NBA

Ein ganz normaler Sommer

Von Ole Frerks
LeBron James hat schon alles gewonnen, ist aber immer noch hungrig
© getty

"The Chosen One" steht vor seiner elften Profisaison. Was motiviert ihn nach zwei Titeln hintereinander überhaupt noch? Einiges, wenn man ihm und Magic Johnson Glauben schenken darf. Ein Rückblick auf den königlichen Sommer und ein Versuch, die Bedeutung der kommenden Saison für die Karriere des LeBron James einzuordnen.

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"Auf diesem Planeten gibt es keinen besseren Spieler, und das gibt dir das Selbstvertrauen zu sagen, 'Ich bin größer und stärker als du, und du kannst nur darauf hoffen, dass ich einen schlechten Tag erwischt habe.'" Das ist die derzeitige Gemütslage von LeBron James, analysiert vom zweifachen NBA-Champion Isiah Thomas.

Zwei Titel sowie zwei Finals-MVPs hintereinander, vier der letzten fünf MVP-Auszeichnungen sowie der Status als nahezu unbestritten bester Spieler der Welt auf seiner Seite. In einer kürzlich geführten Umfrage sagten fast 90% der General Manager der NBA aus, dass James ihre erste Wahl wäre, um eine Franchise zu starten.

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In der Offseason hätte sich James auf seinen Lorbeeren ausruhen und seinen Erfolg genießen können. Sein statistisches Resümee würde ihn schon jetzt ohne Wenn und Aber in die Hall of Fame katapultieren.

Magic: Sein größter Fan?

Seinen Kritikern, wenngleich sie wohl niemals ganz verstummen werden, gehen langsam aber sicher die Argumente aus. James ist als Person umstritten, die Fragen zu seinen basketballerischen Fähigkeiten hat er indes in den letzten Jahren weitestgehend beantwortet.

James ist aber nicht so gestrickt, dass er sich damit zurücklehnen würde; der "King" will der beste Spieler aller Zeiten werden. Magic Johnson, der jahrelang ohne zu zögern Michael Jordan als den Größten gepriesen hatte, stellte ihm dies unmittelbar nach dem Repeat höchstpersönlich in Aussicht.

"Du bist der einzige, dem ich zutraue, der Beste zu werden, der dieses Spiel jemals gespielt hat", sagte die Lakers-Legende damals zu James. Daher hat der Forward auch in diesem Sommer wieder an seinem Spiel gearbeitet, obwohl er - ganz im Stile einer "globalen Ikone" - auch abseits des Parketts viel zu tun hatte.

Hochzeit, China, Nobeluhr

Da waren ein Trip zu den "ESPY Awards" in Los Angeles im Juli sowie eine lange geheim gehaltene Hochzeit im September. Der König ehelichte seine langjährige Freundin Savannah Brinson im "kleinen" Kreis - wenn man das überhaupt so nennen kann. Schließlich sorgten Jay-Z und Beyonce für die musikalische Untermalung und auch sonst mangelte es nicht an Prominenz.

Da waren Trips nach China oder auf die Philippinen, um Urlaub zu machen beziehungsweise seine Marke in noch mehr Ländern zu promoten. Diverse Marketing-Events, wie etwa die Präsentationen des Videospiels NBA 2K14, bei dem er das Cover ziert, oder seiner eigenen Uhr von der Nobelmarke Audemars Piguet (Stückpreis: 51.500 Dollar), halten ihn ohnehin das ganze Jahr über beschäftigt.

Zwischendurch fand James noch Zeit, ein Basketball-Camp für High-School-Kids in Las Vegas zu leiten. Skurrilerweise verbrachte er zudem einen Tag bei Gericht. Jedoch nicht als Angeklagter - James war Mitglied der Jury. Kurz gesagt: ein ganz normaler Sommer eben.

NFL oder Strongman-WM?

Auch mit seinen Aussagen in Interviews machte er wie üblich regelmäßig Schlagzeilen. So sagte er beispielsweise, dass er vor seinem Karriereende "auf jeden Fall ein NFL-Spiel" machen wolle und ließ damit die amerikanischen Sport-Experten frohlocken. Auf der High School brillierte er schließlich in diesem Spiel, die athletischen Voraussetzungen hat er sowieso - wieso also nicht?

Den Neu-Nets Paul Pierce und Kevin Garnett legte er in einem Interview nahe, sich bei Ray Allen zu entschuldigen. Den hatten sie nämlich gewissermaßen des Verrats bezichtigt, als er ein Jahr zuvor die Celtics verließ, um sich Miami anzuschließen. Die Retourkutsche durch KG kam postwendend: "Sagt LeBron, er soll sich um Miami kümmern!"

Das tat er dann auch. Die neuen Kräfte im Osten waren sicherlich auch ein Grund dafür, dass er erneut viel Arbeit investierte. "Ich will in dieser Saison ein neuer, besserer LeBron James sein. Wir werden sehen, was im Herbst passiert, aber ich werde ein besserer Spieler sein", kündigte er vor kurzem an. Für den Threepeat müsse "jeder Spieler der Heat besser werden."

Bei Instagram veröffentlichte er dann einige Videos von seinen Workouts. LeBron beim Hakenwurf-Training? Gab es. Videos von Freiwurftraining, Post Moves und Dreiern? Check. LeBron, der wie bei den Strongman-Weltmeisterschaften ein Geländefahrzeug durch die Gegend zieht? Aber sicher doch.

