"4 Strafminuten in 7 Spielen!"

SID
Oliver Roggisch (r.) ist mit den Rhein-Neckar Löwen noch ungeschlagen
© Imago

7 Spiele, 7 Siege. Die Rhein-Neckar Löwen sind perfekt in die Saison gestartet. Abwehrchef Oliver Roggisch spricht in seiner SPOX-Kolumne über die Gründe für den Höhenflug. Außerdem klärt er über das Gewichtsthema und seine neue Beziehung zu den Schiedsrichtern auf.

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Liebe Handball-Freunde,

nach längerer Zeit melde ich mich an dieser Stelle mal wieder bei Euch. Mit 7 Siegen aus 7 Spielen lebt es sich natürlich ganz gut zurzeit...

Ich muss zugeben, dass ich überrascht bin, wie schnell wir uns als Mannschaft gefunden haben, gerade weil wir ja einige Jungs bei den Olympischen Spielen hatten. Aber von der Qualität der Truppe war ich schon im Sommer überzeugt, als ich unsere Neuzugänge angeschaut und überlegt habe, ob das passen könnte.

Alexander Petersson bringt jede Mannschaft weiter, er ist sowohl im Angriff als auch in der Abwehr eine große Verstärkung, das war klar.

Bestes Keeper-Duo der Liga

Kim Ekdahl du Rietz habe ich so seit eineinhalb Jahren auf dem Zettel, seit ich mit der Nationalmannschaft gegen ihn gespielt habe. Er ist auch ein körperlich ganz starker Spieler, bei ihm wusste ich auch, dass er uns hilft. Und über Niklas Landin im Tor müssen wir nicht groß sprechen, denke ich.

In der Abwehr haben wir uns wirklich enorm verstärkt. Mit Landin und Goran Stojanovic haben wir zwei absolute Weltklassekeeper, für mich sind die beiden das beste Torhüter-Duo der Bundesliga.

Solche Keeper hinten drin zu haben, ist natürlich ein riesiger Vorteil, weil du weißt, dass du vorne nicht immer ein Tor werfen musst. Wir bekommen bis jetzt keine 25 Dinger pro Spiel.

Sind konstanter geworden

Es sind auch gute Typen, die wir dazu bekommen haben. Typen, die auch mal über den Kampf ins Spiel finden, wenn es nicht so läuft. Gute Charaktere. Deshalb sind wir als Mannschaft enger zusammengewachsen - es passt einfach im Moment.

Man darf ja nicht vergessen, dass wir auch im letzten Jahr super Handballer in unseren Reihen hatten und wir immer mal wieder Weltklassespiele abgeliefert haben. Aber wir waren eben nicht konstant, jetzt sind wir konstanter und fighten sicherlich auch ein bisschen mehr als in den Jahren zuvor.

Ganz wichtig war auch der Auftaktsieg in Göppingen. Man hat es in der letzten Saison auch bei Kiel gesehen, wie es ist, wenn du Spiel für Spiel gewinnst und immer stärker und selbstsicherer wirst, das macht vieles einfacher.

Gense der perfekte Captain

Unser bester Schütze ist wieder standesgemäß Uwe Gensheimer - unser Captain. Gense ist ja schon seit Ewigkeiten im Verein und ich kenne wenige Spieler, die so konstant auf einem solch hohen Niveau spielen.

Es kommt auch nicht so häufig vor, dass ein junger Spieler in einem Team mit vielen erfahrenen Spielern die Binde bekommt, aber es zeigt das Vertrauen in ihn. Gense ist nicht nur zu einem Weltklasse-Handballer gereift, sondern auch der perfekte Kapitän. Dazu fängt er jetzt, wie Ihr sicher schon gesehen habt, auch damit an, mit seinem Äußeren noch für etwas mehr Aufmerksamkeit zu sorgen...

Wenn Ihr mich fragt, ob ich mir den 28. November schon fett im Kalender angestrichen habe, dann heißt die Antwort: nein. Klar, ich weiß, dass der THW da zu uns kommt, aber das ist noch so weit weg. Ich weiß auch, dass es für die Fans und Medien langweilig ist, aber wir denken von Spiel zu Spiel. Das muss unsere Marschroute sein.

THW ist nicht zu gefährden

Wir müssen den Ball flach halten, weil auch wieder schlechtere Zeiten kommen werden. Dann wird sich zeigen, wie wir mal mit einer Niederlage umgehen können. Ich habe aber ein gutes Gefühl, dass wir jetzt Rückschläge besser wegstecken können.

Grundsätzlich führt an Kiel ohnehin über eine komplette Saison kein Weg vorbei. An einem Tag kann man den THW sicher mal ärgern, aber über die gesamte Spielzeit ist er nicht zu gefährden. Von niemandem. Sie haben einfach den mit Abstand besten Kader. Die zweite Garde, wenn man das so nennen will, würde wahrscheinlich auch noch in den Top 5 landen.

Zu mir persönlich gibt es zu sagen, dass ich hier jetzt mal über das Gewichtsthema aufklären kann. Es stand zu lesen, dass ich 10 Kilo abgespeckt hätte. Also: Im letzten Jahr habe ich 102 kg auf die Waage gebracht, jetzt sind es 96 kg. 6 kg merkst du auf dem Feld enorm, der größte Unterschied ist aber, dass es sich verteilt hat. Ich habe jetzt einen deutlich geringeren Anteil an Körperfett.

