Bulls wieder nach oben geführt, der letzte, der entscheidende Sprung gelang jedoch nicht. Vielleicht muss nun tatsächlich ein anderer übernehmen, um das Werk fortzuführen - ähnlich wie es Steve Kerr bei den Warriors als Nachfolger von Mark Jackson tat. Vielleicht benötigen die Bulls einfach neue Impulse. Ganz sicher hätte Tom Thibodeau am Ende jedoch freundlichere Worte verdient als jene, die Jerry Reinsdorf in seinem Abschiedsstatement wählte.

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