Auf der Spur von MJ, Russell und Kareem

Man kann davon ausgehen, dass er seinem Köcher wieder einige Pfeile hinzugefügt hat. In den letzten Jahren kam er immer ein bisschen besser zurück, wenn eine neue Saison begann. Diese Motivation hat er weiterhin, weil er mit demselben Tempo weitermachen will wie zuletzt. "Er ist von sich aus motiviert. Er ist ein spezieller Typ", sagt sein Coach Erik Spoelstra über ihn.

"Mittlerweile ist das schon ein Stück weit Erbsenzählerei, die ich mache", sagte James kürzlich. "Das will ich aber auch. Ich will unzufrieden mit meinem Spiel sein. Nur so kann ich überall das Maximum erreichen." Sein Teamkollege Shane Battier sagt, dass die Verbesserungen, die James noch machen kann, vor allem auf der mentalen Ebene befindlich sind.

In der kommenden Saison steht für ihn wieder einiges auf dem Spiel. Wenn er seinen bisherigen Output von etwas mehr als 2000 Punkten pro Saison beibehält, dürfte er punktetechnisch in die Top 25 der ewigen Bestenliste vorstoßen.

Mit einem weiteren MVP-Titel (den ihm rund 70% der GMs zutrauen) könnte er mit Michael Jordan und Bill Russell gleichziehen. Dann wäre nur noch Kareem Abdul-Jabbar mit sechs Auszeichnungen vor ihm. Ein Threepeat würde auch das Team der Heat historisch weiter klettern lassen.

Was geschieht 2014?

Wird James dabei zum dritten Mal hintereinander Finals MVP, schafft er etwas, das bisher nur Jordan und Shaquille O'Neal gelang (auch wenn erwähnt werden muss, dass es die Auszeichnung zu Russells Zeiten noch nicht gab). Mit gerade einmal 28 Jahren klopft er also schon vehement an den Türen gleich mehrerer Klubs, in die nur die absolut besten Spieler der Liga-Geschichte eingelassen werden.

Bei allem Fokus auf die kommende Saison hängt die Frage nach der beruflichen Zukunft von James wie ein Damoklesschwert über dem South Beach. Nach der Saison kann er bekanntlich aus seinem Vertrag aussteigen und nicht wenige Teams werden dann genug Cap Space haben, um ihn wegzulotsen - gerade die Lakers und Cavaliers scheinen sich große Hoffnungen zu machen.

James selbst hielt sich dazu im Sommer abermals bedeckt. "Ihr müsst diese Fragen ja stellen", schob er die wissbegierigen Journalisten von sich. "Aber ich werde mich nicht dazu äußern. Sobald wir diesen Zeitpunkt erreicht haben, werde ich mich dazu äußern. Aber im Moment finde ich es unpassend."

Unpassend wohl vor allem deshalb, weil sich James seine Optionen offen halten will. Dwyane Wade ist nicht mehr regelmäßig der Spieler, wegen dem James damals seine Talente nach South Beach bringen wollte. Auch Chris Boshs Vertrag läuft aus - was passiert, wenn er mit seiner Rolle als "dritte Geige" unzufrieden ist und woanders den Franchise Player spielen will?

Gestählt durch den Hass

James hat 2010 mit seinem Wechsel bewiesen, dass er nicht den Alleinunterhalter geben will. Wenn die Situation sich in Miami drastisch verschlechtert, ist ein Wechsel bestimmt nicht auszuschließen - sicher ist nur, dass keine zweite "Decision" ansteht.

Er hat es in Interviews meist nur angedeutet, aber die Kritik, der Hass und die Häme, die seit dem berüchtigten "ESPN"-Special und der albernen "Big Three"-Präsentation inklusive "Not one, not two..." auf ihn eingeprasselt sind und einprasseln, haben den selbsternannten "Auserwählten" verletzt und vor allem härter gemacht.

Seit er das Heat-Trikot trägt, steht er unter nahezu unvorstellbarem Druck. Das ist zwar in hohem Maße seine eigene Schuld, trotzdem hat "ESPN"-Experte Bill Simmons Recht, wenn er sagt: "Was wir von ihm erwarten, ist unrealistisch."

In der Tat ist es kaum zu verstehen, dass ein so erfolgreicher Athlet auf der Höhe seines Schaffens so kontrovers diskutiert und von einigen Leuten allen Ernstes immer noch als "Choker" bezeichnet wird.

Auf den Geschmack gekommen

James hat sich mittlerweile damit abgefunden, dass jeder Fehlwurf, jeder Turnover von ihm genauer analysiert wird als beispielsweise von Spielern wie Derrick Rose oder Kevin Durant. Er schreibt mittlerweile ohnehin nur noch an seiner eigenen Geschichte und wenn er so weitermacht, wird irgendwann auch der Letzte seine Leistungen auf dem Court anerkennen müssen.

"Ich möchte der Größte aller Zeiten sein. So einfach ist das. Ich bin noch weit davon entfernt, aber ich sehe schon das Licht", sagt James selber. Noch ergibt es keinen Sinn, darüber zu diskutieren. In der kommenden Saison steht auch so genug auf dem Spiel.

Magic Johnson beschrieb das Gefühl, Champion zu werden, wie folgt: "Es ist, als würde man zum ersten Mal Steak essen. Sobald man es einmal probiert hat, will man mehr davon." LeBron James hat zwei Mal gekostet, sein Hunger ist aber noch lange nicht gestillt - ob uns das nun passt oder nicht.

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