Sehnsucht nach dem Königsadler

Von Sebastian Schramm
Janne Ahonen gewann insgesamt 36 Weltcups
© Getty

Janne Ahonen gilt als einer der erfolgreichsten Skispringer aller Zeiten. Der stille Finne ging für seinen Sport in die Extreme. Heute genießt er das Leben mit seiner Familie und hat einen eigenen Rennstall gegründet - das finnische Skispringen vermisst ihn.

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Desaströs. Unter ferner liefen. Zu schlecht für die Weltspitze. Das finnische Skispringen manövriert sich immer mehr in die Peripherie einer Sportart, in der man jahrelang den Ton angegeben hat. "Wir haben eine sportliche, aber auch eine finanzielle Krise. Und die trifft unsere Sportler voll", stellte der erst 2010 als Teamchef eingestellte Pekka Niemelä unlängst fest.

Der Etat wurde vor der neuen Saison auf mickrige 100.000 Euro begrenzt, mögliche Siegspringer wie Harri Olli oder Ville Larinto stellten sich selbst ins Abseits oder wurden durch schwere Verletzungen zurückgeworfen. Besserung scheint nicht in Sicht - Gedanken an glorreiche Zeiten werden wach. Und damit zwangsläufig an Janne Ahonen, der eine Ära prägte.

Ob die Geschichte den in den Medien oft als knorrig dargestellten Finnen bis ins letzte Detail beschreibt, darf bezweifelt werden. Doch sie zeigt vor allem eines: Ahonen war ein Ausnahmeathlet.

Mann der Extreme

Vor dem letzten Springen der Saison 2005 auf der prestigeträchtigen Skiflugschanze in Planica teilte er sich mit seinem Teamkollegen Risto Jussilainen eine komplette Stiege Bier - Kater am nächsten Morgen inklusive. Ahonen haute trotz aller Koordinationsschwierigkeiten einen Sprung von 240 Meter raus, was Weltrekord bedeutet hätte.

Doch er stürzte schwer. Nachdem ihn die Sanitäter aus dem Zielraum transportiert hatten, weigerte er sich, ins Krankenhaus eingewiesen zu werden. Die Angst, man finde bei Untersuchungen Restalkohol im Blut, ließ ihn nicht mehr los.

Ahonen hatte Glück. Bis zur Veröffentlichung seiner Biographie "Der Königsadler" wusste niemand von seiner kleinen Eskapade.
Eines ist angesichts des feucht-fröhlichen Abenteuers aber sicher: Ahonen war immer ein Mann der Extreme - er ging Wege, die kein anderer ging. Während sich seine Skisprung-Kollegen schweißtreibend auf die neue Saison vorbereiteten und auf grünen Matten an ihren Sprüngen feilten, fuhr der Finne lieber Dragster-Rennen.

Weißflog als Idol

Bei einer Beschleunigung von 0 auf 100 in 0,7 Sekunden "kann ich mich perfekt vom Skispringen ablenken", gab Ahonen einst zu. Klingt nach einer Verhöhnung seiner Kollegen? War es aber nicht. Vielmehr tat es der Finne, weil er es für richtig hielt.

Ähnliche Charakterzüge ließen sich bereits früher bei ihm erkennen. Im in Sachen Bildung als Vorbild angesehenen Finnland besuchte Ahonen nur neun Jahre die Schule, um danach seinen Traum vom Fliegen zu verwirklichen - bereits mit 1992 feierte er sein Debüt im Skisprungzirkus.

Sogar sein großes Idol Jens Weißflog war noch mit von der Partie. Überhaupt geht dem mittlerweile 34-Jährigem bei dem Deutschen das Herz auf: "Jens ist der größte Skispringer aller Zeiten, neben Matti Nykänen".

Olympiasieg fehlt

Von Beginn an überzeugte der damals 15-Jährige mit einer überragenden Technik sowie einer optimalen Kraftübersetzung. Nach seinem ersten Weltcupsieg 1993 in Engelberg schien der Erfolg nie wieder abzureißen. Auch ein Jahr nach seinem endgültigem Rücktritt gilt Ahonen als einer der erfolgreichsten Skispringer aller Zeiten.

Fünfmal gewann er die Vierschanzentournee, fünfmal wurde er Weltmeister, zweimal gewann er den Gesamtweltcup. Lediglich der große Wurf bei Olympia wollte ihm nie gelingen. Es reichte "nur" zu zwei Silber-Medaillen im Teamwettbewerb. Doch trotz seiner großen Erfolge gibt es einige Makel.

Skandal um Donut

Im, bevor die Body-Mass-Index-Regel eingeführt wurde, teilweise absurden Kampf um ein möglichst niedriges Wettkampfgewicht ging Ahonen in die Extreme. Mika Kojonkovski, Anfang des Jahrtausends überaus erfolgreicher Trainer der Finnen, achtete penibel darauf, dass die Springer kein Gramm zu viel auf den Rippen hatten. "Kojonkoski machte aus dem Abnehmen eine Kunst. Er dachte, das sei ein lebenswichtiger Teil des Sports", schrieb Ahonen in seinem Buch.

Einer der wohl traurigen Höhepunkte stellte eine Teamsitzung bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City dar. Teamkollege Matti Hautamäki, vom ständigen Hungern geschwächt, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und ließ sich einen Donut direkt an seinen Platz bringen. Als er den Donut essen wollte, schnappte Kojonkovkis Hand danach und nahm ihm die süße Köstlichkeit weg.

Kaffee zum Entwässern

Ahonen selbst beschwerte sich nicht. Zu sehr war er in die Missstände involviert. Aufgrund seiner körperlichen Konstitution verordnete sich der Finne rund drei Wochen vor dem Saisonstart eine Radikal-Diät. Zum Frühstück verzerrte er Müsli mit fettarmem Joghurt.

Mittags setzte er komplett aus, bevor er abends seine morgenlichte Mahlzeit wiederholte und dazu Tabletten zur Fettverbrennung schluckte. Es gab ein paar Tassen Kaffee zum Entwässern und einen Energietrunk. Zum Saisonstart brachte er bei 1,84 Metern rund 64 Kilo auf die Waage.

Neue Karriere im Motorsport

Doch diese Zeiten gehören der Vergangenheit an. Hoffnungen, dass er die in Finnland am Boden liegende Sportart erneut wiederbelebt, gibt es nicht. Ahonen achtet viel lieber nicht mehr auf sein Gewicht. In seiner finnischen Heimat Karjusaari bei Lahti genießt er die Ruhe mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Beide sind für ihn der "Lebensmittelpunkt".

Doch trotz der vielen Zeit mit seinen Jungs, ist und bleibt Ahonen ein Adrenalin-Junkie. Im September 2011 gründete der 36-malige Weltcupsieger seinen eigenen Dragster-Rennstall. Im Team "ART Sports Oy" fährt neben seinem zehnjährigen Sohn Mico auch sein Bruder Pasi.

Trotz des lautstarken Hobbys scheint er seine Ruhe gefunden zu haben. Gegenüber dem finnischen Sender "mtv3" äußerte er sich amüsiert über die Pläne, er wolle gerne Kimi Räikkönen als seinen neuen Piloten verpflichten. Ob dabei Bier im Spiel war - das weiß wohl nur er selber.

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