Das Debakel von Santos stellt alles infrage

SID
Torfrau Clara Woltering ist mit dem Auftritt der Deutschen Handballerinnen in Brasilien enttäuscht
© Getty

Totalschaden für die deutschen Handballerinnen: Bei der WM sind sie gescheitert, die Olympia-Qualifikation haben sie verpasst. Wie geht es nun weiter?

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Ganz unten im tiefen Tal der Tränen suchten die deutschen Handballerinnen nach Gründen für das Desaster. "Jeder muss sich fragen, ob er das gezeigt hat, was er kann, und ich meine wirklich jeder", sagte Torhüterin Clara Woltering, erhitzt, sauer, unfassbar enttäuscht.

Das 22:25 gegen Afrikameister Angola bei der WM in Brasilien war für den deutschen Frauenhandball eine Niederlage mit gravierenden Konsequenzen: Das WM-Achtelfinale und vor allem das olympische Turnier 2012 in London finden ohne deutsche Beteiligung statt.

Jensen: "Dachte, wir seien weiter"

"Ich wusste, dass wir viele Baustellen haben, aber ich dachte, wir seien weiter", sagte Bundestrainer Heine Jensen, den die Ereignisse zwischenzeitlich ein bisschen zu überfordern schienen. Ulrich Strombach, Präsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB), zog ein ernüchterndes Fazit: "Es fehlt an Qualität in dieser Mannschaft."

Was mit einem überraschenden Erfolg gegen Olympiasieger Norwegen begonnen hatte, endete sechs Tage später mit dem Debakel gegen Angola. Dazwischen lagen zwei Niederlagen gegen WM-Geheimfavorit Montenegro und biedere Isländerinnen sowie ein Zittersieg gegen Außenseiter China. "Man kann das nicht als einmaligen Betriebsunfall abtun", sagte Liga-Chef Berndt Dugall: "Das war eine kontinuierliche Leistung auf unterstem Niveau."

Jensen, erst seit dem 1. Juli 2011 offiziell im Amt und mit einem komfortablen Vertrag bis zum 31. Dezember 2014 ausgestattet, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Situation bei einer WM möglicherweise unterschätzt zu haben. Hatte er bei der WM-Qualifikation im Juni gegen Ungarn noch die geballte Bundesliga-Kompetenz von Renate Wolf (Leverkusen), Dietmar Schmidt (Frankfurt/Oder) und Dirk Leun (Buxtehude) an seiner Seite, so war er in Brasilien weitgehend auf sich allein gestellt.

Fantasielose Offensive

Und der Däne machte Fehler. Im Tor war Sabine Englert in den ersten vier Spielen eine wacklige Nummer eins. Woltering hatte zwar in den letzten zehn Minuten gegen Norwegen den Sieg festgehalten, musste aber dann wieder auf der Bank Platz nehmen.

Was mit ihr vielleicht möglich gewesen wäre, zeigte sie im Spiel gegen Angola, als sie mit ihren spektakulären Paraden den Rückstand erträglich hielt. Zudem ließ Jensen mit seinen zum Teil hektischen Ein- und Auswechslungen keinen ruhigen Spielaufbau seiner Mannschaft zu.

Was vor der gegnerischen Deckung ablief, war bestenfalls kreisklasse. Schon kurz hinter der Mittellinie begann das fantasielose deutsche Querpass-Spiel, was selbst eine eher biedere Deckung wie die von Angola mühelos durchschaute.

Immer wieder wurden auf halblinks Franziska Mietzner und Nadja Nadgornaja gesucht - kein Wunder, denn auf den Außenpositionen tat sich so gut wie gar nichts. Am Kreis war Anja Althaus erste Wahl, eine Spielerin, die nicht hundertprozentig fit war und deshalb auch nicht wie erhofft Verantwortung übernehmen konnte.

Neuaufbau unumgänglich

Ein Neuaufbau ist unumgänglich, zumal Spielerinnen wie Stefanie Melbeck (34), Nadine Krause (29), Anja Althaus (29) und Sabrina Richter (29) für Olympia 2016 oder die angestrebte WM 2017 im eigenen Land wohl keine Option mehr sind. Jungen Leuten wie Franziska Mietzner (22), Nadja Nadgornaja (23) oder Luisa Schulze (21) gehört die Zukunft, dazu kommen Talente wie die 18-jährige Linkshänderin Anne Hubinger aus Leipzig.

Viel hat der deutsche Nachwuchs derzeit allerdings nicht zu bieten, die U19 belegte bei der letzten EM Platz elf, die U17 wurde Zehnter. Der Bereich Nachwuchsförderung ist jetzt am Zug, es gilt, die Jahrgänge 1996/97 für die WM 2017 aufzubauen.

Jensen bleibt wohl

Frankfurts Trainer Dietmar Schmidt fordert jedenfalls einen Umbruch, "um langfristig wieder eine Mannschaft aufzubauen, die Schritt für Schritt zurück in die Spitze kommt".

Den Weg mit Heine Jensen halten alle Beteiligten trotz des Debakels für den richtigen. "Wir müssen nur jetzt die nötigen Konsequenzen ziehen", sagt Leipzigs Manager Kay-Sven Hähner: "Wir dachten, dass wir schon weiter sind, aber wir haben eine große Chance leichtfertig vertan. Das ist richtig heftig." Und es wird nachwirken.

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