Rede kaum mehr mit den Refs

Ich konnte die Vorbereitung komplett mitmachen, hatte keine Probleme mit dem Rücken und fühle mich richtig gut. Meine Werte sind auch so gut wie lange nicht mehr. Ich habe einfach unglaublich viel Spaß am Handball im Moment, deshalb gibt es überhaupt keine Gedanken an ein Karriereende. Ich will nach dieser Saison mindestens noch ein Jahr spielen, vielleicht auch zwei.

Ach ja, falls Ihr mich in der Liste mit den meisten Zeitstrafen sucht, Ihr werdet mich nicht finden. Ich habe in 7 Spielen jetzt gerade mal 4 Strafminuten bekommen. Ich rede so gut wie gar nicht mehr mit den Schiedsrichtern. Das hilft mir, weil ich mich auf mein Spiel konzentrieren kann.

Und es hilft den Refs, weil sie sich nicht mit mir beschäftigen müssen. Es ist so eine kleine Win-Win-Situation gerade. Ich hatte es zwischenzeitig schon aufgegeben, weil es so eingefahren war, aber es ist schön zu sehen, dass sich doch noch was ändern kann. Kompliment auch an die Schiedsrichter, die mir eine Chance gegeben haben und fairer geworden sind.

Ich würde gerne bleiben

Wie es mit mir nach dieser Saison weitergeht, müssen wir abwarten. Ich habe für diese Saison ja nur einen Ein-Jahres-Vertrag unterschrieben. Ich wollte unbedingt bleiben, aber ich habe mich im ersten Moment schon ein bisschen schwer getan, einen Ein-Jahres-Vertrag zu akzeptieren.

Ich bin jetzt in einem Alter, in dem man auch an die Zeit nach der Sportlerkarriere denkt. Zudem hatte ich andere Angebote, unter anderem aus Wetzlar, 3 Jahre als Spieler plus 3 Jahre in einer Funktion im Verein. Da bin ich etwas ins Grübeln gekommen. Die Entscheidung für die Löwen ist dann im Grunde aus dem Bauch heraus gefallen.

Dass ich jetzt wieder die Situation habe, dass mein Vertrag nach der Saison ausläuft, ist zwar etwas nervig, aber wir wollen versuchen, frühzeitig in die Gespräche zu gehen. Die Löwen sind mein erster Ansprechpartner und dann schauen wir, ob wir zueinander finden. Ich würde gerne bleiben, aber es gibt auch andere Optionen.

WM-Verzicht kein Thema

Was die Nationalmannschaft angeht, sind es jetzt "nur" noch drei Monate bis zur WM in Spanien. Auf die WM zu verzichten, war für mich nie ein Thema. Bei den Spielern, die bei Olympia dabei waren, habe ich absolut Verständnis, wenn sie mal eine Pause machen. Ihr Programm war wirklich brutal. Aber wir Deutsche waren in London bekanntlich nicht dabei, insofern sehe ich bei uns auch keine zu hohe Belastung.

Prinzipiell ist es aber definitiv an der Zeit, dass sich im Handball-Kalender endlich etwas tut. Es ist schon so viel über mögliche Änderungen diskutiert worden.

Über eine Abschaffung der Gruppenphase der Champions League, über ein späteres Einsteigen im Europapokal, über eine Liga-Reduzierung - es wird seit Jahren darüber geredet, aber es passiert nichts. Klar gibt es bei allen Möglichkeiten immer positive und negative Aspekte abzuwägen, aber es ist einfach so, dass es kaum mehr möglich ist, verletzungsfrei durch eine Saison zu kommen. Es gibt eine klare Überbelastung, die auf dem Rücken der Spieler ausgetragen wird.

Montpellier? Ich konnte es nicht glauben

Wo wir momentan mit der Nationalmannschaft stehen, ist nicht ganz leicht zu sagen, auch weil wir zuletzt nicht komplett waren. Wenn wir spielerisch und kämpferisch unsere Möglichkeiten maximal ausschöpfen, gehören wir zu den Top 7, aber an einem schlechten Tag können wir auch gegen jeden verlieren. Wir haben das Talent und die Leute, aber wir brauchen wirklich diese 100 Prozent. Dann sind wir stark. Fehlt ein bisschen was, sind wir nur Durchschnitt.

Zum Schluss möchte ich Euch noch kurz schreiben, wie ich die Montpellier-Geschichte aufgenommen habe. Mir ging es wie den meisten anderen auch, ich konnte es auch nicht glauben. Es hat sich absurd angehört, aber wie man lesen kann, ist ja scheinbar etwas dran.

Womit ich mir schwer tue, ist die zu lesende Aussage, dass man zwar gewettet, aber das Spiel nicht absichtlich verloren habe. Wenn ich auf eine Niederlage meiner Mannschaft wette und im Fall von Luka Karabatic sogar selbst mitspiele, kann mir niemand erzählen, dass ich dann 100 Prozent gebe und das Spiel unbedingt gewinnen will. Wenn ich die Quoten irgendwo im Hinterkopf habe. Damit tue ich mich echt schwer und das hat einen faden Beigeschmack.

Euer Oliver Roggisch

Oliver Roggisch, 34, spielt seit 2007 bei den Rhein-Neckar Löwen. Der 1,99 m große Kreisläufer und Abwehrspezialist startete seine Karriere beim TuS Schutterwald, bevor es ihn zu Frisch Auf Göppingen zog. Weitere Stationen waren TuSEM Essen und der SC Magdeburg. Mit der Nationalmannschaft wurde er 2007 Weltmeister. Mehr Infos zum SPOX-Kolumnisten gibt's unter http://www.oliver-roggisch.de/.

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