"Hier fahren keine Pfeifen rum"

Nick Heidfeld startet 2014/2015 für das Formel-E-Team von Leonardo DiCaprio: Venturi
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SPOX: Sie bilden seit drei Jahren mit der GT-Academy für Nissan selbst Rennfahrer aus. Das Besondere: Die Schüler haben keine klassische Kart-Laufbahn hinter sich, sondern werden über ein Computerspiel gecastet. Wie läuft das ab?

Heidfeld: Letztes Jahr waren es alleine in Deutschland ca. 100.000 Bewerber. Wir filtern dann die Topleute raus. Nach einer Vorauswahl kommen die zehn Besten nach Silverstone und wir sind jedes Mal überrascht, wie schnell sie sich weiterentwickeln und wie sinnvoll das Playstation Spielen ist: Man sieht zehn Gesichter, die noch nie im Auto saßen, und nach weniger als einer Woche fahren sie im Nissan GT3 echte Rennen und stellen sich gut an. Die sind viel besser, als man sich das vorstellt. Das ist wirklich erschreckend.

SPOX: Mit Jann Mardenborough fährt der Sieger des Jahres 2011 schon in der GP3, zwei Klassen unter der Formel 1. Besteht die Möglichkeit, dass bald der erste Playstation-Spieler in der Königsklasse fährt?

Heidfeld: Mit Sicherheit fährt bald einer in der Formel 1. Ob es Jann sein wird? Er macht einen guten Job, wird stark gepusht. Ich weiß es aber nicht. Was mir an dem Projekt am besten gefällt: Man schafft es dadurch, Leuten eine Chance zu geben, die nicht genügend Geld für Motorsport haben. Deswegen ist die GT-Academy eine tolle Sache: Nicht nur in der Formel 1 werden die Finanzen immer extremer, ich finde es in den unteren Serien noch schlimmer, schon im Kartsport. Das ist kaum möglich zu bezahlen, außer man kennt jemanden, der einem etwas von seinem überflüssigen Geld in den Rücken schiebt.

SPOX: Sie selbst waren Mercedes-Junior. Gibt es da Unterschiede?

Heidfeld: Das hört sich an, als wäre es bei Mercedes nicht optimal geplant war, aber in der Academy haben die Jungs ein umfassendes Programm: Fitnesscoaching, Mentalcoaching, verschiedene Autos, Rennen, Strecken, Datenanalyse und so weiter. Das war bei Mercedes damals anders. Ich kam aber auch nicht von der Spielekonsole, sondern hatte schon Kart- und Formel-Ford-Erfahrung. Ehrlich gesagt war ich dankbar, dass ich kein vollumfängliches Programm hatte: Auf Medientraining hätte ich sowieso keinen Bock gehabt.

SPOX: Beim 24-Stunden-Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife sind Sie mit dem Academy-Sieger des letzten Jahres, Florian Strauß, zusammen in einem Auto gefahren. Was müssen die Ausgewählten lernen, bevor sie auf die wohl schwerste Strecke der Welt losgelassen werden?

Heidfeld: Mit Florian bin ich weniger als ein Jahr, nachdem er die Academy gewonnen hat, gestartet. Das Wichtigste ist, das Körpergefühl dafür zu bekommen, was das Auto macht. Das umzusetzen ist der wichtigste Lerneffekt, denn das Hör- und Lenkgefühl, die Hand-Augen-Koordination, das Timing - all das haben sie vom Computer schon sehr gut drin.

SPOX: In der Nacht hatte nicht der Nachwuchsfahrer sondern Sie einen heftigen Unfall. Sie sind freiwillig in ein anderes Auto gefahren. Was ist passiert?

Heidfeld: Das Auto fuhr sehr langsam und es wurden doppelte Gelbe Flaggen geschwenkt. Das heißt, man muss auf 60 km/h abbremsen. In der Fuchsröhre fährt man aber mit über 200 km/h und die Warnung kam so spät, dass ich sie kaum sehen konnte. Es war unmöglich, so schnell zu verzögern. Da gab es in den letzten Rennen einige Unfälle. Mich hat sehr geärgert, dass man das bei einem international so anerkannten Rennen nicht sicherer gestaltet hat. Weil mehrere Autos die Strecke blockiert haben, konnte ich nur auf die Wiese ausweichen, da hätte aber ein Streckenposten laufen können. Deshalb bin ich dem Auto vor mir richtig heftig reingesemmelt. Mich hat gewundert, dass wir überhaupt noch weiterfahren konnten.

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SPOX: Die zweite Szene, die jedem im Kopf geblieben ist, war die mit Ihrem Belüftungsschlauch, den Sie nach jeder Rechtskurve vor dem Gesicht hatten. Was war da los?

Heidfeld: (lacht) Als ich es danach im Video gesehen habe, war das sehr lustig. Aber bei dem Vorbereitungsrennen und in dem Moment war es extrem nervig. Wir haben probiert, den Schlauch einzubauen und zu befestigen, um die Temperaturen für den Fahrer zu senken. Das hat offensichtlich nicht funktioniert. Auf der Nordschleife kann man im Training wegen der begrenzten Zeit und weil wir mit vier Leuten auf dem Auto saßen aber nur zwei Runden fahren. Da kommt man nicht wegen so einem blöden Schlauch in die Box, bringt den ganzen Plan durcheinander und verliert Zeit.

SPOX: Sie sind als Juror bei der GT-Academy und den 24 Stunden vom Nürburgring ziemlich eng mit Nissan verbandelt. 2015 steigen die Japaner als fünftes Werksteam in die WEC ein und treten damit in Le Mans an. Werden Sie dabei sein?

Heidfeld: Das weiß ich noch nicht. Erst mal schaue ich mir an, was mit der Formel E passiert und mache beides gleichzeitig. Dann muss ich gucken, ob ich die Wahl habe und beides weitermache. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich wieder dabei bin, weil es mir so viel Spaß macht. Ob es dann mit Nissan ist? Die Kontakte sind da, aber es laufen noch keine Verhandlungen.

SPOX: Im Alter von 37 Jahren und mit 32 Jahren Motorsport-Erfahrung haben Sie extrem viel erlebt. Nach Ihrem letzten Formel-1-Rennen 2011 sind Sie unter anderem noch in Australien bei den V8-Supercars und im Porsche Cup gestartet. Würden Sie sich als Weltenbummler bezeichnen?

Heidfeld: Ich reise gerne. Mein Abschied war zwar leider nicht selbst bestimmt, mir hat es aber danach Spaß gemacht, auch andere Sachen zu machen. In der Formel 1 ist das zeitlich nicht möglich und vor allem nicht erwünscht. Ich finde es toll, verschiedenste Autos zu fahren.

SPOX: Gibt es denn ein Auto oder eine Strecke, die sich besonders eingebrannt hat?

Heidfeld: Die geilste Strecke ist für mich Macao. Ich war zwei Jahre lang mit der Formel 3 dort, habe aber nur im ersten Jahr teilgenommen. Beim zweiten Mal lag ich mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus. Das war grausam. Ich konnte von meinem Zimmer auf die Rennstrecke schauen - der absolute Horror. Mein bestes Auto war einer der McLaren, mit denen Mika Häkkinen Weltmeister geworden ist. Der war nicht nur schnell, sondern auch von der Balance stimmig und einfach zu fahren. Das hat einfach Spaß, weil das Auto genau das gemacht hat, was man wollte.

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Nick Heidfeld im Steckbrief

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